Wir erfahren nichts, wir bekommen nichts, wir sehen nichts – nur dies: „Gestern hat der erste Mensch ein Implantat von Neuralink erhalten, und er erholt sich schnell.“ Ein Tweet, wie er im Musk-Buch steht. OP abgehakt, Patient funktioniert. Die ersten Ergebnisse der Tests seien da: „vielversprechende neuronale Signale“. Ein intimer Musk-Beobachter, der den Multimilliardär gerne parodiert, liefert ein Bild nach, das die Sache visuell auf den Punkt bringt: Da steht Elon Musk auf einem Parkplatz, die Haare im Wind, schmunzelnd, die Handflächen zum Himmel weisend und ein Mikro vor sich. Darüber der Satz: „Ich, als ich der Welt ‚Telepathy‘ ankündige.“

Wann genau Musk sich entschlossen hat, seinen ersten implantierten Hirnchip „Telepathy“ zu nennen, ist offen, der Tweet dazu kam jedenfalls knapp eine Stunde nach der Bekanntmachung des ersten Versuchs seines Start-ups an einem Menschen. Gut möglich ist, dass er sich das Gedankenlesen ähnlich wie das ewige Leben, mit dem er sich ebenfalls gerne beschäftigt, als die Erfüllung urmenschlicher Träume vorstellt, und den Neuralink-Hirnchip deshalb natürlich auch als ultimatives Geschenk an die fortschrittshungrige Menschheit.

Was er aber auch hätte wissen sollen: Telepathie ist Pseudowissenschaft. Bisher jedenfalls und genau genommen auch die ganze Zeit, seit der britische Poet und Philologe Frederic Myers den Begriff geprägt hat – er war vor fast hundertfünfzig Jahren der Begründer der Erforschung paranormaler Phänomene.

Musk hat sich nun in unbewährter Manier in der Sprache vergriffen und in das gemachte pseudowissenschaftliche Nest Myers gesetzt. Eine missratenere Inszenierung ist kaum vorstellbar. Es ist aber nicht nur der sprachliche Fehlgriff, der verstört. Es sind die aufklärerischen Standards, die der Technopopulist ein ums andere Mal verletzt und damit ethisch übergriffig wird. Statt sich ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Verantwortung – nämlich Transparenz – zu bewahren und auch moralische Redlichkeit – falsche Hoffnungen zu vermeiden – zu respektieren, lässt er es auf seiner eigenen Marketingplattform X mit vagen Andeutungen krachen. Im Sommer vergangenen Jahres, nachdem die Genehmigungsbehörde FDA gegen die Erwartungen vieler Fachleute und nach einigen präklinischen Affenversuchen die Implantierung zugelassen hat, war der Startschuss für die Rekrutierung von schwer kranken Patienten für die erste klinische Neuralink-Studie gefallen.

Wie viele der querschnittgelähmten Frauen und Männer und wie viele der hochgradig gelähmten ALS-Patienten, die sich auf den Aufruf des Musk-Start-up-Unternehmens gemeldet hatten, auf einen entscheidenden Fortschritt durch Hirnchip-Implantate hoffen, ist ziemlich klar: 100 Prozent. Weltweit sind möglicherweise Millionen betroffen. Fast jede und jeder von ihnen würde sich den in die Schädeldecke implantierten Chip einbauen lassen, der die Signale mit mehr als tausend haarfeinen Elektroden aus den motorischen Zentren des Gehirns ableitet und es so ermöglich soll, eine Tastatur oder einen Bildschirm-Cursor nur mit den Gedanken zu bedienen. Aber bisher ist das alles wenig mehr als eine Vision. Hirn-Maschine-Schnittschnellen – „Brain-Machine Interfaces“ – sind im frühesten Forschungsstadium. Grundlagenforschung.

Den Betroffenen und ihren Angehörigen Hoffnung machen sollte nur dürfen, wer die Evidenz der Machbarkeit und der Sicherheit nachvollziehbar vorgelegt hat. Die Daten kennen wir nicht einmal ansatzweise. Und selbst wenn, wäre die Bühne der sozialen Medien, die im Falle von Musks Nachrichtendienst X eine öffentliche und weltumspannende ist, ist erwiesenermaßen die denkbar schlechteste Plattform dafür. Das alte Twitter ist mehr denn je eine Aufmerksamkeitsmaschine und Hetzadresse. Und Neuralinks „PRIME“-Studie (Precise Robotically Implanted Brain-Computer Interface) ist bisher nicht mehr als ein Experiment im Anfangsstadium. Ein Experiment, das bisher weitgehend hinter verschlossenen Gardinen stattfindet und von dem bisher wenig mehr als beeindruckende Labor- und Maschinenraumfotos kursieren.

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Vielleicht fehlt es Musk an der nötigen Geduld, auf aussagekräftige Daten zu warten, die unabhängig geprüft werden können. Wahrscheinlich ist er charakterlich auch schlicht so gepolt, mehr auftrumpfen als überzeugen zu wollen. Für die Betroffenen und Unbehandelten jedoch und für alle anderen, die den von Hunderten seriösen Forschern angestrebten Fortschritt vorantreiben, sind die kommunikativen Appetithäppchen von Mister X bis auf Weiteres bloß eine wissenschaftliche Totgeburt. Und auch das sind Musks experimentelle Telepathie-Visionen: die Stilblüte einer bis aufs Letzte kommerzialisierten Medizin.

QOSHE - Patient X und sein Hirnchip von Mister X - Joachim Müller-Jung
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Patient X und sein Hirnchip von Mister X

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30.01.2024

Wir erfahren nichts, wir bekommen nichts, wir sehen nichts – nur dies: „Gestern hat der erste Mensch ein Implantat von Neuralink erhalten, und er erholt sich schnell.“ Ein Tweet, wie er im Musk-Buch steht. OP abgehakt, Patient funktioniert. Die ersten Ergebnisse der Tests seien da: „vielversprechende neuronale Signale“. Ein intimer Musk-Beobachter, der den Multimilliardär gerne parodiert, liefert ein Bild nach, das die Sache visuell auf den Punkt bringt: Da steht Elon Musk auf einem Parkplatz, die Haare im Wind, schmunzelnd, die Handflächen zum Himmel weisend und ein Mikro vor sich. Darüber der Satz: „Ich, als ich der Welt ‚Telepathy‘ ankündige.“

Wann genau Musk sich entschlossen hat, seinen ersten implantierten Hirnchip „Telepathy“ zu nennen, ist offen, der Tweet dazu kam jedenfalls knapp eine Stunde nach der Bekanntmachung des ersten Versuchs seines Start-ups an einem Menschen. Gut möglich ist, dass er sich das Gedankenlesen ähnlich wie das ewige Leben, mit dem er sich ebenfalls gerne beschäftigt, als die Erfüllung urmenschlicher Träume vorstellt, und den Neuralink-Hirnchip deshalb natürlich auch als ultimatives Geschenk an die fortschrittshungrige Menschheit.

Was er aber auch hätte wissen........

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