Wie viel wir aus Missverständnissen lernen, wie viel wir manchmal sogar profitieren können, wird oft unterschätzt. Der Streit, der das Missverständnis auflöst und Einverständnis erzeugt, darf als gelungene Kommunikation, gleichsam als Lernerfolg, betrachtet werden. Leider wird der nicht immer erreicht. Manche wollen einfach nicht klüger werden, und diese Voraussetzung liegt zweifelsfrei immer dann vor, wenn das Missverstehenwollen aus Gründen der ideologischen Hygiene bis zum bitteren Ende durchgezogen wird.

Den wissenschaftlichen Befund, dass die zur Corona-Impfung benutzte mRNA in den Zellen zu einem Frameshifting führen kann, das in geringem Umfang unbrauchbare Proteinartefakte hervorbringt, kann man so lesen, wie es die Wissenschaftler verstanden und auch so niedergeschrieben haben: ein Phänomen, das schonmal auch natürlicherweise beim Ablesen körpereigener mRNA vorkommt – das aber der dürftigen Datenlage weder als Impfversagen noch als Impfnebenwirkung gedeutet werden kann.

Diejenigen allerdings, die sich den Impfstoff als Teufelszeug zurecht phantasieren, hält das von vorsätzlichen Umdeutungen nicht ab – gerade weil die Steilvorlage aus der seriösen Ecke kommt. Dieselbe Wissenschaft, die sich den Impfstoff ausgedacht und der an diesem Sonntag dafür auch noch den Lorbeer des Medizin-Nobelpreises umgehängt wird, liefert so den Zweifelnden die empirische Knetmasse, mit der die ihr postfaktisches Weltbild zusammen schustern. Die Klimaforschung schlägt sich seit Jahrzehnten mit solcherart irrlichternden Wissenschaftsquerulanten herum. Jede kleinste Abweichung oder Unsicherheit, die sich aus zwangsläufig unvollständigen Datensätzen ergibt, wird in der öffentlichen Verhandlung durch die Umdeutungsgemeinde als Entlarvung gefeiert – und die betreffenden Forscher in den sozialen Medien abgemeiert.

Kommt in Studien heraus, wie jetzt im Wissenschaftsjournal „Nature“, dass der Ozean unter bestimmten Annahmen eventuell mehr Kohlendioxid aufnehmen kann als bisher gedacht, wird das als Lösung des menschengemachten Klimawandels gedeutet. Was weder das Ergebnis korrekt wiedergibt, noch als Befreiungsschlag gegen die verhassten Doomer mit ihren empirisch begründeten Zukunftssorgen taugt. Viele Feinde der Wissenschaft belassen es, wenn sie die Fakten missbrauchen, bei einer Art kommunikativer Selbstbefriedigung. Anderen reicht es inzwischen schon nicht mehr, sich an den eigenen Fehldeutungen aufzugeilen.

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So ist vielen Ärztinnen und Ärzten dieser Tage von einer dubiosen Medizinfirma ein sogenanntes Rote-Hand-Schreiben – ein offizielles Warnschreiben – über vermeintliche Haftungsrisiken beim Verabreichen des mRNA-Impfstoff zugegangen. Eine Fake-Warnung, in der nicht mehr nur die wissenschaftliche Basis zurechtgebogen wird, sondern das Siegel der Seriosität entwertet wird. Misszuverstehen ist an diesem Betrug nichts mehr, das ist der organisierte Feldzug gegen die Aufklärung.

QOSHE - Guck mal, wer da betrügt - Joachim Müller-Jung
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Guck mal, wer da betrügt

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08.12.2023

Wie viel wir aus Missverständnissen lernen, wie viel wir manchmal sogar profitieren können, wird oft unterschätzt. Der Streit, der das Missverständnis auflöst und Einverständnis erzeugt, darf als gelungene Kommunikation, gleichsam als Lernerfolg, betrachtet werden. Leider wird der nicht immer erreicht. Manche wollen einfach nicht klüger werden, und diese Voraussetzung liegt zweifelsfrei immer dann vor, wenn das Missverstehenwollen aus Gründen der ideologischen Hygiene bis zum bitteren Ende durchgezogen wird.

Den wissenschaftlichen Befund, dass die zur Corona-Impfung benutzte mRNA in den Zellen zu einem Frameshifting führen kann, das in geringem Umfang unbrauchbare Proteinartefakte hervorbringt, kann man so lesen, wie es die Wissenschaftler verstanden und auch so niedergeschrieben........

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