Eine Flasche Wein enthält mehr Philosophie als alle Sachbücher. Wer wie der Mikrobiologe Louis Pasteur so haltbare Sätze zu Papier bringt und sich ganz generell mit der Haltbarmachung von Lebensmitteln – der Pasteurisation – für alle Zeiten verdient gemacht hat, der muss sich nicht wundern, dass sein Name zum Denkmal wurde. Pasteur, der Freund und Feind der Mikroben.

Wie gerecht ist es andererseits, so kann man durchaus fragen, dass der Name des Herrn Pasteur gleich siebenmal in den Annalen der Internationalen Nomenklatur von Bakterien und Archaeen auftaucht, viele hochverdiente Kolleginnen und Epigoninnen Pasteurs jedoch geschichtsvergessen in der Versenkung verschwinden? Siebenmal mehr Mi­krobiologen als Mikrobiologinnen werden bei der Benennung einer neuen Art oder Gattung mit Namen verewigt.

Eponyme nennt man solche Personenhuldigungen. Die können auch schrecklich danebengehen. So gibt es ein Bacillus shackletonii, das – lange ist es her – nach dem großen Antarktisforscher Sir Ernest Shackleton benannt wurde. Ein großer Mann, zugegeben, der allerdings sonst keinerlei Bezug zu Mikroben hatte. Der erste Mikroorganismus überhaupt, mit der eine Frau geehrt wurde, die Bodenkeim-Entdeckerin Delia Johnson, war 124 Jahre nach dem ersten Mann namentlich in die Taxonomie eingegangen. Und tendenziell ist es bis heute dabei geblieben: Weibliche Persönlichkeiten, heute sagt man Rollenmodelle, sind in der Mikrobiologie Mangelware geblieben. Und dafür gibt es laut einer Forschergruppe am Leibniz-Institut „Deutsche Sammlung von Mikroorganismen“ ganz und gar keinen Grund mehr. Denn herausragende Mikrobiologinnen sind immer zahlreicher.

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Trotzdem habe sich der Frauenanteil seit 1947 nicht etwa vergrößert, eher im Gegenteil. Nun ist die „Gender Gap“ natürlich nicht nur im Mikrokosmos in einem beklagenswerten Zustand, wie die Braunschweiger Mikrobiologengemeinschaft betont. In der Chirurgie, den Computerwissenschaften, der Physik und Mathematik gibt es krasse Genderschieflagen.

Selbst die Vielfalt des heilsamen Aloe-Gewächses soll mit einem Frauennamensanteil unter fünfzehn Prozent registriert sein. Nirgends machen die Frauen offenbar Boden gut. Immerhin: Auch die Helminthen glänzen laut der Braunschweiger Studie mit mehr als achtzig Prozent Herrennamen. Helminthen, zur Erinnerung, sind schleimige Würmer und mit die wichtigsten Parasiten des Menschen. Ehre, wem Ehre gebührt?

QOSHE - Gendern in Ehren - Joachim Müller-Jung
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Gendern in Ehren

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22.12.2023

Eine Flasche Wein enthält mehr Philosophie als alle Sachbücher. Wer wie der Mikrobiologe Louis Pasteur so haltbare Sätze zu Papier bringt und sich ganz generell mit der Haltbarmachung von Lebensmitteln – der Pasteurisation – für alle Zeiten verdient gemacht hat, der muss sich nicht wundern, dass sein Name zum Denkmal wurde. Pasteur, der Freund und Feind der Mikroben.

Wie gerecht ist es andererseits, so kann man durchaus fragen, dass der Name des Herrn Pasteur gleich siebenmal in den Annalen der Internationalen Nomenklatur von Bakterien und Archaeen auftaucht, viele hochverdiente Kolleginnen und Epigoninnen Pasteurs jedoch........

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