Was war das – eine geschickte Inszenierung, die erhoffte Erleuchtung oder doch das, was Außenklimaministerin Annalena Baerbock in ihrem Statement zum Ende des Klimagipfels von Dubai feststellte: ein finaler Ruck der Solidarität mit einem tränenreichen Start in eine neue, postfossile Zeit? Eins ist sicher, es war ein wirklich historisches Wendemanöver der Konferenzleitung. Hinter dem COP28-Abschlussdokument, dem „Dubai-Konsens“, wird sich kein Land mehr mit neuen Öl- und Gaswohlstandsträumen verstecken können.

Die Genese allerdings war filmreif. Keine achtundvierzig Stunden vor der Einigung noch war Sultan al-Jaber, der Kongresspräsident und Ölmultichef, der Sabotage verdächtigt worden. Alles in seinem ersten Entwurf zum „Global Stocktake“ war darauf angelegt, die 70.000-Teilnehmer-Konferenz scheitern zu lassen, ja den gesamten multilateralen Klimarettungsprozess in den Abgrund zu führen. Die Sprache – an Unverbindlichkeiten nicht zu übertreffen. Die Inhalte – ohne jede Ambition, mithin sogar die vollständige Verleugnung wissenschaftlich gesicherter Notwendigkeiten. Die Botschaft – ohne jeden Esprit, ohne klare Vision.

Wie es die Leitung und die Delegierten von fast zweihundert Staaten dann in zwei Tagen geschafft haben, aus dieser fahrigen Mustersammlung der Floskeldiplomatie etwas Substanzielles zu zaubern und sich „kristallklar“, wie al-Jaber sagte, hinter die Warnungen der Wissenschaft zu stellen, das wird noch aufzuarbeiten sein. Vielleicht waren es ja wirklich die Emotionen, das „Familiäre“, das Baerbock fast selbst zu Tränen rührte, die Erkenntnis nämlich, dass man ein Scheitern niemandem zu Hause und schon gar nicht seinen Kindern erklären könne. Auch die Atmosphäre im Expo-Zentrum von Dubai dürfte eine Rolle gespielt haben. Jedem musste auffallen, wie oft in den Abschlussreden von einer „Gemeinschaft“ und „Einigkeit“ gesprochen wurde, obwohl doch die nationalen und ökonomischen Interessen selbstverständlich meilenweit auseinanderlagen – und ganz bestimmt weiter auseinanderliegen.

Zumindest in der gemeinsamen Verantwortung für den Planeten haben sich nun alle ausreichend klar solidarisiert. Das Signal war nie so klar: Die Transformation weg von den fossilen Brennstoffen ist unumkehrbar. Und von den in Paris vor acht Jahren vereinbarten 1,5 Grad maximaler Erderwärmung als langfristiger Zielmarke rückt keiner ab.

Aber natürlich muss jetzt nach der Aufrichtigkeit gefragt werden. Nach Schlupflöchern. Die Erfahrungen von mehr als dreißig Jahren Klimadiplomatie haben gezeigt, dass es nicht an wohlgesetzten Worten mangelt. Jeder Konsens bisher hat genug Spielraum gelassen für Lücken, die heute an allen Ecken beklagt werden: Lücken der Anpassung an den Klimawandel, Lücken in der Finanzierung und Gerechtigkeit (die vereinbarten Hilfs- und Projektgeldtöpfe sind nicht einmal zur Hälfte gefüllt), Lücken vor allem in der Umsetzung der eigenen Klimaziele. Die Konsequenz: Noch immer und auch mit dem Dubai-Abschluss steuern wir global auf eine zweieinhalb- bis drei Grad wärmere Welt zu mit unkalkulierbaren Risiken und unfassbar hohen Opfern für die Bevölkerung und die Volkswirtschaften zu.

Der Klima-Pragmatismus, den es jetzt braucht, um die Zeitenwende zu einer klimaschonenden Weltwirtschaft zu schaffen, ist in dem Abschlussdokument noch viel zu vage erkennbar. Die Weichen sind gestellt, der Zug darf aber nicht davor anhalten. Ein Beispiel: Die Öl- und Gasexportländer, vor allem die immer noch höchst profitablen Konzerne, scheuen sich bisher plakativ, die Verantwortung für das Hochfahren der Kohlenstoffentnahmetechniken zu übernehmen. Sie klammern sich an ihre Milliardensubventionen.

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Die Aufgabe der kommenden Klimakonferenz in Baku – auch Aserbaidschan lebt von Öl und Gas – wird es sein, das schnelle Hochskalieren ähnlich wie diesmal bei den Erneuerbaren anzustoßen. Die Ziele auch dafür müssen quantifiziert und überprüfbar sein. Die Finanzmärkte, auch sie bisher eher symbolisch als konsequent im Klimaschutz unterwegs, werden zentral sein für die nötigen Investitionen. Überhaupt das große Geld: Nicht mit den Paragraphen, sondern nur über den Preis – die deutliche Verteuerung jeder klimaschädlichen Emission – wird die globale Energiewende so schnell zu bewältigen sein, wie es nötig ist. In sieben Jahren müssen die Emissionen nahezu halbiert sein. Wird das erreicht, ist die Klimakatstrophe verhinderbar. Jeder Klimagipfel bis dahin wird deshalb an seinen Konsequenzen gemessen.

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Ein Märchen im Ölstaat und sein wundersames Ende

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13.12.2023

Was war das – eine geschickte Inszenierung, die erhoffte Erleuchtung oder doch das, was Außenklimaministerin Annalena Baerbock in ihrem Statement zum Ende des Klimagipfels von Dubai feststellte: ein finaler Ruck der Solidarität mit einem tränenreichen Start in eine neue, postfossile Zeit? Eins ist sicher, es war ein wirklich historisches Wendemanöver der Konferenzleitung. Hinter dem COP28-Abschlussdokument, dem „Dubai-Konsens“, wird sich kein Land mehr mit neuen Öl- und Gaswohlstandsträumen verstecken können.

Die Genese allerdings war filmreif. Keine achtundvierzig Stunden vor der Einigung noch war Sultan al-Jaber, der Kongresspräsident und Ölmultichef, der Sabotage verdächtigt worden. Alles in seinem ersten Entwurf zum „Global Stocktake“ war darauf angelegt, die 70.000-Teilnehmer-Konferenz scheitern zu lassen, ja den gesamten multilateralen Klimarettungsprozess in den Abgrund zu führen. Die Sprache – an Unverbindlichkeiten nicht zu übertreffen. Die Inhalte – ohne jede Ambition, mithin sogar die vollständige Verleugnung wissenschaftlich gesicherter Notwendigkeiten. Die Botschaft – ohne jeden Esprit, ohne klare Vision.

Wie es die Leitung und die Delegierten von fast........

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