Die Aufmerksamkeit ist Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an diesem Montag sicher. Beim Besuch des CDU-Präsidiums hat sie angeküdigt, dass sie als Spitzenkandidatin in die Europawahl im Juni ziehen will. Dabei ist das keine Nachricht. Die Choreographie ihrer Kandidatur ist seit Wochen so bekannt wie „Le Robben“, so unvermeidbar, wie Arjen Robben nach innen zog und dann mit links ins lange Eck abschloss.

Auch alles Weitere ist vorgezeichnet: Im März werden die europäischen Christdemokraten sie nominieren. Aus den Wahlen gehen sie wohl wieder als stärkste Partei hervor. Anschließend werden die Staats- und Regierungschefs – vielleicht begleitet von Viktor-Orbán-Störfeuer – sie als Präsidentin bestätigen. Das Europaparlament wird – begleitet vom Störfeuer der erstarkten Rechten – nachziehen. Im Herbst beginnt dann ihre zweite Amtszeit. „La von der Leyen“, so vorhersehbar und dennoch so unvermeidbar.

Was der Wähler damit nicht weiß, ist, warum von der Leyen die zweite Amtszeit anstrebt? Warum ausgerechnet sie die richtige Kommissionspräsidentin ist, um die großen wirtschaftlichen Herausforderungen anzugehen, vor denen die EU derzeit steht?

Sicher, sie hat eine gute politische Bilanz vorzuweisen. Als eine Krise der nächsten folgte, hat sie sich als Managerin bewährt. Sie kann Krise, wie es so schön heißt. Selbst wenn es zu Beginn von Corona bei der Impfstoffbeschaffung ruckelte, hat sie die EU in der folgenden Wirtschaftskrise und nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zusammengehalten.

Die Kommission ist heute eine geopolitische Kommission, was zunächst eher Spruch als Anspruch war. Es gibt eine Nummer in Europa, die US-Präsident Joe Biden anruft. Von der Leyen hat dessen Nähe gesucht, ohne die Interessen der Europäischen Union zu opfern. Sie hat geschickt das „De-Risking“ von China ausgerufen statt der von den USA verlangten Entkoppelung. Parallel hat von der Leyen ihr ursprüngliches Programm, den „Green Deal“ und die Bändigung der Digitalkonzerne, konsequent – manche sagen stur – durchgesetzt.

In ihre erste Amtszeit fällt aber zugleich der große Sündenfall der EU-Politik: der erstmals im großen Stil durch gemeinsame Schulden finanzierte Corona-Fonds. Der hat sich nicht nur als überdimensioniert erwiesen. Von der Leyen hat die Büchse der Pandora geöffnet. Es vergeht keine noch so kleine Krise mehr ohne Forderung nach einem neuen Schuldenfonds.

Vernachlässigt hat von der Leyen die Grundlage für den Wohlstand der EU: die Wettbewerbsfähigkeit. Wirtschaftspolitik ist für sie Industriepolitik à la française. Statt auf unternehmerische Freiheit setzt sie vor allem auf staatliche Feinsteuerung und auf Staatshilfen, ob es nun um Halbleiter oder grüne Technologien geht.

Handelspolitik spielt zwar in jeder Rede eine Rolle. Sie macht aber zu wenig gegen den um sich greifenden Protektionismus und übertriebene moralisch-grüne Ansprüche an Handelsverträge. Im Gegenteil: Mit dem nun immerhin gestoppten Lieferkettengesetz hat sie das sogar gefördert. Die Gesetze zur Digitalisierung, allen voran der „AI Act“ zur Künstlichen Intelligenz, sind defensiv auf die Abwehr der amerikanischen Übermacht ausgerichtet. Sie bremsen Innovationen in der EU eher.

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Der „Green Deal“ ist getränkt vom Irrglauben, dass Klimaschutz am besten durch kleinteilige Verbote und Auflagen erreicht wird. Die Wirtschaft ächzt unter der Bürokratie. 50 Gesetze hat das Projekt umfasst. Da hilft es dann nichts mehr, wenn von der Leyen nun den Bürokratieabbau ausruft und Mittelstandsbeauftragte ernennt.

Das sind nur Hülsen. Auch das ist ein „La von der Leyen“: Politik per Schlagwort. Griffige Formeln, deren Inhalt sie oft sichtlich nicht interessiert. Hauptsache ist, es klingt gut. Das gilt auch für den jüngst angekündigten „Green Deal 2.0“, mit dem die EU die wirtschaftlichen Früchte – gibt es die? – des Klimaschutzes ernten soll. Letztlich steht von der Leyen grünen Industriepolitikern wie Wirtschaftsminister Robert Habeck näher als dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Die Christdemokraten sind in einer Zwickmühle. Stoppen können sie „ihre“ Präsidentin kaum.

Umso mehr müssen sie Zusagen verlangen: eine Regulierungspause, einen echten Bürokratieabbau, eine Handelspolitik ohne Moralkeule. Die Rücknahme des Verbrennerverbots wäre ein symbolisch guter Anfang. Dann gäbe es gute Gründe dafür, von der Leyen in einer zweiten Amtszeit zeigen zu lassen, dass sie nicht nur Krise, sondern auch Alltag kann.

QOSHE - Von der Leyen muss auch Alltag können - Hendrik Kafsack, Brüssel
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Von der Leyen muss auch Alltag können

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19.02.2024

Die Aufmerksamkeit ist Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an diesem Montag sicher. Beim Besuch des CDU-Präsidiums hat sie angeküdigt, dass sie als Spitzenkandidatin in die Europawahl im Juni ziehen will. Dabei ist das keine Nachricht. Die Choreographie ihrer Kandidatur ist seit Wochen so bekannt wie „Le Robben“, so unvermeidbar, wie Arjen Robben nach innen zog und dann mit links ins lange Eck abschloss.

Auch alles Weitere ist vorgezeichnet: Im März werden die europäischen Christdemokraten sie nominieren. Aus den Wahlen gehen sie wohl wieder als stärkste Partei hervor. Anschließend werden die Staats- und Regierungschefs – vielleicht begleitet von Viktor-Orbán-Störfeuer – sie als Präsidentin bestätigen. Das Europaparlament wird – begleitet vom Störfeuer der erstarkten Rechten – nachziehen. Im Herbst beginnt dann ihre zweite Amtszeit. „La von der Leyen“, so vorhersehbar und dennoch so unvermeidbar.

Was der Wähler damit nicht weiß, ist, warum von der Leyen die zweite Amtszeit anstrebt? Warum ausgerechnet sie die richtige Kommissionspräsidentin ist, um die großen wirtschaftlichen Herausforderungen anzugehen, vor denen die EU........

© Frankfurter Allgemeine


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