Geert Wilders ist nicht der erste rechtspopulistische Anführer, der es nach langen Märschen durch die Täler und über die Gipfel der Protestpolitik mit Mäßigung versucht, sobald die Macht in greifbare Nähe rückt. Das bekannteste Beispiel dafür ist derzeit die Französin Marine Le Pen, die sich unter anderem durch Abgrenzung zur AfD und zur noch extremeren rechten Konkurrenz im eigenen Land als respektable Kraft präsentiert. Die „Postfaschistin“ ­Giorgia Meloni, die seit anderthalb Jahren Italien regiert, dient nicht nur ihr als Vorbild.

Bei Wilders liegt die Sache allerdings etwas anders. Dass er seit der Parlamentswahl, die er im November mit 24 Prozent der Stimmen klar gewann, ebenfalls viel zahmer auftritt, hat er selbst offenherzig als taktisches Manöver beschrieben.

Seinen radikalsten Thesen hat er nicht etwa abgeschworen, sondern er hat sie „auf Eis gelegt“, um überhaupt die Chance auf Koalitionspartner zu haben. Nach zwanzig Jahren als Enfant terrible der Haager Politik wollte er diese endlich maßgeblich bestimmen. Also ist er bereit, nicht mehr alles aus der Prämisse abzuleiten, dass der Islam keine Religion sei, sondern eine „faschistische Ideologie“; also redet er nicht mehr der Abschaffung des Diskriminierungsverbots in der Verfassung das Wort – bis auf weiteres.

Läuterung sieht anders aus. Die anderen Rechtsparteien hatten deshalb gute Gründe, sich einer Koalitionsregierung unter Wilders’ Führung zu verweigern. Sie hatten aber ebenso gute Gründe, Wilders’ nicht grundsätzlich als Partner auszuschließen, sondern mit ihm nach einem Weg zu suchen, eine rechte Koalition zuwegezubringen.

Da ist Eigennutz im Spiel, aber auch die Achtung des Wählerwillens: Die Niederländer hatten im November unzweideutig einen politischen Rechtsruck verlangt. Wer in der Wahlnacht noch von einem Unfall ausging, den erinnert seither jede neue Meinungsumfrage daran: Würde neu gewählt, bekäme Wilders wohl noch viel mehr Stimmen. Eine Regierung unter Führung der sozialdemokratisch-grünen Wahlverlierer würde auf viele Bürger daher wie eine Ohrfeige wirken. Besonders in der Migrationspolitik wünschen sich viele eine Wende.

Ob sich die vier Parteien nach dem Verzicht aller Spitzenkandidaten auf Regierungsämter nun tatsächlich einig werden über die Leitplanken einer neuen Politik, ist aber noch nicht ausgemacht. Und selbst wenn ihnen dieser Schritt im Dienste der Sache gelingt, müssten sie sich noch auf das Personal verständigen, das in einer „außerparlamentarischen Regierung“ diese Ziele erfüllen soll. Vorbilder gibt es dafür nicht.

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Für Wilders rächt sich, dass er seine „Freiheitspartei“ seit bald zwei Jahrzehnten als Ein-Mann-Laden ohne Mitglieder führt. Er hat keine starken Leute aufgebaut, auf die er nun zurückgreifen könnte, um doch noch eine Art „Wilders-Regierung ohne Wilders“ zu schaffen. Aus demselben Grund profitiert er allerdings von dem gegenseitigen Rückzugspakt der vier Parteiführer: Als Fraktionschef kann er die vielen Neulinge der Freiheitspartei im Parlament bändigen, wie er es seit Jahren mit harter Hand getan hat.

Dass aus alledem eine stabile Regierung entsteht, welche die Niederlande nach dem endgültigen Abschied des Rechtsliberalen Mark Rutte auf Jahre hinaus durch die Krisen der Gegenwart steuert, dürfte selbst in den vier verhandelnden Parteien kaum jemand erwarten. Im Moment aber leisten sie schon viel, wenn sie einen Weg finden, den Wählerwillen zu respektieren, ohne ihre demokratischen Werte über Bord zu werfen.

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Wilders und der Wählerwille

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14.03.2024

Geert Wilders ist nicht der erste rechtspopulistische Anführer, der es nach langen Märschen durch die Täler und über die Gipfel der Protestpolitik mit Mäßigung versucht, sobald die Macht in greifbare Nähe rückt. Das bekannteste Beispiel dafür ist derzeit die Französin Marine Le Pen, die sich unter anderem durch Abgrenzung zur AfD und zur noch extremeren rechten Konkurrenz im eigenen Land als respektable Kraft präsentiert. Die „Postfaschistin“ ­Giorgia Meloni, die seit anderthalb Jahren Italien regiert, dient nicht nur ihr als Vorbild.

Bei Wilders liegt die Sache allerdings etwas anders. Dass er seit der Parlamentswahl, die er im November mit 24 Prozent der Stimmen klar gewann, ebenfalls viel zahmer auftritt, hat er selbst offenherzig als taktisches Manöver beschrieben.

Seinen radikalsten Thesen hat er nicht etwa abgeschworen, sondern er hat sie „auf Eis gelegt“, um überhaupt die Chance auf Koalitionspartner zu........

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