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Der Europäische Gerichtshof folgt seiner Linie und kippt die deutschen Vorschriften. Zur Kriminalitätsbekämpfung sollte es dennoch schnell eine Regelung geben.

20.09.2022, 18:12 Uhr

Aus, erledigt: Die Vorratsdatenspeicherung ist in der Luxemburger Justizmühle zu Staub zermahlen worden. Eine allumfassende, präventive Sammlung von Verbindungs- und Standortdaten, die bei der täglichen Telekommunikation anfallen, ist als solche mit EU-Recht unvereinbar, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag geurteilt.

Der Gerichtshof bekräftigt damit seine Linie zum Datenschutz und zur Achtung des Rechts auf Privatheit. Europa, das ist aus Luxemburger Warte eben nicht nur eines aus Kommission, Rat und Parlament, sondern eines von Bürgerinnen und Bürgern, die über Grundrechte verfügen.

Eine erfreuliche, wie wohl erwartete Klarstellung. Denn dies war weder der erste Durchgang noch wird es der letzte sein. Seit nunmehr 15 Jahren begleitet das Vorhaben die sicherheitspolitische Diskussion, dessen Grundgedanke nie falsch war: Weil sich, wie alles andere, auch Terror und Verbrechen ins Digitale verlagern, muss Spurenverfolgung dort möglich sein.

Telekommunikations-Verbindungsdaten, einschließlich Standortdaten bei der Handynutzung, sind solche Spuren. Das Problem ist nur, dass zwischen verdächtigen und unverdächtigen nicht nach äußerem Anschein unterschieden werden kann. Also meinte die europäische Politik die Mitgliedstaaten per Richtlinie verpflichten zu müssen, zunächst einmal alles speichern zu lassen. Auf Vorrat, bis man es braucht.

Der Konflikt war programmiert im hochdynamischen Umfeld der Digitalisierung.

Das war immer auch ein Versuch. Denn Sicherheitsbelange und Kriminalitätsbekämpfung fallen traditionell in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, während Datenschutz ein EU-Thema ist. Konflikt war also programmiert, und dies im hochdynamischen Umfeld der Digitalisierung, in dem sich das Recht bekanntlich verzögert entwickelt.

Mittlerweile weiß man: So, wie es gemacht wurde, war es ein Fehler. Das Bundesverfassungsgericht hatte das deutsche Umsetzungsgesetz schon 2010 beanstandet, ein paar Jahre später kippte der EuGH die Richtlinie ganz. Der Grund war und ist die fehlende Verhältnismäßigkeit.

Die Datenspuren erlauben es, komplette Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Ein praktisch unbegrenzter Zugriff für Polizei und Strafverfolger, auch auf ein paar Wochen befristet, verträgt sich mit solchen Vorgaben schlecht. Die große Koalition unternahm dennoch einen neuen Anlauf, der jetzt endgültig gescheitert ist.

Häufig ist von „Massenüberwachung“ die Rede, die die Vorratsdatenspeicherung nie war oder ihrer Konzeption nach werden sollte. Weder sollten Inhalte von Gesprächen belauscht werden noch Daten für den behördlichen Zugriff ständig verfügbar sein.

Es ging lediglich darum, sie gesichert abrufbar zu halten, wenn dies für Ermittlungszwecke notwendig würde. Und notwendig kann so etwas werden. Das hat auch der EuGH eingesehen und sein striktes Nein 2020 mit einem Urteil revidiert, das er nun fortschreibt. Ausnahmen sind zur Kriminalitätsbekämpfung möglich, wenn Daten zielbezogen erhoben werden, also in einem Zusammenhang mit bestimmten Orten oder Personenkategorien stehen.

Internet-IP-Adressen sollen – befristet – umfassend gespeichert werden können, ebenso Identitätsdaten der Nutzer. Das ist sinnvoll, gerade zur Strafverfolgung bei Kinderpornografie. Ohnehin zulässig ist die Vorratsdatenspeicherung bei Gefahren für die nationale Sicherheit.

Es steckt also einiges drin in diesem Katalog, das ausgeschöpft werden kann und sollte. Es ist mehr als das vom Bundesjustizminister Buschmann (FDP) favorisierte – und jetzt vom EuGH ausdrücklich gebilligte – „Quick-Freeze“-Verfahren, das Sichern von Verkehrs- und Standortdaten auf behördliche Einzelanweisung. Und es ist weniger, als man sich im Bundesinnenministerium all die Jahre erhofft hat, nicht erst unter Ministerin Nancy Faeser (SPD).

Das Kunststück besteht nun darin, in der Koalition, die sich ausdrücklich dazu bekannt hat, „Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung“ zu schaffen, alle Beteiligten als Sieger erscheinen zu lassen. Es sollte gelingen.

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Eine erfreuliche, erwartete Klarstellung : Die EU-Justizmühle zermahlt die Vorratsdatenspeicherung zu Staub

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19.11.2023

© dpa / Christian Charisius

Der Europäische Gerichtshof folgt seiner Linie und kippt die deutschen Vorschriften. Zur Kriminalitätsbekämpfung sollte es dennoch schnell eine Regelung geben.

20.09.2022, 18:12 Uhr

Aus, erledigt: Die Vorratsdatenspeicherung ist in der Luxemburger Justizmühle zu Staub zermahlen worden. Eine allumfassende, präventive Sammlung von Verbindungs- und Standortdaten, die bei der täglichen Telekommunikation anfallen, ist als solche mit EU-Recht unvereinbar, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag geurteilt.

Der Gerichtshof bekräftigt damit seine Linie zum Datenschutz und zur Achtung des Rechts auf Privatheit. Europa, das ist aus Luxemburger Warte eben nicht nur eines aus Kommission, Rat und Parlament, sondern eines von Bürgerinnen und Bürgern, die über Grundrechte verfügen.

Eine erfreuliche, wie wohl erwartete Klarstellung. Denn dies war weder der erste Durchgang noch wird es der letzte sein. Seit nunmehr 15 Jahren begleitet das Vorhaben die sicherheitspolitische Diskussion, dessen Grundgedanke nie........

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