Der Bundesrat hat überreagiert: An geltenden Gesetzen vorbei hat er sich einen Persilschein ausgestellt, um in der Aargauer Gemeinde Birr ein Notkraftwerk zu erstellen. Und das, ohne plausibel darlegen zu können, dass im Winter 2022/23 tatsächlich eine schwere Energiemangellage drohe. Ein verfassungsrechtlicher Skandal, der sich nicht wiederholen darf!

Gewiss, man kann aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts diesen Schluss ziehen. Doch diese Sicht blendet zweierlei aus. Zum einen war die Situation im Herbst 2022 zweifelsohne unberechenbar. Die Energiemärkte: spielten verrückt. Alternativen zu russischem Gas: fieberhaft gesucht. Eine Gasmangellage und als Folge davon weniger Stromproduktion: eine reale Möglichkeit.

Der Bundesrat stand entsprechend unter Druck. Wie schon während der Pandemie musste er auf weitgehend unbekanntem Terrain potenziell weitreichende Entscheide fällen. Eine Energiemangellage war bis vor dem Ukraine-Krieg nicht nur hierzulande ein praktisch unvorstellbares Szenario.

Im Nachhinein ist es ein Leichtes, dem Bundesrat Vorwürfe zu machen. Doch unter welchen Umständen und ab wann genau eine «unmittelbar drohende schwere Mangellage» herrscht – diese Frage kann auch nach dem Urteil zu Birr niemand genau beantworten. Zumal etwaige Gegenmassnahmen frühzeitig aufgegleist werden müssen. Letztlich geht es um eine Risikoabwägung, welche die Politik machen muss.

Was das Urteil dagegen klargemacht hat: Eine mögliche Mangellage rechtfertigt nicht jede Umweltbelastung, wie sie etwa von fossilen Kraftwerken ausgeht. Der Bundesrat muss also in solchen Fällen künftig genau prüfen, ob es weniger umweltschädliche Alternativen gibt.

Klimaschützer drängen denn auch auf Alternativen, etwa eine Erhöhung der Wasserkraftreserve, die im Notfall abrufbereit wäre. Der Fall Birr gibt ihnen nun ein neues Argument in dieser Auseinandersetzung. Fossile Kraftwerke als Notfallanker waren schon vor dem Urteil zu Birr umstritten. Nun sind sie es mehr denn je.

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QOSHE - Bitte etwas Verständnis für den Bundesrat - Stefan Häne
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Bitte etwas Verständnis für den Bundesrat

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23.02.2024

Der Bundesrat hat überreagiert: An geltenden Gesetzen vorbei hat er sich einen Persilschein ausgestellt, um in der Aargauer Gemeinde Birr ein Notkraftwerk zu erstellen. Und das, ohne plausibel darlegen zu können, dass im Winter 2022/23 tatsächlich eine schwere Energiemangellage drohe. Ein verfassungsrechtlicher Skandal, der sich nicht wiederholen darf!

Gewiss, man kann aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts diesen Schluss ziehen. Doch diese Sicht blendet zweierlei aus. Zum einen war die........

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