Vor Kurzem stolperte ich in meinem täglichen medialen Jauchebad über eine Headline, die mir einen genuinen spontanen Glücksmoment bereitete. Sie lautete: „Berlin: Homophober Pöbler mit Kaffee übergossen.“

Okay, ein paar Punkte muss ich für die mittlerweile anachronistische Nutzung des Wortes „homophob“ abziehen – it’s not a phobia, they’re just assholes –, aber im Kern ist hier etwas Wichtiges und Gutes passiert: Ein Queerhasser versuchte, seine Macht gegenüber uns auszuspielen, uns verbal abzuwerten, in der symbolischen Hierarchie auf unseren untergeordneten Platz zu verweisen – und bekam darauf eine illegale, disproportionale und hoffentlich (wie heiß der Kaffee wohl war?) entsprechend schmerzhafte Antwort.

In den sozialen Medien begann danach natürlich sofort die übliche Debatte, die immer dann beginnt, wenn auf die alltägliche, alle Queers betreffende Gewalt eine zulangende Antwort formuliert wird.

Es ging um zwei Punkte: Erstens wurde darauf hingewiesen, dass die Kaffeeschütterin vom Queerhasser, von dem die ursprüngliche Aggression ausging, mehrfach gegen den Kopf geschlagen wurde. Zweitens wurde darauf verwiesen, dass die Reaktion, der körperliche Übergriff als Antwort auf eine verbale Beleidigung, doch unverhältnismäßig sei, dass man doch auf Beleidigungen nie mit körperlicher Gewalt reagieren dürfe. Was mich wiederum zur Gegenfrage veranlasst: Wieso eigentlich nicht?

Die Annahme, dass Reaktionen auf Übergriffe – welcher Art auch immer – proportional, verhältnismäßig und im Rahmen des geltenden Regelwerks regelkonform sein müssen, basiert auf einer nicht (mehr?) korrekten Annahme: Dass es ein allgemeingültiges gesellschaftliches Regelwerk gibt, an das sich alle halten. Das alle bindet, weil es alle schützt (wer das glaubt, der oder dem würde ich gerne noch ein paar Bitcoins verkaufen).

Der stetige Anstieg antiqueerer Gewalt, der gesellschaftliche Rechtsruck (oder auch Aufstieg des Faschismus), der zunehmend irrational-postfaktische Charakter jeder gesellschaftlichen Debatte ist eher gleichbedeutend mit der Auflösung eben genau dieses gemeinsamen Regelwerks. Außerdem banden uns diese Regeln immer mehr als die anderen, schützten nicht uns, sondern diejenigen, von denen Gewalt ausging. Sie sanktionierten unsere „Perversion“, aber nicht deren Gewalt.

Wenn also die Gesellschaft aus queerer, aus subalterner Perspektive immer mehr ein regelfreier Raum wird, dann müssen wir andere Analogien nutzen, um daraus Strategien abzuleiten.

Hier mein Vorschlag: Was haben Schulhöfe und Gefängnisinnenhöfe (zumindest die, die wir aus Film, Funk und Fernsehen kennen) gemeinsam? Richtig, in beiden Fällen gelten keine gemeinsamen Regeln, es ist ein „free for all“, und dort ist klar: Wer nicht die ganze Zeit gemobbt werden will, muss den anderen zeigen, „wer mich angreift, kriegt von mir mit allem, was ich habe, aufs Maul“.

Daher der bekannte Ratschlag, man solle im Gefängnishof gleich am ersten Tag den größten und gemeinsten Kerl angreifen. Nicht, weil man wahrscheinlich gewinnt. Sondern, um den anderen zu zeigen, dass man im Falle eines Angriffs mit Gewalt zurückschlagen kann. Nur so lernen andere, dass es irrational ist, uns anzugreifen.

Und es ist tatsächlich einer meiner innigsten Wünsche, dass irgendwann nicht mehr wir Queers die Queerhasser fürchten – sondern umgekehrt.

Tadzio Müller ist Queeraktivist. Im Newsletter friedlichesabotage.net schreibt er gegen den „Normalwahnsinn“ an. Für den Freitag schreibt er abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Elsa Koester und Alina Saha die Kolumne „Super Safe Space“.

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Kolumne | Queerfeindlichkeit: Gewalt erzeugt Gegengewalt

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24.03.2024

Vor Kurzem stolperte ich in meinem täglichen medialen Jauchebad über eine Headline, die mir einen genuinen spontanen Glücksmoment bereitete. Sie lautete: „Berlin: Homophober Pöbler mit Kaffee übergossen.“

Okay, ein paar Punkte muss ich für die mittlerweile anachronistische Nutzung des Wortes „homophob“ abziehen – it’s not a phobia, they’re just assholes –, aber im Kern ist hier etwas Wichtiges und Gutes passiert: Ein Queerhasser versuchte, seine Macht gegenüber uns auszuspielen, uns verbal abzuwerten, in der symbolischen Hierarchie auf unseren untergeordneten Platz zu verweisen – und bekam darauf eine illegale, disproportionale und hoffentlich (wie heiß der Kaffee wohl war?) entsprechend schmerzhafte Antwort.

In den sozialen Medien begann danach natürlich sofort die übliche Debatte, die immer dann beginnt, wenn auf die alltägliche, alle Queers betreffende Gewalt eine zulangende........

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