Tadzio Müller ist Queeraktivist. Im Newsletter friedlichesabotage.net schreibt er gegen den „Normalwahnsinn“ an. Für den Freitag schreibt er abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Elsa Koester und Alina Saha die Kolumne „Super Safe Space“.

Es gibt Momente in politischen Debatten, in denen plötzlich ganz komische Allianzen entstehen. Wo Akteure, die sich üblicherweise einen feuchten Kehricht um, zum Beispiel, „das Los des kleinen Mannes“ scheren, plötzlich zu genau seinen Verteidiger*innen werden – siehe FDP in der Klimadebatte. Eigentlich geht es denen nicht um die Armen in Deutschland und deren Lebensqualität, denn wenn das so wäre, dann würde sich diese Sorge auch in ihren anderen Handlungen, Statements und politischen Vorschlägen ausdrücken.

Etwas Ähnliches passiert derzeit (mal wieder) in der Debatte um das Verhältnis von queerfeindlicher Gewalt zur Migration. Wie auch in der Debatte um Antisemitismus versucht die deutsche Verdrängungsgesellschaft derzeit, die Schuld für (mithin auch die Scham über) ihren eigenen, gelegentlich militanten Queerhass, ihren an manchen Tagen exterminatorischen anti-trans Hass, auf Menschen mit Migrationshintergrund zu projizieren – um so ihre Ausländerfeindlichkeit zu legitimieren: „Guckt mal, ihr Linksgrünversifften, die Ausländer sind böse!“ Auf diese Weise wollen sie sich von ihrer eigenen, sozusagen autochthonen Queerfeindlichkeit reinwaschen. Denn: Die Verdrängungsgesellschaft kann ihre ethischen Defizite nur und ausschließlich in der Projektion auf andere wahrnehmen.

Wie sieht’s also aus mit der Queerfeindlichkeit in Deutschland? Wird sie vor allem aus Ländern, in denen der Islam kulturell dominant ist, importiert? Zuerst einmal anekdotische Erkenntnisse: Ja, der junge Mann, der letztes Jahr in Münster den trans Mann und Demo-Ordner Malte mit einem Faustschlag tötete, hatte Migrationshintergrund. Wahr ist aber auch, dass zum Beispiel in Döbeln (Sachsen) oder Halle (Sachsen-Anhalt) CSDs von biodeutschen Nazis angegriffen wurden.

Eine aktuelle LSVD-Studie zu queerfeindlicher Hasskriminalität stellt mit Bezug auf das Bundesinnenministerium (BMI) fest: „Es gibt kaum empirische Daten zu Täter*innen und ihren Motiven. Die meisten Hassdelikte gegen LSBTIQ* werden in der BMI-Statistik keinem politischen Phänomenbereich zugeordnet.“ Danach folge mit großem Abstand zu den anderen Phänomenbereichen der Bereich ‚rechts‘. Kurz: Wir können die Frage, woher die kommen, die Queers angreifen, nicht beantworten. Diejenigen, die jetzt in der Debatte um queerfeindliche Gewalt Krokodilstränen vergießen und die das Leid auf die (für sie) gefühlt zunehmende Präsenz von Menschen mit Migrationshintergrund im Land schieben, sind diejenigen, die uns Queers Rechte wegnehmen wollen. Es sind die, die Bibliotheksvorlesungen für Jugendliche von Dragqueens angreifen und delegitimieren und die Horrorgeschichten über trans Frauen in Saunen und Umkleiden erzählen. Wie sagte Obi-Wan? „These aren’t the allies you’re looking for.“

Queerfeindlichkeit ist kein deutsches Phänomen, auch wenn es sicherlich spezifisch deutsche Ausformungen davon gibt; sie ist kein islamisches Problem, auch wenn es sicherlich spezifisch islamische Ausformungen davon gibt; sie ist kein christliches Problem, auch wenn es sicherlich spezifisch christliche Ausformungen davon gibt. Ob der Queerhasser aus Deutschland oder Tschetschenien, aus Uganda oder den USA stammt, ob er mich in einer westdeutschen Großstadt oder einem ostdeutschen Kaff angreift, ist am Ende egal. Wichtig ist, dass wir uns verteidigen können und dass wir echte Allies an unserer Seite haben. Nicht die, die uns, wäre die politische Lage anders, ihrer Basis zum Fraß vorwerfen würden.

QOSHE - Kolumne | Falsche Freunde: Wieso Rechte vor islamischer Queerfeindlichkeit warnen - Tadzio Müller
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Kolumne | Falsche Freunde: Wieso Rechte vor islamischer Queerfeindlichkeit warnen

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11.11.2023

Tadzio Müller ist Queeraktivist. Im Newsletter friedlichesabotage.net schreibt er gegen den „Normalwahnsinn“ an. Für den Freitag schreibt er abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Elsa Koester und Alina Saha die Kolumne „Super Safe Space“.

Es gibt Momente in politischen Debatten, in denen plötzlich ganz komische Allianzen entstehen. Wo Akteure, die sich üblicherweise einen feuchten Kehricht um, zum Beispiel, „das Los des kleinen Mannes“ scheren, plötzlich zu genau seinen Verteidiger*innen werden – siehe FDP in der Klimadebatte. Eigentlich geht es denen nicht um die Armen in Deutschland und deren Lebensqualität, denn wenn das so wäre, dann würde sich diese Sorge auch in ihren anderen Handlungen, Statements und politischen Vorschlägen ausdrücken.

Etwas Ähnliches passiert derzeit (mal wieder) in der Debatte um das Verhältnis von queerfeindlicher Gewalt zur Migration. Wie........

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