Das Jahr 2028 hat für uns nicht gut angefangen. Das neue Remigrationsgesetz hat auch vor meiner Familie nicht haltgemacht. Seit zwei Wochen fehlt Papa: Der Regierung zufolge ist für Menschen wie ihn hier kein Platz mehr. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat im Dezember 2023 letztmals aktualisierte Fakten zur Einwanderung in Deutschland veröffentlicht. Mit rund 23,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund hat mehr als ein Viertel der Menschen in diesem Land eine eigene oder eine über mindestens einen Elternteil mitgebrachte Zuwanderungsgeschichte. Ich sollte besser „hatte“ sagen.

Auch in unserem Viertel, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft jahrzehntelang gemeinsam einen Mikrokosmos gestaltet hatten, in dem sich alle wohlfühlen konnten, hat sich eine Bürgerwehr nach sächsischem Vorbild gegründet. Sie hat das Viertel zur „Schutzzone für Deutsche“ erklärt und patrouilliert in der Gegend.

Wann dieser Albtraum angefangen hat, ist schwer zu sagen. Aber ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem wir den deutschen Pass und die Einbürgerungsurkunde meines Mannes akribisch abfotografiert und in mehreren Clouds hinterlegt hatten. „Das beweist doch, dass ich seit über 30 Jahren ein Deutscher bin“, hatte er damals trotzig gesagt. Ich fand es damals fast ein bisschen albern: Er war im Alter von sieben Jahren aus Ankara als typisches Gastarbeiterkind ins Rheinland gekommen und hatte die türkische Staatsbürgerschaft so schnell es ging gegen die deutsche eingetauscht, wie so viele andere.

Sein Türkisch ist so schlecht, dass seine Eltern, die tatsächlich nur gebrochen Deutsch sprechen, darüber schmunzeln. Jetzt ist mir eher nach Weinen zumute: Ich habe seit dem 2. Januar nichts mehr von ihm gehört. Ob sie ihn wirklich nach Nordafrika gebracht haben? Es heißt ja, dass es dort Camps geben soll. Bei der Polizei komme ich auch mit den Urkunden nicht weiter, obwohl da kaum jemand fehlt. Bei der Bundespolizei hatten im Januar 2022 gerade mal 3,4 Prozent der Beamtinnen und Beamten einen Migrationshintergrund.

Ich bin täglich im Austausch mit der spendenfinanzierten Beratungsstelle für Frauen und Männer in einer ähnlichen Situation, aber die werden mit Anfragen überrannt. Unseren Kindern sage ich, dass ihr Vater bald wieder da sein wird. Wir leben hier doch immer noch in einem demokratischen Rechtsstaat, oder nicht?

Anfang 2024 hatte die Investigativ-Plattform Correctiv über ein Geheimtreffen führender Rechtsextremisten berichtet. Diese hatten einen Masterplan zur „Remigration“ geschmiedet, demzufolge selbst Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft nicht vor ethnisch bedingten Abschiebungen gefeit sein sollten. „Wer sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, ist ein Fall für unseren Verfassungsschutz und die Justiz“, ließ der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz verlautbaren. Die Menschen in meiner Blase hatten das wochenlang diskutierte Verbot der sogenannten Alternative für Deutschland zu früh gefeiert. Während Wissenschaftler der Uni Hohenheim und das Meinungsforschungsinstitut Forsa im August 2023 noch festgestellt hatten, dass „nur“ rund ein Fünftel alle Bürgerinnen und Bürger ein geschlossen rechtspopulistisches Weltbild hätten, bildete die AfD als stärkste Kraft bei den Bundestagswahlen 2025 gemeinsam mit der Werteunion eine ultra-rechte Regierungskoalition.

Seitdem werden die angekündigten Vorhaben umgesetzt, mit katastrophalen Folgen: Fast ein Viertel (22,5 Prozent) aller hier beschäftigten Fachkräfte in der Gesundheitsversorgung hatten laut Mikrozensus 2019 eine eigene oder familiäre Einwanderungsgeschichte. Die Krankenhäuser können den Betrieb nur notdürftig aufrechterhalten. Fast Zweidrittel aller Restaurants haben geschlossen. Die Betreiber der Pizzerien, Sushi- und Dönerläden sind nicht mehr da. Die S-Bahnen fahren seltener, weil die Fahrerinnen und Fahrer fehlen. Wie sollen wir dem Fachkräftemangel, der in den vergangenen Jahren zu einem der größten Probleme der deutschen Wirtschaft geworden ist, denn jetzt noch begegnen? Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hielt im Juni 2023 eine Nettozuwanderung von mindestens 400.000 Personen im Jahr für notwendig.

Gerade gestern habe ich ein Schreiben erhalten, dass meine elfjährige Tochter nun in einer Ausländerklasse unterrichtet werden soll. Dort sollen Kinder mit Migrationshintergrund künftig konzentriert werden. Niemand weiß, wie es weitergehen soll. 13 Prozent der Lehrkräfte in Deutschland haben selbst Einwanderungsgeschichte. Auch hier fehlen schon viele. Durch den Sport zieht es sich schon länger: Mein Sohn spielt nun nicht mehr in der Ersten, sondern in der Migranten-Mannschaft Fußball. In der Nationalmannschaft fehlen Gündoğan, Sané, Gnabry, Rüdiger und viele andere. Dabei war Emre Can noch Anfang 2024 zum Nationalspieler des Jahres gewählt worden. Mein Sohn will nicht mehr Fußball spielen. Er ist wütend. Bei der nächsten Bundestagswahl wäre er volljährig, kann seine Stimme dann möglicherweise aber nicht mehr abgeben. Es soll eine „ethnische Wahl“ etabliert werden.

Im Radio laufen nur noch Schlager und Rechtsrock. Schon 2016 hatte die AfD die Kündigung des Rundfunkstaatsvertrages in zehn Bundesländern beantragt, nun hat sie es geschafft. Den Medienstaatsvertrag gibt es nicht mehr, stattdessen etwas, das sie „Grundfunk“ nennen. Von Medienvielfalt und ausgewogener Berichterstattung kann da keine Rede sein. Dabei legte das Bundesverfassungsgericht schon 1961, also vor 67 Jahren, in seinem ersten Rundfunkurteil fest, dass der Rundfunk „weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert“ werden dürfe. Mich trifft das auch persönlich: Ich soll jetzt unverfänglich über Volksgesundheit schreiben, sagt mein Chef.

Im Internet mehren sich natürlich die Gegenstimmen. Aber wie lange noch? Es ist kein Menschenleben her, dass Joseph Goebbels, der Propagandaminister der NSDAP, seine Verachtung für die Demokratie auf den Punkt gebracht hat: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen.“ Ich kann nicht glauben, dass wir ein zweites Mal auf solche Strategien hereingefallen sind.

Der evangelische Pfarrer Martin Niemöller hatte die Nationalsozialisten nach anfänglichen Sympathien öffentlich immer wieder kritisiert und dafür acht Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern verbracht. Er resümierte: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ Wie konnten wir zulassen, dass alles ein zweites Mal passiert?

QOSHE - Rechtsextremismus | Geheimplan zur Abschiebung von Millionen Menschen: Albträume für Deutschland - Kristina Kara
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Rechtsextremismus | Geheimplan zur Abschiebung von Millionen Menschen: Albträume für Deutschland

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15.01.2024

Das Jahr 2028 hat für uns nicht gut angefangen. Das neue Remigrationsgesetz hat auch vor meiner Familie nicht haltgemacht. Seit zwei Wochen fehlt Papa: Der Regierung zufolge ist für Menschen wie ihn hier kein Platz mehr. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat im Dezember 2023 letztmals aktualisierte Fakten zur Einwanderung in Deutschland veröffentlicht. Mit rund 23,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund hat mehr als ein Viertel der Menschen in diesem Land eine eigene oder eine über mindestens einen Elternteil mitgebrachte Zuwanderungsgeschichte. Ich sollte besser „hatte“ sagen.

Auch in unserem Viertel, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft jahrzehntelang gemeinsam einen Mikrokosmos gestaltet hatten, in dem sich alle wohlfühlen konnten, hat sich eine Bürgerwehr nach sächsischem Vorbild gegründet. Sie hat das Viertel zur „Schutzzone für Deutsche“ erklärt und patrouilliert in der Gegend.

Wann dieser Albtraum angefangen hat, ist schwer zu sagen. Aber ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem wir den deutschen Pass und die Einbürgerungsurkunde meines Mannes akribisch abfotografiert und in mehreren Clouds hinterlegt hatten. „Das beweist doch, dass ich seit über 30 Jahren ein Deutscher bin“, hatte er damals trotzig gesagt. Ich fand es damals fast ein bisschen albern: Er war im Alter von sieben Jahren aus Ankara als typisches Gastarbeiterkind ins Rheinland gekommen und hatte die türkische Staatsbürgerschaft so schnell es ging gegen die deutsche eingetauscht, wie so viele andere.

Sein Türkisch ist so schlecht, dass seine Eltern, die tatsächlich nur gebrochen Deutsch sprechen, darüber schmunzeln. Jetzt ist mir eher nach Weinen zumute: Ich habe seit dem 2. Januar........

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