Ein Jahr noch dann werden die USA gewählt haben. Trotz vorsichtiger Stimmen, Joe Biden solle aus Alters- und Vitalitätsgründen jemanden anderen machen lassen, hat sich die Realität festgesetzt, dass der am 20. November seinen 81. Geburtstag Feiernde wieder antritt. Dabei war er 2020 nach vier Jahren Donald Trump eher als normalisierender Übergangspräsident gedacht.

Bei den Demokraten wächst die Sorge, die Meinungsumfragen sind katastrophal. Bidens Haltung zum Krieg in Nahost könnte zusätzlich zum Problem werden. Nach dem mörderischen Angriff der Hamas war das große Ja zum israelischen Premier Benjamin Netanjahu selbstverständlich, nur was als Loyalität und Stärke galt, könnte inzwischen auch als Schwäche interpretiert werden. Außenminister Antony Blinken reiste tagelang durch Israel und die Region, wohl auch um die israelischen Streitkräfte zu bremsen, und kehrte ohne bedeutende öffentliche Zusagen zurück.

Außenpolitik ist gewöhnlich kein bestimmendes Wahlthema, doch Bidens Nahostpolitik kommt schlecht an bei vielen jungen Studierenden und einem Kern der Demokraten. Sie erleben, dass ihr Präsident in einem Krieg Partei ergreift, in dem die von den USA unterstützte Militärmacht massiv Bomben auf Wohnsiedlungen wirft. Berichte von Tausenden toten Palästinensern, viele davon Kinder, lassen erschauern. In einem offenen Brief haben mehr als 500 Mitarbeiter von Bidens „Kampagne 2020“ den Präsidenten angefleht, für Waffenruhe und Geiselaustausch einzutreten.

Ungeachtet dessen haben die Demokraten bei Zwischenwahlen in Ohio, Virginia und Kentucky am 7. November gut abgeschnitten. Als wegweisend für 2024 gilt der Erfolg im republikanisch regierten Ohio, das dafür stimmte, ein Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Staates zu verankern. Befürworter dieses Rechts haben seit dem Anti-Abtreibungsurteil des Obersten Gerichts 2022 in sechs Bundesstaaten bei Volksentscheiden erfolgreich mobilisiert. Und anderswo bereiten die Demokraten Referenden für 2024 vor – das Thema Abtreibung mobilisiert.

Die Mehrheit der Republikaner will es anscheinend auf ein Rückspiel ankommen lassen. Donald Trump macht Wahlkampf von der Anklagebank und lässt wissen, was er tun würde in einer zweiten Amtszeit. „Illegale“ sollten massiv deportiert werden, auch gedenke er mit seiner Justiz gegen politische Gegner vorzugehen, hörte man im Fernsehkanal Univision. „Wenn ich Präsident wäre und jemanden sähe, der gegen mich ankommt, sage ich: Los, stellt sie vor Gericht.“

Solche Sprüche sind Balsam für die eigenen Leute, die sich wie der große Mann selbst als Opfer des Staates fühlen. Die Heritage Foundation – seit den Ronald-Reagan-Jahren nach 1980 konservativer Ideengeber – hat vor Kurzem das „Projekt 2025“ vorgestellt mit Plänen für eine Trump-Regierung, die den administrativen Staat mit seinen „Kadern der Elite“ zerlegt. Man müsse „dieses Ding dekonstruieren“, so Heritage-Direktor Paul Dans. Der rechtsnationalistische Publizist Steve Bannon spricht von einem „Kampf bis aufs Messer“. Jeder Tag werde wie „Stalingrad“ sein.

Biden kandidierte vor vier Jahren, um die „Seele der Nation zu retten“. Langfristig gerettet ist nichts, was auch immer eine „Seele der Nation“ sein soll. Demokratische Prinzipien sind nach wie vor in Gefahr und viele Trump-Anhänger dafür nicht mehr erreichbar. Vielleicht zeigt sich bei den Wahlen 2024, ob Trump als Präsident die Ausnahme war – oder Bidens Kandidatur 2020 eine vorübergehende Rettungsaktion des alten Amerika.

In elf Monaten kann allerhand passieren. Die Angst vor Trump dürfte 2024 wieder Grund genug sein, Biden zu wählen. Was soll man sonst tun? Und der alte Mann klammert. In Sachen Gazakrieg hätte sich Trump kaum anders verhalten. Bewerber dritter Parteien, von der Grünen Jill Stein bis zu dem sich selbst vermarktenden Linkspopulisten Cornel West, verkörpern keine reale Hoffnung.

QOSHE - US-Wahlen 2024 | Joe Biden: Er will noch bis 2028 die „Seele der Nation“ retten - Konrad Ege
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US-Wahlen 2024 | Joe Biden: Er will noch bis 2028 die „Seele der Nation“ retten

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17.11.2023

Ein Jahr noch dann werden die USA gewählt haben. Trotz vorsichtiger Stimmen, Joe Biden solle aus Alters- und Vitalitätsgründen jemanden anderen machen lassen, hat sich die Realität festgesetzt, dass der am 20. November seinen 81. Geburtstag Feiernde wieder antritt. Dabei war er 2020 nach vier Jahren Donald Trump eher als normalisierender Übergangspräsident gedacht.

Bei den Demokraten wächst die Sorge, die Meinungsumfragen sind katastrophal. Bidens Haltung zum Krieg in Nahost könnte zusätzlich zum Problem werden. Nach dem mörderischen Angriff der Hamas war das große Ja zum israelischen Premier Benjamin Netanjahu selbstverständlich, nur was als Loyalität und Stärke galt, könnte inzwischen auch als Schwäche interpretiert werden. Außenminister Antony Blinken reiste tagelang durch Israel und die Region, wohl auch um die israelischen Streitkräfte zu bremsen, und kehrte ohne bedeutende öffentliche Zusagen zurück.

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