Günter Klein ist Chefreporter Sport beim Münchner Merkur. Für den Freitag schreibt er die Kolumne „Der Sportreporter“.

Interessant wäre es schon, jetzt noch einmal nach Katar zu fahren. Ein Jahr nach der Fußball-WM nachsehen, ob die Hochhausfassaden noch so glitzern wie damals, ob der Souk gleichermaßen bunt bevölkert ist wie im Dezember 2022, als die Marokkaner feierten und die Katarer und die Europäer sich fasziniert von dieser Freude mitreißen ließen. Man würde auch gerne zu den Stadien schauen: Sind sie noch da in der Form, die einem vertraut wurde, strahlen sie noch Bedeutung aus oder schon die Traurigkeit von Ruinen?

Das Wetter am Golf ist verlockend um diese Zeit, es hätte schon seinen Reiz! Doch nein, wer Ende 2022 in den Wüstenstaat reiste wie der Sportreporter, der kam aus beruflicher Pflicht, aus professionellem Interesse und war entschlossen, sich nicht einwickeln zu lassen von der Versuchung eines gut organisierten Sportevents, das wirklich mächtige Geschichten schrieb. Man wusste ja um die Sauereien hinter dem Hochglanz.

Weil sich diese umstrittene WM zum ersten Mal jährt, ist aber die Klärung einer Frage interessant: Was hat es Katar gebracht, vier Wochen im Zentrum des Weltinteresses zu stehen? Ein Parameter ist der Blick auf den Tourismus. Offiziell wächst dieser, obwohl man sich nach wie vor nicht vorstellen kann, warum sich jemand im Sommer, wenn dort 45 Grad normal sind, in Katar aufhalten wollen sollte. Jetzt wäre eine passende Zeit, doch ein Schnellcheck über ein großes Buchungsportal offenbart: Es gibt reichlich freie Hotelbetten, sie sind billig zu haben. Europas Society jettet wohl lieber ins nahe Dubai.

Definitiv nicht vorangekommen ist Katar auch im sportlichen Bereich. Die Fußball-Liga, die Qatar Stars League, ist bedeutungslos geblieben. Es wirkt eher so, als sei Katar von der Transferoffensive des großen Nachbarn Saudi-Arabien überrumpelt worden. 2023 redet man mehr von dem, was 2034 sein wird, wenn die Saudis die WM ausrichten, als von dem, was 2022 war.

Katar könnte es so ergehen wie anderen Ausrichtern der größten Sportereignisse: Es bleibt kein nachhaltiges Erbe. Man hat es bei einigen Olympischen Spielen erlebt: Sarajevo 1984, zerstört im jugoslawischen Bürgerkrieg. Albertville 1992, heute eine x-beliebige Wintersportstation. Athen 2004, die Stadien und Hallen sind längst verfallen, sie dienten nur der zweiwöchigen Show. Auch die Fußball-WM 2010 in Südafrika hat keine Wirkung erzielt auf irgendeinem Gebiet – und selbst die WM vier Jahre darauf in Brasilien hatte nicht den Effekt, den das Gastland sich erhofft hatte. Rio de Janeiro hatte immer genug Aura und war genug Mythos, es hätte das teure Turnier nicht gebraucht.

Ins abgelegene Campo Bahia, das deutsche WM-Quartier, dem nachgesagt wird, mit seiner Atmosphäre mehr zum Titel beigetragen zu haben als mancher Spieler, fuhren weder die Brasilianer noch von der permanenten TV-Werbung berieselte deutsche Touristen. Sogar die deutschen Spieler, danach befragt, ob sie sich in einem fernen Titeljubiläumsjahr ein Klassentreffen an diesem magischen Ort vorstellen könnten, schüttelten die Köpfe. Und Lionel Messi wird in seinem Leben wohl nie mehr ins Lusail-Stadium von Doha kommen, wo er als Sportler seine Vollendung erfuhr.

Sport ist ein Zirkus, der immer weiterzieht und den Blick nach vorne richtet. Katar wird sich schon die Olympischen Spiele holen müssen, um nicht aus der Wahrnehmung zu verschwinden. Mal sehen, wann man das versucht.

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Kolumne | Ein Jahr nach der Katar-WM: Wo war dieses Stadion?

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24.11.2023

Günter Klein ist Chefreporter Sport beim Münchner Merkur. Für den Freitag schreibt er die Kolumne „Der Sportreporter“.

Interessant wäre es schon, jetzt noch einmal nach Katar zu fahren. Ein Jahr nach der Fußball-WM nachsehen, ob die Hochhausfassaden noch so glitzern wie damals, ob der Souk gleichermaßen bunt bevölkert ist wie im Dezember 2022, als die Marokkaner feierten und die Katarer und die Europäer sich fasziniert von dieser Freude mitreißen ließen. Man würde auch gerne zu den Stadien schauen: Sind sie noch da in der Form, die einem vertraut wurde, strahlen sie noch Bedeutung aus oder schon die Traurigkeit von Ruinen?

Das Wetter am Golf ist verlockend um diese Zeit, es hätte schon seinen Reiz! Doch nein, wer Ende 2022 in den Wüstenstaat reiste wie der Sportreporter, der kam aus beruflicher Pflicht, aus professionellem........

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