Als der Kultursenator Joe Chialo (CDU) am 4. Januar die Einführung einer Antisemitismusklausel öffentlich verkündete, waren nicht nur die Verbände, Institutionen und Akteure der Berliner Kulturszene überrascht, sondern auch die Abgeordneten im Kulturausschuss. In der darauffolgenden Sitzung am 8. Januar wurde Chialo mit Fragen und Kritik vor allem zur Vorgehensweise und zur Kommunikation überhäuft.

Ein wuchtiges Argument für den Handlungsdruck hatte Chialo mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem danach wachsenden Antisemitismus auf seiner Seite. Wer wagte es da zu widersprechen? „Die Einführung der Klausel ohne vorherige Beratung betraf in erster Linie praktisches Verwaltungshandeln.“ Der Kultursenator, noch immer neu im Amt und ohne die entsprechende Verwaltungsroutine, wollte in dieser Situation Tatkraft beweisen.

Was kann schon falsch daran sein, wenn man ein Regularium einsetzt, mit dem verhindert werden soll, dass öffentliche Fördermittel an Leute geraten, die diskriminierende Ansichten und Judenhass verbreiten? Noch schwerer zu ertragen wäre der Gedanke, dass diese Mittel zur Finanzierung von „extremistischen und terroristischen Vereinigungen“ beitrügen. Glücklicherweise ist bisher kein solcher Fall bekannt. Dies geht aus den schriftlichen Antworten hervor, die Chialos Behörde auf den Fragenkatalog der Ausschussmitglieder zugesendet hat. Das elfseitige Papier liegt der Berliner Zeitung vor.

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Dieser Fragenkatalog entstand nach der oben erwähnten Ausschusssitzung. Man kann ihn als Demontage der Klausel lesen, als eine Mängelliste, die Aspekte des Verfahrens, der Rechtsgrundlagen, der zugrunde liegenden Definitionen, der Anwendung und Durchsetzung in praktischer Hinsicht aufzählt. Alles Probleme, die man natürlich bedacht haben sollte, bevor man eine solche Klausel einsetzt. Die Behörde kam mit der schriftlichen Beantwortung dennoch unter Zeitdruck und riss eine ohnehin schon verlängerte Frist. Am vergangenen Freitag wurden die Antworten zugestellt, die die Grundlage für die Ausschusssitzung am Montag bilden sollen. Schon wieder: Hektik.

Die öffentliche Debatte um die Klausel ist schon längst davongaloppiert. Sie erinnert an die Auseinandersetzung nach dem BDS-Beschluss des Bundestags von 2019. Der Grundkonflikt besteht darin, dass die Politik sich in den Verantwortungsbereich jener drängt, denen sie die Verantwortung übergeben hat. Die nach der Documenta 15 und dem neuerlichen, entsetzlichen Ausbruch des Nahostkonflikts ohnehin schon gespaltene Kulturszene reagiert teils mit Empörung und trotzigen Boykottaufrufen, viele aber halten sich in einem Klima des Generalverdachts lieber bedeckt, vielleicht auch, weil sie öffentliche Fördermittel brauchen.

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Der Fragenkatalog ist kleinteilig, aber die Fraktionen müssen nicht lange suchen, um den Teufel aus den Details springen zu lassen und den Kultursenator in die Defensive zu bringen: Wie soll man die Gesinnung der Antragsteller und ihrer Kooperationspartner prüfen? Nur im Evidenzfall, wenn „der/dem Zuwendungsempfangenden Bedenken bekannt sind oder bekannt hätten sein müssen“.

Was ist mit Koproduktionen, internationalen zumal? „Der Prozess wird sukzessive ausgerollt.“ Betroffen von der Klausel seien erst einmal nur „institutionelle Zuwendungsempfangende“. „Diverse Sonderfälle, wie die Kofinanzierung oder Weitergabe von Mitteln durch Dritte, werden im weiteren Schritt geprüft.“

Warum legt man die IHRA-Antisemitismusdefinition zugrunde, deren Anwendbarkeit umstritten ist? Die Behörde beobachte und begrüße die entsprechende Auseinandersetzung. „Sollte es hierbei zu einem breiten wissenschaftlichen Konsens kommen, so kann die Antidiskriminierungsklausel selbstverständlich angepasst werden.“ Überhaupt sei eine Evaluation der Klausel und ihrer Wirkung in einem halben Jahr fest eingeplant.

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Aus den Antworten Chialos geht hervor, dass die Klausel einen rein deklamatorischen Charakter hat. Sie solle den Zweck „eines Anknüpfungspunktes für einen Dialog“ erfüllen. Eine pauschalisierende Vorgehensweise ist nicht vorgesehen, es geht um Einzelfälle und Einzelentscheidungen. „Kommt es zu einem Verstoß, so ist von der Schwere und der Häufigkeit abhängig, welches Vorgehen in Betracht kommt.“

Zunächst solle es zu einem Dialog mit den Einrichtungen oder den Projekten kommen. „In einem zweiten Schritt sind ermahnende Gespräche oder auch Auflagen in folgenden Bescheiden denkbar. Kommt es wiederholt zu heftigen Verstößen, kann dies zur Folge haben, dass spätere Förderentscheidungen nicht mehr zugunsten der Antragstellenden getroffen werden.“ Allein in diesen zuletzt zitierten Sätzen ist so viel Auslegungsluft eingebacken, dass man sich nicht vorstellen möchte, welche Handlungsweisen zum Beispiel eine von der AfD geleitete Kulturbehörde ableiten würde.

So dialogbereit, kritikfähig und verbesserungsfreudig Chialo sich in den einzelnen Antworten gibt, es wäre besser, die Klausel als solche wieder wegzupacken. Sie ist scharf in den Nebenwirkungen und stumpf, was ihre Verbindlichkeit angeht. Wir haben doch schon das Grundgesetz, das Fragen der Kunstfreiheit und der Menschenwürde regelt und für jeden Staatsbürger gilt, ob er nun Fördermittel empfängt oder nicht.

QOSHE - Joe Chialo verheddert sich mit der Antisemitismusklausel in den Details, dabei ist die Grundidee falsch - Ulrich Seidler
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Joe Chialo verheddert sich mit der Antisemitismusklausel in den Details, dabei ist die Grundidee falsch

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19.01.2024

Als der Kultursenator Joe Chialo (CDU) am 4. Januar die Einführung einer Antisemitismusklausel öffentlich verkündete, waren nicht nur die Verbände, Institutionen und Akteure der Berliner Kulturszene überrascht, sondern auch die Abgeordneten im Kulturausschuss. In der darauffolgenden Sitzung am 8. Januar wurde Chialo mit Fragen und Kritik vor allem zur Vorgehensweise und zur Kommunikation überhäuft.

Ein wuchtiges Argument für den Handlungsdruck hatte Chialo mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem danach wachsenden Antisemitismus auf seiner Seite. Wer wagte es da zu widersprechen? „Die Einführung der Klausel ohne vorherige Beratung betraf in erster Linie praktisches Verwaltungshandeln.“ Der Kultursenator, noch immer neu im Amt und ohne die entsprechende Verwaltungsroutine, wollte in dieser Situation Tatkraft beweisen.

Was kann schon falsch daran sein, wenn man ein Regularium einsetzt, mit dem verhindert werden soll, dass öffentliche Fördermittel an Leute geraten, die diskriminierende Ansichten und Judenhass verbreiten? Noch schwerer zu ertragen wäre der Gedanke, dass diese Mittel zur Finanzierung von „extremistischen und terroristischen Vereinigungen“ beitrügen. Glücklicherweise ist bisher kein solcher Fall bekannt. Dies geht aus den schriftlichen Antworten hervor, die Chialos Behörde auf den Fragenkatalog der Ausschussmitglieder zugesendet hat. Das elfseitige Papier liegt der........

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