Es ist schon sehr viel über das Buchprojekt von Stefanie Sargnagel über ihren „Ausflug nach Amerika“ gesagt, wenn man den Titel genüsslich auf Österreichisch ausspricht: „Iowa“.

Man nehme den Namen des amerikanischen Bundesstaats im Mittleren Westen so in den Mund, als wäre es ein sehr ursprüngliches, fast präverbales österreichisches Wort, ein Ausruf oder Seufzer oder Rülpser der Resignation, bei dem weder Lippen noch Zunge viel zu tun haben, weil sie müde und satt sind.

Die 1986 in Wien geborene, viel beschäftigte und gebuchte Verweigerungskünstlerin Sargnagel kann das natürlich selbst am besten, und deshalb ist ihre Lesetour, die am Freitag und am heutigen Sonnabend im Berliner Hebbel-Theater Station macht, die angemessenste Vermittlungsmethode. Danach darf man dann das Buch dann auch sehr gern kaufen, um die Freude zu verlängern und immer wieder einzutauchen in den Zustand der niederschmetternden Weltkritik, des Nichtsmüssens, des genauen Beobachtens, der gesuchten und gefürchteten Ausweglosigkeit, der witzelnden Langeweile und der intimen Selbstironie.

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Rund wird das Ganze erst durch die Mitwirkung der ein Vierteljahrhundert zuvor in der westdeutschen Provinz geborenen Berliner Sängerin Christiane Rösinger, die Sargnagel bei ihrer Reise ins US-amerikanische Nichts begleitete und korrigierende Fußnoten für das danach entstandene Buch beisteuerte. Und nun bei der Lese-Tour fungiert sie als Sparringpartnerin, Besserwisserin und Kulturpessimistin, natürlich auch singend – schließlich kann sie auf ein reiches und passendes Repertoire mit Titeln wie „Geheime Gesellschaft der melancholischen Kompanie“ oder „Depressiver Tag, ich sag hallo-o-o-o-o!“ zugreifen. Der Saal klatscht dazwischen, lacht und jubelt. Was für eine trostreiche, wohltuende, Gemeinschaft stiftende Reise in die Sinn- und Trostlosigkeit!

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•gestern

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04.04.2024

03.04.2024

Sargnagel war eingeladen worden, einen sechswöchigen Kurs für kreatives Schreiben in einem College abzuhalten, sie durfte eine Künstlerin mitbringen und erwählte die bewunderte Rösinger, mit der zusammen sie unter anderem schon als „Legends of Entertainment“ aufgetreten war. Es ist ein Match und ein Generationsprojekt, bei dem nicht immer sicher ist, wer von den beiden die mütterliche und wer die aufmüpfige Rolle spielt. Das Geflachse auf Augenhöhe macht die beiden neben ihrer Freude am Bekenntnis auch für das Publikum so nahbar und verbindlich.

Das im Großen und Ganzen auf Schweinemast und Maisanbau beschränkte Iowa erweist sich in seiner Weite und Leere als absolut ideales Ziel für diese Expedition. Ebenso der Umstand, dass die beiden keinen Plan haben und sich schutzlos – mit begrenztem Datenvolumen auf ihren Smartphones – der Ereignisarmut ausliefern und auch dann kaum die Nerven verlieren, als sogar der Fernseher streikt.

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Dann kann man immer noch über das schwer hinnehmbare Schicksal heterosexueller Feministinnen debattieren, den Widerspruch zwischen Wohneigentum und Klassenkampf aufarbeiten, über die hodenhautähnlichen Futtersäcke von Pelikanen ins Schwelgen geraten, die Liebesbeweiskraft von Fürzen herleiten, Erinnerungen aufrufen, sie korrigieren und verschallen lassen, genießerisch in die Fiktion abdriften.

Man hat es vor Augen: Christiane Rösinger auf dem Sofa liegend, Stefanie Sargnagel auf einem elektrisch betriebenen Fernsehsessel, den sie als „Patriarchensockel“ genießt, die Lehne absenken und die Beinstütze hochfahren lässt: Ein Vorgang, der durch die Lautfolge „Iowa“ seine passende und vertraute Untermalung erfährt.

Iowa Lesung von Stefanie Sargnagel, begleitet von Christiane Rösinger, in Berlin noch einmal am Sonnabend, 6. April, im Hebbel am Ufer, danach in Weimar, Frankfurt a. M., Bayreuth, Dresden, Leipzig usw. Hier die Tourdaten

QOSHE - „Iowa“: Stefanie Sargnagel und Christiane Rösinger nicht ganz allein im Mittleren Westen - Ulrich Seidler
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„Iowa“: Stefanie Sargnagel und Christiane Rösinger nicht ganz allein im Mittleren Westen

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06.04.2024

Es ist schon sehr viel über das Buchprojekt von Stefanie Sargnagel über ihren „Ausflug nach Amerika“ gesagt, wenn man den Titel genüsslich auf Österreichisch ausspricht: „Iowa“.

Man nehme den Namen des amerikanischen Bundesstaats im Mittleren Westen so in den Mund, als wäre es ein sehr ursprüngliches, fast präverbales österreichisches Wort, ein Ausruf oder Seufzer oder Rülpser der Resignation, bei dem weder Lippen noch Zunge viel zu tun haben, weil sie müde und satt sind.

Die 1986 in Wien geborene, viel beschäftigte und gebuchte Verweigerungskünstlerin Sargnagel kann das natürlich selbst am besten, und deshalb ist ihre Lesetour, die am Freitag und am heutigen Sonnabend im Berliner Hebbel-Theater Station macht, die angemessenste Vermittlungsmethode. Danach darf man dann das Buch dann auch sehr gern kaufen, um die Freude zu verlängern und immer wieder einzutauchen in den Zustand der niederschmetternden Weltkritik, des Nichtsmüssens, des genauen Beobachtens, der gesuchten und gefürchteten........

© Berliner Zeitung


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