Wer Wladimir Putins Reden zu Terroranschlägen aus den ersten Jahren seiner Herrschaft kennt, hatte am vergangenen Sonntag ein Deja-vu-Erlebnis. In einer Fernsehansprache begab sich der russische Präsident in die Rolle, die ihm am meisten liegt: Die als standhafter Staatschef und Oberkommandierender, als Herr einer Trutzburg gegen den Terror, als Tröster von Witwen und Waisen und auch als erster Soldat seines Staates.

Als „zynisch“ wird er im Westen gern beschrieben, doch sein Auftritt lässt sich mit dem Begriff Zynismus kaum beschreiben. Der Zyniker glaubt nicht, was er sagt. Putin aber scheint von seinen Worten überzeugt zu sein.

Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ist die Domäne, in der er seine rhetorische Stärke und immer noch größte Wirkung auf ein Massenpublikum in Russland zeigt. Das sagt nichts über die Qualität seiner Politik aus, sondern nur über seine Fähigkeiten. Am zweiten Tag nach dem Anschlag auf den Konzertsaal „Crocus City Hall“ am Rande der russischen Hauptstadt sprach Putin im Fernsehen zur Bevölkerung.

Er dankte den Fahrern der Krankenwagen ebenso wie den Sicherheitskräften wie auch „einfachen Bürgern“, die vor Ort den 183 Verletzten erste Hilfe erwiesen. Er sprach zu den Angehörigen der 137 Toten des Terroranschlages, zu den Familien, „in deren Leben ein schreckliches Unheil gekommen ist“.

Er vermittelte den Russen das Gefühl, unbeugsam zu sein. Die Bürger Russlands, so Putin, zeigten „Geschlossenheit und den Willen“, sich der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu widersetzen. Terroristen hätten „keine Nationalität“, sagte er, wohl auch mit Blick darauf, dass die vier mutmaßlichen Mordschützen aus Tadschikistan stammen. Und er betonte, Russland sei eine „multinationale Gesellschaft“.

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Putins nachhaltiges, auf westliche Beobachter verwunderlich wirkendes Ansehen in großen Teilen der Bevölkerung Russlands rührt auch daher, dass er seit einem Vierteljahrhundert immer wieder nach terroristischen Anschlägen die Stimmung des Volkes zum Ausdruck bringt. Der Anti-Terrorismus wurde in Russland zu Putins Markenzeichen und einer Art Staatsideologie. Damit wirkte der Staatschef lange auch im westlichen Ausland. Bei seiner Rede am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag, die er auf Deutsch hielt, bekam er stehenden Beifall aller Fraktionen, einschließlich der Grünen. Putin hatte damals einen „zielstrebigen und gut koordinierten Kampf gegen den Terrorismus“ gefordert. Und er hatte hinzugefügt, er sei „in diesem Sinne voll und ganz mit dem amerikanischen Präsidenten einverstanden“, mit George W. Bush.

Auf subtile Weise knüpfte Putin in seiner Fernsehansprache jetzt an seine damaligen Gedanken an. Er setze auf „die Zusammenarbeit mit allen Staaten, die ehrlich unsere Schmerz teilen und in der Tat wirklich bereit sind, die Anstrengungen gegen den gemeinsamen Feind zu vereinen“, sagte Putin. In diesem Kontext fällt jedem, der diese Ansprache Putins aufmerksam liest, auf, dass er der Ukraine nicht vorwirft, sie sei für den Terroranschlag verantwortlich. Putin sagte lediglich, die Attentäter hätten sich nach dem Anschlag von Moskau aus „in Richtung der Ukraine bewegt“.

Dort sei so „nach vorläufigen Angaben“ – gemeint sind Angaben der Fahnder – „auf der ukrainischen Seite ein Schlupfloch für den Grenzübergang“ eingerichtet worden. Putin kündigte an: „Alle Ausführenden, Organisatoren und Auftraggeber dieses Verbrechens werden ihre gerechte und unausweichliche Bestrafung erhalten.“ Russlands Präsident erhob aber nicht den Vorwurf, die ukrainische Führung sei für die Tat verantwortlich – auch wenn deutsche Boulevardmedien nach der Ansprache das Gegenteil suggerierten.

Wenn der demonstrative Anti-Terrorismus das As im politischen Kartenspiel des Wladimir Putin ist, dann lässt sich die Frage stellen, ob er womöglich selbst ein Interesse an terroristischen Anschlägen haben könnte? Dieser Verdacht ist immer wieder artikuliert worden, nach dem Anschlag auf die „Crocus City Hall“ auch von dem aus Bulgarien stammenden Publizisten Christo Grozev, bekannt durch seine Recherchen für die Plattform „Bellingcat“. Es sei zumindest denkbar, dass russische Dienste hinter dem Anschlag stünden oder ihn hätten geschehen lassen, um eine neue Welle der Mobilisierung für den Krieg in der Ukraine zu begründen, vermutete Grozev.

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Das erste Mal waren Vorwürfe, der russische Geheimdienst FSB organisiere terroristische Anschläge, bereits zu hören, als Putin von Präsident Boris Jelzins ernannter Premierminister war, im Herbst 1999. Damals gab es eine Serie von Sprengstoffanschlägen auf Wohnhäuser in Russland, vor allem in Moskau, bei denen 367 Menschen umkamen und mehr als 1000 verletzt wurden. Täter wurden später nordkaukasische Extremisten verurteilt, die in Tschetschenien ausgebildet worden waren. Der ehemalige FSB-Mitarbeiter Alexander Litwinenko, lange vor den Anschlägen aus dem Dienst ausgeschieden und kein Anti-Terror-Experte, behauptete in seinem Buch „Blowing up Russia“ , der FSB habe die Anschläge organisiert. Dass Litwinenko im November in London an einer Vergiftung mit Polonium 210 starb, womöglich als Rachetat Moskauer Geheimdienstler, hat die Spekulationen um die Thesen seines Buches bis über seinen Tod hinaus gefördert.

Es gibt keinen Beweis für die These, dass der russische Geheimdienst für die Häusersprengungen verantwortlich ist. Dazu liegen weder Dokumente vor, noch Zeugenaussagen von angeblich beteiligten Geheimdienstlern. Gegen die Annahme, der FSB habe die Sprengstoffanschläge organisiert, spricht die internationale Erfahrung von Geheimdienstveteranen. Um solche Aktionen durchzuführen, bräuchte man Dutzende von Mitwissern, welche die Tat vorbereiten, den Sprengstoff besorgen und transportieren, die Akteure instruieren und durch Beobachtung das Vorgehen der Täter absichern. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass von einem Verbrechen solchen Ausmaßes nichts nach außen dringen und keiner der Täter je sein Schweigen brechen würde. Hinzu kommt, dass es keinen Geheimdienst auf der Welt gibt, dessen Mitarbeiter widerspruchslos die Tötung von hunderten von Zivilisten des eigenen Landes durchführen oder auch nur akzeptieren würden. Es ist etwas anderes, ob Geheimdienstoffiziere außergerichtlich mit Gewalt gegen einzelne Menschen vorgehen, die vom Regime als „Verräter“ eingestuft werden, oder ob sie hunderte Mitbürger im Schlaf umbringen.

Nicht plausibel erscheint auch die These von der Tatbeteiligung russischer Geheimdienstler beim Anschlag auf die Konzerthalle bei Moskau am 22. März. Auffällig ist, dass die Sicherheitskräfte alle vier direkt Tatverdächtigen lebend fingen. Moskauer Journalisten mit Zugang zu Ermittlerkreisen berichten der Berliner Zeitung, Putin selbst habe einen solchen Befehl gegeben, um mehr über die Auftraggeber zu erfahren. Hätte der Geheimdienst bei Vorbereitung oder Lenkung des Anschlages seine Finger im Spiel gehabt, wäre es logisch, alle Verdächtigen im Zuge der Fahndung zu erschießen, um alle Mitwisser zu beseitigen.

Der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) hat sich zu der Mordtat von Moskau bekannt. Der IS- Propagandakanal „Amak“ hat ein Video publiziert, das die Terroristen am Tatort zeigen soll. In der schriftlichen Verlautbarung des IS heißt es, der Angriff habe sich gerichtet gegen „Tausende Christen in einer Musikhalle“. Der IS agiert aus netzartigen Untergrund-Strukturen in Afghanistan. Von dort aus versucht er auch eine IS-Sektion in Tadschikistan zu steuern. Die Platz- und Schürfwunden an den Köpfen der festgenommenen Tadschiken unterdessen werfen einen dunklen Schatten auf die rabiate Polizeipraxis in Russland.

Dabei wird durch Härte kaschiert, dass es den russischen Diensten nicht gelungen war, diesen Anschlag zu verhindern, obwohl sie gerade für die Verhinderung von Anschlägen geschult werden. Drei Tage vor dem Terror-Überfall hatte Putin auf einer Sitzung des Führungsstabes des FSB, in der Lubjanka, über das Thema Terrorismus gesprochen. In dieser Rede äußerte der russische Präsident sich abwertend über eine Warnung des amerikanischen Geheimdienstes vor drohenden Terroranschlägen in Russland. Putin sprach von „provokatorischen Erklärungen einer Reihe von westlichen Strukturen“. Dies erinnere ihn an „offene Erpressung“ und an „die Absicht zu erschrecken, unsere Gesellschaft zu destabilisieren“.

Zugleich bat er den FSB, „ernsthaft die anti-terroristische Arbeit in allen Richtungen zu verstärken.“ Dabei versuchte Putin auch, den Krieg in der Ukraine mit dem internationalen Terrorismus in Verbindung zu bringen. „Terroristischer Methoden“ bezichtigte Putin in seiner Rede vor der FSB-Führungsriege das „Kiewer Regime“. Selenskyj zahlte in gleicher Münze heim und bezeichnete Putin als Chef eines „Terrorstaates“.

Unbestritten hat die militärische Führung in Kiew den Einsatz russischer rechtsextremer Söldner unter Führung des russischen Neonazis Denis Kapustin alias Nikitin zu verantworten. Kapustin zählt zur Führungsriege eines „Russischen Freiwilligenkorps“, das an bewaffneten Überfällen auf russische Dörfer im Grenzgebiet Belgorod beteiligt war. Die Tätigkeit dieser Gruppierung, für deren Einsatz das ukrainische Militär verantwortlich ist, wird in Russland als Terrorismus eingestuft.

Ein Anschlag wie auf den Moskauer Konzertsaal aber passt nicht in das bisherige Schema des Vorgehens ukrainischer Militärs und ihrer aus Russland stammenden Bundesgenossen. Der Präsident Wolodymyr Selensky hat sich scharf von dem Anschlag in Moskau distanziert. Damit bleibt aber die Frage offen, ob der ukrainische Militärdienst GUR, der für den Einsatz der rechtsextremen Freiwilligen verantwortlich ist, auch mit Islamisten kooperiert.

Dass der Chef der GUR Kyryllo Budanow, der in der Ukraine einen Ruf als Hasardeur genießt, bei der Suche nach Verbündeten wenig Hemmungen hat, zeigen offizielle Verlautbarungen des Militärgeheimdienstes. So heißt es in einer GUR-Pressemitteilung, welche das unabhängige Medium „Ukrainska Prawda“ am 17. Juli vergangenen Jahres veröffentlichte, „tschetschenische Kämpfer“ hätten einen Lkw der „russischen Okkupanten“ vernichtet. Die tschetschenischen Kämpfer an der Seite der Ukraine wollen die „Tschetschenische Republik Itschkerija“ wieder errichten, die in den Neunzigerjahren auf dem Gebiet der Russischen Föderation bestand und sich auf bewaffnete Separatisten stützte.

Diese „Republik“ war international von keinem Mitglied der Vereinten Nationen anerkannt. Zu den Formationen der Separatisten zählte auch der Terrorist Schamil Bassajew, der im Juli 2006 bei einem Einsatz des FSB getötet wurde. Bassajew hatte sich zum Terroranschlag auf die Schule im nordkaukasischen Beslan Anfang September 2004 bekannt. Dabei kamen 333 Menschen um, darunter zahlreiche Kinder. Kennzeichnend für den gesamten Kurs der tschetschenischen Separatisten auch im Exil war stets, dass sie sich nie von Bassajew distanzierten.

Insofern waren und sind die Grenzen zwischen Anhängern des tschetschenischen Separatismus und Befürwortern terroristischer Aktionen verschwommen. Islamisten wurden von den militanten Anhängern der „Republik Itschkerija“ immer als Teil des gemeinsamen politischen Projektes wahrgenommen. Offen bleibt in diesem Kontext die Frage, wie weit in der Führung des Militärischen Geheimdienstes der Ukraine die Bereitschaft zur Kooperation mit Islamisten geht?

Russland hat dazu bislang weder Beweise vorgelegt, noch überprüfbare Indizien. In jedem Fall aber wirkt der in russischen Medien massiv geäußerte Verdacht einer ukrainischen Spur eskalierend auf den militärischen Konflikt. Der Terrorismusverdacht gegen die andere Seite heizt den Krieg auf beiden Seiten emotional auf. Könnte dies von russischer Seite zur Anwendung von Nuklearwaffen führen? Derzeit deutet nichts darauf hin.

In einem Interview mit dem für mundgerechte Fragen bekannten Moskauer Fernsehjournalisten Jewgenij Kisseljow sagte Putin am 13. März, der Einsatz der Atomwaffe hätte für ihn im Krieg in der Ukraine zu keinem Zeitpunkt auf der Tagesordnung gestanden. Denn die Existenz des russischen Staates sei in diesem Konflikt nie in Gefahr gewesen. Das aber ist nach der von Putin im Juni 2020 verkündeten Nukleardoktrin der Russischen Föderation eine Voraussetzung für den Einsatz von Atomwaffen. Das klingt angesichts einer Dynamik der Eskalation fast schon wie eine beruhigende Nachricht.

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Nach Terror: Putin knüpft an eine Rede an, nach der auch die Grünen klatschten

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26.03.2024

Wer Wladimir Putins Reden zu Terroranschlägen aus den ersten Jahren seiner Herrschaft kennt, hatte am vergangenen Sonntag ein Deja-vu-Erlebnis. In einer Fernsehansprache begab sich der russische Präsident in die Rolle, die ihm am meisten liegt: Die als standhafter Staatschef und Oberkommandierender, als Herr einer Trutzburg gegen den Terror, als Tröster von Witwen und Waisen und auch als erster Soldat seines Staates.

Als „zynisch“ wird er im Westen gern beschrieben, doch sein Auftritt lässt sich mit dem Begriff Zynismus kaum beschreiben. Der Zyniker glaubt nicht, was er sagt. Putin aber scheint von seinen Worten überzeugt zu sein.

Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ist die Domäne, in der er seine rhetorische Stärke und immer noch größte Wirkung auf ein Massenpublikum in Russland zeigt. Das sagt nichts über die Qualität seiner Politik aus, sondern nur über seine Fähigkeiten. Am zweiten Tag nach dem Anschlag auf den Konzertsaal „Crocus City Hall“ am Rande der russischen Hauptstadt sprach Putin im Fernsehen zur Bevölkerung.

Er dankte den Fahrern der Krankenwagen ebenso wie den Sicherheitskräften wie auch „einfachen Bürgern“, die vor Ort den 183 Verletzten erste Hilfe erwiesen. Er sprach zu den Angehörigen der 137 Toten des Terroranschlages, zu den Familien, „in deren Leben ein schreckliches Unheil gekommen ist“.

Er vermittelte den Russen das Gefühl, unbeugsam zu sein. Die Bürger Russlands, so Putin, zeigten „Geschlossenheit und den Willen“, sich der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu widersetzen. Terroristen hätten „keine Nationalität“, sagte er, wohl auch mit Blick darauf, dass die vier mutmaßlichen Mordschützen aus Tadschikistan stammen. Und er betonte, Russland sei eine „multinationale Gesellschaft“.

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Putins nachhaltiges, auf westliche Beobachter verwunderlich wirkendes Ansehen in großen Teilen der Bevölkerung Russlands rührt auch daher, dass er seit einem Vierteljahrhundert immer wieder nach terroristischen Anschlägen die Stimmung des Volkes zum Ausdruck bringt. Der Anti-Terrorismus wurde in Russland zu Putins Markenzeichen und einer Art Staatsideologie. Damit wirkte der Staatschef lange auch im westlichen Ausland. Bei seiner Rede am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag, die er auf Deutsch hielt, bekam er stehenden Beifall aller Fraktionen, einschließlich der Grünen. Putin hatte damals einen „zielstrebigen und gut koordinierten Kampf gegen den Terrorismus“ gefordert. Und er hatte hinzugefügt, er sei „in diesem Sinne voll und ganz mit dem amerikanischen Präsidenten einverstanden“, mit George W. Bush.

Auf subtile Weise knüpfte Putin in seiner Fernsehansprache jetzt an seine damaligen Gedanken an. Er setze auf „die Zusammenarbeit mit allen Staaten, die ehrlich unsere Schmerz teilen und in der Tat wirklich bereit sind, die Anstrengungen gegen den gemeinsamen Feind zu vereinen“, sagte Putin. In diesem Kontext........

© Berliner Zeitung


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