Museen waren noch nie einfach nur dafür da, in ihnen Bilder aufzuhängen. Lange repräsentierte sich darin die Staatsmacht, heute gelten sie in Europa zunehmend als Orte der Diskussion. Die Kulturkämpfe der Gegenwart werden dort ausgefochten, auch weil die Menschen, die sich von ihnen angezogen fühlen, als besonders sensibel gelten und entsprechend seismografisch auf gesellschaftliche Stimmungen reagieren und diese vorantreiben.

In Kunstmuseen werden nicht selten die Fragen von morgen als Erstes besprochen, das gilt für Fragen nach Identität, postkoloniale Grabenkämpfe und natürlich ganz praktisch: die Denkmäler vom Sockel hauen. Gerade haute man gar direkt auf die Bilder beziehungsweise das Sicherheitsglas, unter dem sich ein Gemälde von Diego Velasquez befand, das in London von jungen Klimaaktivisten mit einem Hammer malträtiert wurde.

Was nun allerdings in Budapest geschieht, geht darüber noch weit hinaus. Am Montag wurde der Direktor des Nationalmuseums vom Kulturministerium gefeuert, weil er nicht aggressiv genug gegen eine Ausstellung im eigenen Haus vorgegangen war. Es handelt sich dabei um einige preisgekrönte Fotos der philippinischen Künstlerin Hannah Reyes Morales, die im Kontext des renommierten World Press Award ausgestellt wurden. Ihre Fotoserie „Home for the Golden Gays“ zeigt eine Gemeinschaft von älteren queeren Personen, die seit den 70er-Jahren in einer Wohngemeinschaft zusammenleben.

„Das ‚Frei ab 18‘ lag nicht am Penis“: Interview zum großartigen Berlin-Film „Drifter“

02.11.2023

EU-Kommission verklagt Ungarn wegen Gesetz zu Homosexualität vor EuGH

15.07.2022

•vor 45 Min.

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gestern

Es war ein Auftrag für die New York Times. Auf den Bildern diskutieren die Menschen, feiern gemächlich, ziehen sich um für Auftritte. Alles wirkt sehr friedlich und liebevoll, der fotografische Blick ist sachte tastend, angenehm. Nackte oder drastische Szenen gibt es nicht zu sehen. Doch der nationalistischen Regierung unter Viktor Orbán passte das nicht, eine rechtsradikale Parlamentsabgeordnete beschwerte sich. Seit Mitte 2021 ist in Ungarn das sogenannte Kinderschutzgesetz in Kraft, das Ursula von der Leyen „eine Schande“ nennt, die EU-Kommission klagt dagegen.

Das schwulenfeindliche Gesetz verbietet die Darstellung von Homosexualität für Kinder und Jugendliche, auch in Büchern und Filmen. Erst im Juli dieses Jahres wurde die Rekordgeldstrafe von zwölf Millionen Forint (32.000 Euro) gegen eine ungarische Buchhandelskette verhängt, wegen eines Comic-Buchs, in dem es um eine Liebe zwischen zwei Jungen geht. Als sie nun den ehemaligen Direktor Laszlo L. Simon angingen, der Orbáns Regierungspartei Fidesz angehört, hatte dieser entgegnet, dass er rein rechtlich unter 18-Jährigen den Einlass ins Museum nicht verwehren könne. Einen Tag später war er entlassen.

Die Luft in Ungarn wird dünner, auch der letzte unabhängige Radiosender wurde verboten. Es lässt sich dort unter dem Brennglas beobachten, was passiert, wenn eine Regierung und eine Gesellschaft nach rechts rücken.

QOSHE - Museumsdirektor entlassen, weil er queere Fotos zeigt: Ist Ungarn noch zu retten? - Timo Feldhaus
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Museumsdirektor entlassen, weil er queere Fotos zeigt: Ist Ungarn noch zu retten?

5 0
07.11.2023

Museen waren noch nie einfach nur dafür da, in ihnen Bilder aufzuhängen. Lange repräsentierte sich darin die Staatsmacht, heute gelten sie in Europa zunehmend als Orte der Diskussion. Die Kulturkämpfe der Gegenwart werden dort ausgefochten, auch weil die Menschen, die sich von ihnen angezogen fühlen, als besonders sensibel gelten und entsprechend seismografisch auf gesellschaftliche Stimmungen reagieren und diese vorantreiben.

In Kunstmuseen werden nicht selten die Fragen von morgen als Erstes besprochen, das gilt für Fragen nach Identität, postkoloniale Grabenkämpfe und natürlich ganz praktisch: die Denkmäler vom Sockel hauen. Gerade haute man gar direkt auf die Bilder beziehungsweise das Sicherheitsglas, unter dem sich ein Gemälde von Diego Velasquez befand, das in London........

© Berliner Zeitung


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