Diese Ausstellung ist in mehrfacher Hinsicht beachtlich und unbedingt sehenswert. Die Kyiv Perenniale wurde 2014 im Zuge der Maidan-Revolution in Kiew gegründet, sie findet nun im neunten Jahr statt und begeht damit nach eigenen Worten „symbolisch den zehnten Jahrestag der Maidan-Revolution sowie das zehnte Jahr des russischen Krieges gegen die Ukraine“.

An diesem Wochenende wird sie erstmals in Berlin eröffnet, gefördert wird sie von der Kulturstiftung des Bundes mit 248.000 Euro, zu einem Zeitpunkt, zu dem es für das ukrainische Militär nicht gut aussieht. Am Samstag vor zwei Jahren überfiel Putin die Ukraine. Auch deswegen ist diese Ausstellung von Belang, weil man sofort merkt, dass es etwas anderes ist, Nachrichten zu schauen, oder sich einzulassen auf künstlerische Arbeiten, die fast ausschließlich von ukrainischen Künstlern kommen und nun an mehreren Orten der Stadt zu sehen sind: Im Kunstverein nGbK, der sich seit letztem Jahr am Alexanderplatz (und in Hellersdorf) befindet, dem von Wolfgang Tillmans gegründeten Kunstraum Between Bridges sowie der kommunalen Prater Galerie.

Man könnte es unglücklich finden, dass diese Biennale (sprich: zweijährig) jetzt Perenniale heißt, denn es ist ein für viele unverständliches Wort, das einer Ausstellung voransteht, deren Werke sich durch Direktheit und Zwangsläufigkeit auszeichnen. „Perennial“ bedeutet „mehrjährig“ oder „ausdauernd“ und es soll auf den andauernden Krieg sowie das kollektive, langfristige Unterfangen der Perenniale hinweisen.

Geht man durch die Kunsträume, stellt sich ein Gefühl ein, das sich nur noch selten in europäischen Ausstellungen ergibt: Die Künstler haben wohl nicht zwingend eine Agenda, doch eine gemeinsame Position, ein einendes Interesse. Sie wollen die russischen Kriegsverbrechen anklagen und aufklären. Das erzeugt eine starke Kraft, die sich so seit der Moderne und klassischerweise politisch „interesseloser“ Kunstwerke in Ausstellungen kaum noch ballt.

Auffällig ist dabei der Fokus auf das Dokumentarische und Forschungsbasierte. Video- und Fotoarbeiten sind in der Mehrzahl, besonders eindrücklich Roman Khimeis und Yarema Malashchuks „Explosions Near the Museum“, die die Wände eines Museums filmen, dessen Bestände von den Russen geraubt wurden.

•gestern

•gestern

21.02.2024

20.02.2024

21.02.2024

Berliner Fotograf Wolfgang Tillmans macht politischen Techno-Track: „We Are Not Going Back“

vor 5 Std.

Der Traum von „Berlin am Meer“

heute

Vier Videoarbeiten von „The Reckoning Project“ gehen Kriegsverbrechen des russischen Militärs in Interviews mit Betroffenen nach, etwa in einem Dorf, in dem die Russen 367 Bewohner in den Keller einer örtlichen Schule sperrten und dort einen ganzen Monat gefangen hielten. Viele starben. Kunst unterhält in dieser Ausstellung eine stets offene Beziehung zu Aktivismus, Journalismus und Rechtsprechung. Diese investigative Kunst möchte die Welt, die sie vorfindet, verändern. Oft merkt man: Es geht ums Überleben.

Angesprochen auf das besondere Kunstverständnis, das sich aus Traumata, Vertreibung und Verheerungen des Krieges ableitet, sagt der Gründer und künstlerische Leiter Vasyl Cherepanyn, man wolle letztlich genau das Gegenteil von Propaganda. Anders als Agitprop oder Populismus sei es Aufgabe der Kunst, die Dinge komplizierter zu machen.

Aber Kunst nur um der Kunst willen wäre für ihn nicht interessant: Man wolle „mit Kunst und Wissenschaft Politik machen“. Die Frage, die viele der Künstler hier umtreibe: Was ist ein Beweis? Hat sich die Bedeutung von Wahrheit durch den Krieg verändert?

Begleitet wird die Ausstellung von einem hervorragenden Diskursprogramm und einer Plakatkampagne, bei der auch Wolfgang Tillmans mitmacht. Sie geht von der Frage aus: „Was wird mit Europa geschehen, wenn der Krieg gegen die Ukraine noch zehn Jahre dauert?“ Die Frage eignet sich auch als Begleitung zum Gang durch die Ausstellung.

QOSHE - Kyiv Perenniale in Berlin: „Mit Kunst und Wissenschaft Politik machen“ - Timo Feldhaus
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Kyiv Perenniale in Berlin: „Mit Kunst und Wissenschaft Politik machen“

13 0
23.02.2024

Diese Ausstellung ist in mehrfacher Hinsicht beachtlich und unbedingt sehenswert. Die Kyiv Perenniale wurde 2014 im Zuge der Maidan-Revolution in Kiew gegründet, sie findet nun im neunten Jahr statt und begeht damit nach eigenen Worten „symbolisch den zehnten Jahrestag der Maidan-Revolution sowie das zehnte Jahr des russischen Krieges gegen die Ukraine“.

An diesem Wochenende wird sie erstmals in Berlin eröffnet, gefördert wird sie von der Kulturstiftung des Bundes mit 248.000 Euro, zu einem Zeitpunkt, zu dem es für das ukrainische Militär nicht gut aussieht. Am Samstag vor zwei Jahren überfiel Putin die Ukraine. Auch deswegen ist diese Ausstellung von Belang, weil man sofort merkt, dass es etwas anderes ist, Nachrichten zu schauen, oder sich einzulassen auf künstlerische Arbeiten, die fast ausschließlich von ukrainischen Künstlern kommen und nun an mehreren Orten der Stadt zu sehen sind: Im Kunstverein nGbK, der sich seit letztem Jahr am Alexanderplatz (und........

© Berliner Zeitung


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