Forscher haben Reste eines 40.000 Jahre alten Klebstoffs der Neandertaler an den Objekten im Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin entdeckt. Die Objekte stammen aus der berühmten Fundstelle Le Moustier in Frankreich, wie das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin am Donnerstag mitteilte. Diese Entdeckung biete Einblicke in die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler, die lange unterschätzt worden seien.

Der Klebstoff besteht laut Mitteilung aus mehreren Komponenten und diente dazu, Steinwerkzeuge mit Griffen zu versehen. Die Bestandteile der ausgeklügelten Mischung sind Ocker und Bitumen, Rohstoffe, die aus der weiteren Region beschafft werden mussten. Es handelt sich um den bisher frühesten Fund eines Mehrkomponentenklebers in Europa. Das hat die Aufarbeitung von Stücken aus der Neandertalerfundstelle Le Moustier in der Dordogne unter der Leitung von Patrick Schmidt aus der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen sowie Ewa Dutkiewicz vom Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin ergeben.

Die Entwicklung von Klebstoffen und deren Einsatz für die Herstellung von Werkzeugen gelten als einer der besten materiellen Belege für die kulturelle Evolution und die kognitiven Fähigkeiten früher Menschen. Eine entsprechende Studie wurde in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.

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Die Steinwerkzeuge aus Le Moustier in der Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte waren bisher nicht näher untersucht worden, erklärt das Museum. Der Schweizer Archäologe Otto Hauser hatte sie aus dem oberen Felsüberhang von Le Moustier geborgen. Die Neandertaler nutzen die Höhle vor 120.000 Jahren zum ersten Mal, vor 40.000 Jahren endete ihr Aufenthalt dort. Bei einer internen Aufarbeitung des Sammlungsbestandes wurde jetzt ihr wissenschaftlicher Wert erkannt. „Die Sammlungsstücke waren einzeln verpackt und seit den 1960er-Jahren unberührt. Dadurch waren die anhaftenden Reste organischer Stoffe sehr gut erhalten“, berichtet Ewa Dutkiewicz.

20.02.2024

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20.02.2024

Die Forscher entdeckten die Klebstoffreste an mehreren Steinwerkzeugen, wie Abschlägen, Schabern und Klingen. Ocker ist ein natürlich vorkommendes farbiges Erdpigment, teilte das Museum mit. Das Kohlenwasserstoffgemisch Bitumen ist unter anderem Bestandteil von Asphalt, kann aus Erdöl hergestellt werden, kommt jedoch auch natürlicherweise im Boden vor. „Wir waren überrascht, dass der Ockeranteil bei mehr als 50 Prozent lag. Denn an der Luft getrocknetes Bitumen kann auch unverändert als Klebstoff genutzt werden und verliert durch Zugabe von so viel Ocker seine Klebeeigenschaften“, sagt Schmidt. Das habe er mit seinem Team in Zugversuchen und mit experimentell hergestelltem Vergleichsmaterial getestet.

„Anders war es, als wir flüssiges Bitumen einsetzten, das sich zum Kleben eigentlich gar nicht eignet. Fügt man 55 Prozent Ocker hinzu, erhält man eine formbare Masse“, sagt er laut Mitteilung. Die sei nur gerade so klebrig, dass ein Steinwerkzeug darin steckenbleibt, die Hände aber sauber bleiben – das Richtige also für einen Griff. „Eine mikroskopische Untersuchung der Gebrauchsspuren in Zusammenarbeit mit der New York University ergab, dass die Klebstoffe an den Geräten aus Le Moustier so verwendet worden sind“, berichtet der Wissenschaftler.

Die Nutzung von Klebern mit mehreren Komponenten, darunter verschiedene klebrige Substanzen wie Baumharze und auch Ocker, sei bisher vor allem von frühen modernen Menschen, dem Homo sapiens, in Afrika bekannt gewesen, teilt das Museum mit. „Solche technologischen Entwicklungen und das Verständnis für Materialeigenschaften wurden auch als erster Ausdruck umfassender kognitiver Prozesse der Menschen betrachtet, die unserer heutigen Denkweise bei industriellen Prozessen entsprechen“, so Schmidt.

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In der Region von Le Moustier mussten Ocker und Bitumen aus weit voneinander entfernten Orten zusammengetragen werden, das bedeutet großen Aufwand, erfordert Planung und eine gezielte Vorgehensweise, heißt es. „Wir gehen unter der Einbeziehung des ganzen Fundzusammenhangs davon aus, dass das aufwendig produzierte Klebematerial von Neandertalern hergestellt wurde“, so Dutkiewicz. „Was unsere Studie zeigt, ist, dass sich in der Klebstofftechnologie beim frühen Homo sapiens in Afrika und bei den Neandertalern in Europa ähnliche Denkmuster widerspiegeln“, sagt Schmidt. „Diese Entdeckung ist von großer Bedeutung für unser Verständnis von Menschwerdung.“

Besucher können in der Dauerausstellung zur Steinzeit im Neuen Museum aktuell den Schädel eines jugendlichen Neandertalers sehen, der dem unteren Felsüberhang der Fundstelle Le Moustier stammt. Er gehört zu den wertvollsten Objekten in den Berliner Sammlungen. Ausgestellt werden auch andere Steinartefakte aus der Fundstelle. Das Museum teilt mit, dass die Steinartefakte aus dieser Studie ebenfalls in die Dauerausstellung integriert werden sollen.

QOSHE - Sensationsfund in Berlin: Über 40.000 Jahre alter Klebstoff der Neandertaler entdeckt - Susanne Lenz
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Sensationsfund in Berlin: Über 40.000 Jahre alter Klebstoff der Neandertaler entdeckt

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22.02.2024

Forscher haben Reste eines 40.000 Jahre alten Klebstoffs der Neandertaler an den Objekten im Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin entdeckt. Die Objekte stammen aus der berühmten Fundstelle Le Moustier in Frankreich, wie das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin am Donnerstag mitteilte. Diese Entdeckung biete Einblicke in die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler, die lange unterschätzt worden seien.

Der Klebstoff besteht laut Mitteilung aus mehreren Komponenten und diente dazu, Steinwerkzeuge mit Griffen zu versehen. Die Bestandteile der ausgeklügelten Mischung sind Ocker und Bitumen, Rohstoffe, die aus der weiteren Region beschafft werden mussten. Es handelt sich um den bisher frühesten Fund eines Mehrkomponentenklebers in Europa. Das hat die Aufarbeitung von Stücken aus der Neandertalerfundstelle Le Moustier in der Dordogne unter der Leitung von Patrick Schmidt aus der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen sowie Ewa Dutkiewicz vom Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin ergeben.

Die Entwicklung von Klebstoffen und deren Einsatz für die Herstellung von Werkzeugen gelten als einer der besten materiellen Belege für die kulturelle Evolution und die kognitiven Fähigkeiten früher Menschen.........

© Berliner Zeitung


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