Das Filmteam wird am Samstagnachmittag im Kino International schon bejubelt, da war ihr Werk noch gar nicht zu sehen. Der Jubel ist ein Statement, der Film vielleicht der politischste der Berlinale. „No Other Land“ von Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor zeigt die Vertreibung von Palästinensern aus Masafer Yatta, einer Siedlung aus 19 Dörfern im Westjordanland, die Zerstörung ihrer Häuser, der Schaf- und Hühnerställe durch Bulldozer, sogar einer Schule durch die israelische Armee, die hier 1981 ein militärisches Sperrgebiet errichtet und die Palästinenser zu illegalen Siedlern gemacht hat.

Basel Adra kommt aus Masafer Yatta, das Filmen ist seine Art, sich gegen das Vorgehen Israels zu wehren. Es ist eine Möglichkeit, damit umzugehen, indem er kein Opfer ist, sondern Akteur, ja Aktivist. Als ein Dorfbewohner von einem Soldaten schwer verletzt wird, organisiert er Demonstrationen, fürchtet verhaftet zu werden, wie schon mehrmals sein Vater.

Basel Adra begegnet Yuval, einem israelischen Juden, ein Journalist. „Ach, du bist einer von diesen Menschenrechts-Israelis“, sagt einer aus dem Dorf zu ihm. Zwischen Basel Adra und Yuval Abraham entwickelt sich eine Zusammenarbeit, die auch Thema des Films ist. Mehrere Jahre lang arbeiten sie an „No Other Land“, die letzten verwackelten Aufnahmen stammen aus dem Oktober 2023. Basel Adras Cousin wird von einem israelischen Siedler erschossen, das ist nach dem 7. Oktober.

Der Film erschüttert, und es kommt darin eine Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck, die schwer zu ertragen ist. Als der Abspann läuft, erhebt sich das Publikum, es gibt minutenlange Standing Ovations, für viele ist das eine Demonstration von Solidarität. Man sieht hier einige Palästinensertücher.

„In Liebe, Eure Hilde“: Eine Geschichte vom Widerstand – ein Film für heute

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Ach Berlin, du kannst so schäbig sein: So empfängt der Potsdamer Platz die Berlinale-Gäste

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„Dass wir hier sind, bedeutet nicht, dass wir mit dem Statement der Berlinale zu dem Konflikt einverstanden sind“, sagt Basel Adra. Dafür bekommt er Jubel und Applaus. „Die Berlinale und die deutsche Regierung müssten sich für einen Waffenstillstand einsetzen.“ Jubel. Und dann schallt ein verbotener Sprechchor durch den Kinosaal: „From the river to the sea“ richtet sich gegen das Existenzrecht Israels. – Die Moderatorin sagt nichts dazu, es ist ein Zuschauer, der ruft, auch Israel solle da bestehen. Ein anderer sagt, der Slogan passe nicht zu dem, was der Film wolle. „Fuck you“, ruft jemand. Dann beruhigt sich die Stimmung. Yuval Abraham macht auf die Asymmetrie in seinem Verhältnis zu Basel Adra aufmerksam, dieser habe nicht die gleichen Rechte, könne sich nicht frei bewegen. Immer wieder fällt das Wort Apartheid.

Später steht Basel Adra auf der Karl-Marx-Allee und sagt, nur der Druck der internationalen Gemeinschaft könne etwas ändern. „Wenn die USA Israel keine Waffen mehr liefern.“

Schon ein paar Stunden früher hat das sogenannte Tiny House auf dem Potsdamer Platz seine Tür geöffnet. Hier möchte die Berlinale eine Art Safe Space für ein Gespräch über den Nahost-Konflikt anbieten, vielleicht es auch auslagern. Nicht mehr als fünf, sechs Menschen passen auf die Bank um den Tisch in dem winzigen Raum. Hier sitzt Shai Hoffmann, in Deutschland geborener Sohn jüdischer Israelis, er macht das seit vier Jahren, geht zusammen mit einer palästinensisch-stämmigen Kollegin vor allem an Schulen und hat seit dem 7. Oktober sehr viel Arbeit. Im Tiny House ist er zusammen mit dem Palästinenser Ahmad Dakhnous Gastgeber. Am Samstag kommt so viel Presse vorbei wie am Gespräch Interessierte. Eine Journalistin aus London erzählt, dass man in Großbritannien das Gefühl habe, dass Deutschland ziemlich extreme Maßnahmen ergriffen hat, sich auf Israels Seite zu stellen. Sie spricht von schwarzen Listen und Zensur. „Das hat wahrscheinlich mit der Geschichte zu tun.“

Als eine Frau fragt, ob Israel sich beim Vorgehen in Gaza immer noch auf das Selbstverteidigungsrecht berufen kann, bringt Shai Hoffmann seine persönliche Geschichte ins Spiel, das ist das Prinzip seiner Arbeit. „Ich habe Familie in Israel, Großeltern, die im KZ waren, und ich verstehe, dass Juden eine sichere Heimstatt brauchen.“ Er sagt auch, dass man in einer Demokratie wie Deutschland die Diskussion aushalten müssen, ob das, was die israelische Armee in Gaza mache, verhältnismäßig sei. Alle bleiben ruhig, hören einander zu. Das ist es, was man später im International vermisst.

Berlinale Panorama Dokumente „No Other Land“ 19. und 22. Februar. Kinos und Tickets auf www.berlinale.de

Tiny House auf dem Potsdamer Platz/Ecke Tilla-Durieux-Park , 18. Februar: 12.30-17 Uhr, 19. Februar: 10.30-17 Uhr.

QOSHE - Nahost-Konflikt auf der Berlinale: Bei Film über das Westjordanland kochen die Emotionen hoch - Susanne Lenz
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Nahost-Konflikt auf der Berlinale: Bei Film über das Westjordanland kochen die Emotionen hoch

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18.02.2024

Das Filmteam wird am Samstagnachmittag im Kino International schon bejubelt, da war ihr Werk noch gar nicht zu sehen. Der Jubel ist ein Statement, der Film vielleicht der politischste der Berlinale. „No Other Land“ von Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor zeigt die Vertreibung von Palästinensern aus Masafer Yatta, einer Siedlung aus 19 Dörfern im Westjordanland, die Zerstörung ihrer Häuser, der Schaf- und Hühnerställe durch Bulldozer, sogar einer Schule durch die israelische Armee, die hier 1981 ein militärisches Sperrgebiet errichtet und die Palästinenser zu illegalen Siedlern gemacht hat.

Basel Adra kommt aus Masafer Yatta, das Filmen ist seine Art, sich gegen das Vorgehen Israels zu wehren. Es ist eine Möglichkeit, damit umzugehen, indem er kein Opfer ist, sondern Akteur, ja Aktivist. Als ein Dorfbewohner von einem Soldaten schwer verletzt wird, organisiert er Demonstrationen, fürchtet verhaftet zu werden, wie schon mehrmals sein Vater.

Basel Adra begegnet Yuval, einem israelischen Juden, ein Journalist. „Ach, du bist einer von diesen Menschenrechts-Israelis“, sagt einer aus dem Dorf zu ihm. Zwischen Basel Adra und Yuval Abraham entwickelt sich eine Zusammenarbeit,........

© Berliner Zeitung


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