Drei Tage nach dem 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, hatte Markus Lanz einen besonderen Gast in seine Sendung eingeladen: den 98 Jahre alten Leon Weintraub, in Polen geboren, ein Überlebender der Shoah.

Dies sei die Chance auf eine Geschichtsstunde, wie es sie nicht mehr oft geben werde, sagte der Talkmaster, der es sonst gerne kontrovers hat in seinen Runden. Und er meinte es ernst, bewies, dass er auch zuhören kann.

Mehr als eine halbe Stunde lang ließ er Leon Weintraub, diesen eleganten, ganz wachen Mann, einfach erzählen. Und er ließ die Zuschauer erfahren, dass auch, wenn man das alles schon gehört hat von der Rampe in Auschwitz, der Selektion, den Schornsteinen, aus denen Tag und Nacht schwarzer Rauch kam, es etwas ganz anderes ist, wenn es aus dem Mund von einem kommt, der dort gewesen ist.

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Die Politikjournalistin Nadine Lindner, die als nächste sprechen sollte, sagte nach diesem Bericht einen Satz, wie er in einer Talkshow selten zu hören ist: „Ich habe das Bedürfnis, still zu sein.“

Dann ging es aber doch ins Gespräch, ein wenig auch in die Kontroverse, und Markus Lanz machte klar, worum es gehen sollte: „Wenn Sie sich Europa angucken, diese ganze braune Soße schwappt doch immer wieder hoch.“ Nadine Lindner, die für Deutschlandradio über die AfD berichtet, gab ihm im Prinzip recht, verwies aber auf Polen als Positivbeispiel, wie man durch Wahlen auch wieder etwas ändern könne.

Der dritte im Bunde war Harald Jähner, bis 2015 Feuilletonchef der Berliner Zeitung und Autor der höchst erfolgreichen Sachbücher „Wolfszeit“ und „Höhenrausch“, in denen er sich mit der Nachkriegszeit in Deutschland beziehungsweise der Weimarer Republik beschäftigt. Aus dieser Perspektive warnte er davor, den Begriff Nazi inflationär zu benutzen. „Es gibt zu heute entscheidende Unterschiede.“

„Wie setzt man sich mit der AfD auseinander, ohne sie zu dämonisieren?“, wollte Markus Lanz von Harald Jähner wissen. „Indem man sie ganz genau beschreibt“, antwortete dieser. Und führte dann aus, was er damit meint. Die „Hitlerjuden“ seien ein Fantasma gewesen, eine Wahnvorstellung. Wenn aber die Menschen Angst hätten vor ungeregelter Migration, vor Menschen mit einer anderen Religion, könne man das nachvollziehen, auch wenn die Schlussfolgerungen, die sie manchmal daraus ziehen würden, inakzeptabel seien. „Aber diese Leute als Nazis zu bezeichnen, dämonisiert sie“, so Jähner. „Den Unterschied zwischen den bedenklichen Leuten und denen, die wirklich gefährlich sind, schmilzt man damit zusammen.“

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Dann wurde ein Foto der Potsdamer Villa eingeblendet, in der sich rechte Politiker unter anderem von der AfD getroffen und über die Vertreibung von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund beraten haben sollen. Auch Mitglieder der CDU und der Werteunion waren wohl dabei und der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner. Nadine Lindner hatte dafür kein Verständnis. „Selbststeuerungsmechanismen finden in der AfD seit dem Treffen in Potsdam nicht mehr statt. Das sind mündige Bürger, die nach Hause gehen können, wenn Herr Sellner auftaucht.“

Harald Jähner blickt anders auf die AfD, zumindest schlägt er eine andere Art des Umgangs mit ihr vor. Zur Demokratie gehöre es, dass man auch dem politischen Gegner zunächst unterstelle, dass er es gut meint, auch wenn er vielleicht die falschen Mittel gebrauche. Tino Chrupalla etwa habe gesagt, natürlich solle man Deutsche mit Migrationshintergrund nicht abschieben. Bei diesem Wort solle man ihn nehmen, statt ihn als Heuchler zu bezeichnen und die AfD immer auf den schlimmstmöglichen Nenner zu bringen. „Die AfD wurde immer in die Nazi-Ecke gedrängt. Das führt dazu, dass die Leute irgendwann sagen: Okay, dann sind wir eben Nazis.“

Jähner warb dafür, die spezifische Situation im Osten zu erkennen. Der ostdeutsche Widerstand gegen autoritäre Maßnahmen, etwa in der Coronazeit, habe nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun. „Das hat etwas Antiautoritäres, aber das wird nach rechts gerückt.“ Das habe Konsequenzen.

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Eine Verantwortung dafür sieht Jähner auch bei den Journalisten. In der Flüchtlingskrise 2015/2016 etwa hätten Medien die Willkommenskultur zelebriert, statt einfach zu berichten. „Journalisten haben sich zu Volkspädagogen aufgeschwungen.“ Kritische Stimmen seien diffamiert worden. Auf diesen Kampagnenjournalismus hätten die Ostdeutschen allergisch reagiert. „Weil sie das kannten.“ -„In Sachsen haben Wohnungen gebrannt, in die Flüchtlinge einziehen sollten“, wandte Nadine Lindner ein.

Das letzte Wort hatte Leon Weintraub, der einen neuen Gedanken in die Debatte brachte: Es sei absurd, Soldaten auszubilden, Waffen zu produzieren. „Konflikte lösen, indem man sich gegenseitig tötet?“ Diese Frage durfte im Raum stehen bleiben.

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