Das Berlinale-Leitungsduo verkündete die sensationelle Nachricht kurz vor Weihnachten: Der Regisseur Martin Scorsese wird bei der 74. Berlinale mit dem Ehrenbären des Festivals ausgezeichnet.

„Für jeden, der Film als die Kunst betrachtet, eine Geschichte so zu gestalten, dass sie sowohl ganz persönlich als auch universell ist, ist Martin Scorsese ein unübertroffenes Vorbild“, teilten Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian mit. „Sein Blick auf die Geschichte und die Menschheit hat uns geholfen, zu verstehen und zu hinterfragen, wer wir sind, woher wir kommen.“

Seinen jüngsten Film „Killers of the Flower Moon“ bezeichneten sie als eine seiner größten Errungenschaften. „Es ist uns eine große Freude, einmal mehr einen guten Freund des Festivals begrüßen zu dürfen und ihm unseren wichtigsten Ehrenpreis zu verleihen.“ Und all das ist ja auch vollkommen richtig und wahr.

Dass der 81 Jahre alte Meisterregisseur Martin Scorsese als eine der wichtigsten Figuren der Filmgeschichte diese Trophäe für sein künstlerisches Lebenswerk verdient hat, ist keine Frage. Der italienischstämmige Scorsese, der auch als Produzent und Drehbuchautor wirkt, prägt seit den 1970er-Jahren das Kino nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt. Die Aufzählung all der Filme, die er gemacht hat, könnte man mit „Taxidriver“ beginnen, der Film, mit dem er 1976 in Cannes die Goldene Palme gewann.

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Dazu ist Scorsese seit langem mit den Berliner Filmfestspielen eng verbunden, zahlreiche seiner Filme liefen hier im Wettbewerb: 1981 war es „Wie ein wilder Stier“, 1992 „Kap der Angst“, 2003 „Gangs of New York“, 2010 „Shutter Island“. Und doch könnte man die Entscheidung, die Auszeichnung in diesem Jahr Martin Scorsese zu verleihen, durchaus auch als Retourkutsche Carlo Chatrians an Claudia Roth interpretieren, als vergiftetes Abschiedsgeschenk an die Kulturstaatsministerin, die Chatrian so unsanft abserviert hat. Denn es ist dies die letzte Berlinale des künstlerischen Leiters dieses Festivals, das zu den wichtigsten der Welt zählt.

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Claudia Roth hat Carlo Chatrian rausgeworfen, auch wenn dieser Rauswurf im Gewand einer Kurskorrektur daherkam. Das war im August 2023, nachdem einen Monat vorher ein Sparplan verkündet worden war, dem mehrere Reihen beziehungsweise Sektionen zum Opfer fielen und der die Zahl der während des Festivals gezeigten Filme um fast ein Drittel auf rund 200 reduzierte, auch wenn es dieses Jahr doch rund 230 sind.

Man wolle die Leitungsstruktur der Berlinale reformieren: statt der Doppelspitze Rissenbeek/Chatrian, die ihre erste Berlinale 2020 ausrichteten, also die Rückkehr zum Intendanzmodell, sagte Claudia Roth, auch Vorsitzende des Aufsichtsrats der KBB, der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH, in die die Berlinale eingegliedert ist. Sprich: Es soll wieder nur eine Person an der Spitze des Festivals stehen. (Es wird von April an die Amerikanerin Tricia Tuttle sein.)

Von einem Neustart war die Rede, auch wenn es eher eine Rückkehr in eine womöglich nicht mehr zeitgemäße Vergangenheit ist. Wobei man auch sagen muss, dass Roth unter Zugzwang stand, seit Mariette Rissenbeek im März ihren Rückzug angekündigt hatte. Für Chatrian werde ein Posten irgendwo im Berlinale-Team gesucht, hieß es dann also im August. Dieser erteilte dem unwürdigen Ansinnen bald eine Absage, indem er mitteilte, er werde für eine nächste Berlinale nicht mehr zur Verfügung stehen.

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Anfang September übten Hunderte internationale Filmschaffende in einem offenen Brief scharfe Kritik an Roths Vorgehen, der prominenteste Unterzeichner war Martin Scorsese. Der erste Satz des im Branchenblatt Variety veröffentlichten Dokuments war eine unmissverständlich harsche Kritik an Claudia Roth: „Wir, eine vielfältige Gruppe von Filmemachern aus aller Welt, die tiefen Respekt vor der Berlinale als Ort für großes Kino aller Art hat, protestieren gegen das schädliche, unprofessionelle und unmoralische Verhalten von Staatsministerin Claudia Roth, die den geschätzten künstlerischen Leiter Carlo Chatrian zum Rückzug zwingt, obwohl sie versprochen hatte, seinen Vertrag zu verlängern.“

Die Unterzeichner, darunter auch Margarethe von Trotta, Kristen Stewart, Tilda Swinton, der japanische Oscar-Preisträger Ryusuke Hamaguchi und die deutschen Regisseure Maren Ade und Andreas Dresen, erinnerten daran, dass Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek das Festival sicher durch die beiden Corona-Jahre brachten, und setzen sich vor allem für Chatrian ein: Dieser sei vielleicht kein Showman, doch mit seiner leisen Art hätten er und sein Team einen künstlerisch bereichernden kuratorischen Weg beschritten. Claudia Roth versuchte, das alles wegzulächeln. Von Chatrians Kündigung zeigte sie sich überrascht.

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Am 20. Februar ist Claudia Roths ausgeprägte Fähigkeit, gute Miene zu machen, wieder dringend gefragt. An diesem Tag wird Scorsese im Berlinale-Palast die Auszeichnung überreicht – in Anwesenheit der Kulturstaatsministerin. Und wenn man an die Bilder vom vergangenen Jahr denkt, als Steven Spielberg diese Ehrung zuteilwurde, war da überall eine strahlende Kulturstaatsministerin zu sehen, die Spielberg gratulierte, sich mit ihm fotografieren ließ. Ein derartiger Wohlfühltermin dürfte es für Roth nicht werden.

Nach der feierlichen Zeremonie wird übrigens ein mit vier Oscars ausgezeichneter Film von Martin Scorsese gezeigt: „The Departed“, ein Gangsterfilm mit dem in diesem Fall beziehungsreichen deutschen Titel „Unter Feinden“.

QOSHE - Carlo Chatrians vergiftetes Abschiedsgeschenk an Claudia Roth: Der Ehrenbär für Martin Scorsese - Susanne Lenz
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Carlo Chatrians vergiftetes Abschiedsgeschenk an Claudia Roth: Der Ehrenbär für Martin Scorsese

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20.02.2024

Das Berlinale-Leitungsduo verkündete die sensationelle Nachricht kurz vor Weihnachten: Der Regisseur Martin Scorsese wird bei der 74. Berlinale mit dem Ehrenbären des Festivals ausgezeichnet.

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© Berliner Zeitung


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