Die Verteidigung der Demokratie findet dieser Tage auch im Saal statt, etwa bei der Leipziger Buchmesse. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi reagierte auf die Plakataktion via der Plattform X mit einer Art Kopfschütteln. Wir haben nachgefragt, was er von den Protesten „von oben“ hält.

Herr Nassehi, Sie haben zu den Protestplakaten zur Buchmessen-Eröffnung, auf denen „Demokratie wählen jetzt“ stand, via Twitter gepostet: „Definiere Bärendienst“. Warum halten Sie die Aktion für einen Bärendienst und an wem?

Ich halte das für einen Bärendienst, weil diese ausgestellte Tugendhaftigkeit einen starken Eindruck von Selbstgerechtigkeit erzeugt, gewissermaßen ein gratismutiges virtue signalling, das gerade die, die man damit meint, eher in ihren (Vor-)Urteilen bestätigt. Außerdem darf man auf einer Buchmesse, einer Selbstpräsentation derer, die mit Worten, mit Geschriebenem, mit Argumenten arbeiten, mehr erwarten als solch eine parolenhafte Form. Eine selbstkritische Rede zum Beispiel wäre eher am Platz gewesen. Wenn man es etwas böse sagen will: Meine Erstassoziation war die wunderbare Szene aus „Das Leben des Brian“, in der seine Anhänger skandieren „Ja, wir sind alle Individuen“, woraufhin einer schüchtern bemerkt: „Ich nicht.“

Definiere Bärendienst. pic.twitter.com/723ZwFXMuu

Die Leitung der Buchmesse hat diese Schilder auf die Sitze gelegt, sodass sie ein Foto machen können, das ein Signal sendet, ein starkes Zeichen. Warum funktioniert das Ihrer Meinung nach nicht?

Das Motiv mag ehrenwert sein – aber es kommt nicht auf das Motiv an, sondern auf das, was performativ, also praktisch dabei herauskommt. Die Frage ist dann, für wen was funktioniert. Was sicher funktioniert, ist eine Form der Selbstvergewisserung, vielleicht sogar Selbsterhöhung eines Milieus. Aber unfreiwillig funktioniert es auch für die, die gemeint sind, denn diese nutzen ja auch diesen Begriff der Demokratie als Parole, um sich von politischen, kulturellen, wissenschaftlichen Eliten abzusetzen. Die Populisten „holen sich die Demokratie zurück“, wie wir in Erding von Aiwanger gehört haben – und die Antwort darauf ist eine ähnliche Formulierung?

Es erscheint tatsächlich paradox, innerhalb des öffentlichen Raumes ein Protestplakat mit der Forderung „Demokratie wählen. Jetzt“ hochzuhalten. Was drückt diese Szene noch für Sie aus?

Wie gesagt, es ist einfach die Umkehrung dessen, was Rechtspopulisten schon länger betonen: Demokratie jetzt, sofort, gegen die Falschen. Ich glaube nicht, dass man der Demokratie einen Dienst erweist, wenn der Begriff zu einem bloßen Signal verkommt. Demokratisch halten viele das, was ihnen inhaltlich in die Karten spielt. Als undemokratisch gilt das Gegenteil.

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19.03.2024

20.03.2024

19.03.2024

Es waren u.a. verantwortliche Politiker, die mit den Plakaten Demokratie angemahnt haben, etwa Claudia Roth. Markieren diese damit ein Misstrauen gegenüber einer Politik, sie doch selbst gestalten sollten?

Vielleicht unterstellt man mit dieser Frage schon viel zu viel Rationalität. Demokratie ist hier ein Wertbegriff, dem man nicht widersprechen kann – und es ist einfacher als ein gutes Argument und als die Frage, wie man die Leute dazu bringt, nicht nach Ressentiments, nach emotionaler Stimmung, nach Vorurteilen zu wählen. Das ist doch derzeit die kommunikative Situation, seit der Flüchtlingskrise, in der Pandemie, angesichts von Klimaschutzmaßnahmen: Wenn man den Leuten etwas erklärt, wird es ja nicht besser. Ein gutes Argument wird oft als ein besonders perfides Mittel angesehen, jemanden hinters Licht zu führen. Und das Schild ist nicht einmal ein gutes Argument, sondern nur eine Parole, die die Adressaten geradezu ironisch gegen die Intention all der Tugendhaften wenden können.

Zur Stimmung des Augenblicks gehört ein Gefühl von bedrohter Demokratie. Wie bedroht ist sie tatsächlich, und was sollte man dieser Stimmung entgegensetzen?

Die Bedrohung der Demokratie ist real, weil es politische Akteure gibt, die manchen Grundkonsens verlassen. Die AfD macht sich nicht einmal die Mühe, unmittelbar verfassungsfeindliche Inhalte zu verdecken: biologistische Rassismen, eine Umdeutung des Würdebegriffs, offen verfassungswidrige Ankündigungen gegen Deutsche, die in früherem Sprachgebrauch keine Volksdeutschen sind, Ablehnung demokratischer Verfahren. Genau genommen ist die AfD die ehrlichste Partei von allen, weil sie offen sagt, was sie will und damit so sehr provoziert, dass dem demokratischen Gegenüber nur noch einfällt, dass es demokratisch ist. All das lässt sich nicht mit einem Slogan einfangen, der genau so gegen sich selbst gewendet werden kann.

Armin Nassehi: Wenn nichts zusammenpasst – Tragik und Glück der modernen Gesellschaft

30.10.2023

Leipziger Buchmesse öffnet: Scholz wird angeschrien, Zuhörer sollen Demokratie-Schilder hochhalten

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Wie blicken Sie, nachdem sich die Proteste gegen rechts wieder abzuschwächen scheinen, auf die Demonstrationen der vergangenen Wochen?

Die Demonstrationen haben sehr deutlich gemacht, dass Rechtsradikale in der Minderheit sind. Das ist sehr zu begrüßen. Was ich weniger gelungen fand, ist eine Vermischung der Begriffe „rechts“ und „rechtsradikal“ – zur Demokratie gehört nicht nur eine Mitte-links-Seite, sondern auch eine Mitte-rechts-Seite, auf die es derzeit womöglich besonders ankommt. Hier hätte ich mir inklusivere Formen gewünscht. Aber auch Protestbewegungen und -formen folgen ausgetretenen Mustern und Gewohnheiten. Letztlich drücken die Aktion in Leipzig und die Proteste aus, wie hilflos die Mittel sind, sich gegen die Wahl von Rechtspopulisten zu positionieren. Alle möglichen Verbände, Spitzenorganisationen (auch aus der Wissenschaft), sogar Unternehmen machen entsprechende Aufrufe, und das ist sehr zu begrüßen, aber es sind immer die gleichen Texte, Formeln und Formulierungen, deren Informationswert durch Wiederholung irgendwann gegen null geht. Das ist leider das Schicksal von solchen Formen des Engagements. Irgendwann adressiert man sich nur noch selbst. Und das sage ich nicht in anklagendem, sondern in beschreibendem Ton.

Die AfD wurde nicht beim Namen genannt, aber die Leipziger Buchmesse findet in Sachsen statt, dort wird im September gewählt, der jüngsten Umfrage zufolge liegt die AfD bei 34 Prozent. Auf welchem Wege sollte man der AfD beizukommen versuchen?

Das lässt sich fast nur negativ beantworten. Aus anderen europäischen Ländern wissen wir, dass das Kopieren der Sprechweise und der Argumente von Rechtspopulisten eher diesen genützt hat, weil die Argumente dann nicht mehr so ‚anders‘ klingen. Man gewöhnt sich an semantische Formen durch Wiederholung. Die Formel muss natürlich lauten, dass politische Lösungen gelingen müssen, und Baustellen gibt es derzeit viele. Vielleicht muss man eher an die Adresse der demokratischen Parteien Schilder hochhalten, die sich gegenseitig die Entstehung des Rechtspopulismus vorwerfen und bei der Lösung von Problemen scheitern. Ich weiß, das ist leicht gesagt und auch naiv, aber man wird die Leute nicht durch gute Argumente und schon gar nicht durch Parolen zurückbekommen, sondern durch Problemlösungen, die sich als solche anfühlen. Aus sachlichen Gründen gibt es nämlich nur für diejenigen einen Grund, AfD zu wählen, die das rassistische Ressentimentprogramm wirklich wollen. Die wird man nicht bekehren können, die anderen aber haben den Glauben gerade an die verloren, die sich mit der Parole „Demokratie wählen“ gut fühlen, als hätten sie nichts damit zu tun.

QOSHE - Armin Nassehi kritisiert Plakataktion der Buchmesse: Bärendienst und ausgestellte Tugendhaftigkeit - Susanne Lenz
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Armin Nassehi kritisiert Plakataktion der Buchmesse: Bärendienst und ausgestellte Tugendhaftigkeit

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22.03.2024

Die Verteidigung der Demokratie findet dieser Tage auch im Saal statt, etwa bei der Leipziger Buchmesse. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi reagierte auf die Plakataktion via der Plattform X mit einer Art Kopfschütteln. Wir haben nachgefragt, was er von den Protesten „von oben“ hält.

Herr Nassehi, Sie haben zu den Protestplakaten zur Buchmessen-Eröffnung, auf denen „Demokratie wählen jetzt“ stand, via Twitter gepostet: „Definiere Bärendienst“. Warum halten Sie die Aktion für einen Bärendienst und an wem?

Ich halte das für einen Bärendienst, weil diese ausgestellte Tugendhaftigkeit einen starken Eindruck von Selbstgerechtigkeit erzeugt, gewissermaßen ein gratismutiges virtue signalling, das gerade die, die man damit meint, eher in ihren (Vor-)Urteilen bestätigt. Außerdem darf man auf einer Buchmesse, einer Selbstpräsentation derer, die mit Worten, mit Geschriebenem, mit Argumenten arbeiten, mehr erwarten als solch eine parolenhafte Form. Eine selbstkritische Rede zum Beispiel wäre eher am Platz gewesen. Wenn man es etwas böse sagen will: Meine Erstassoziation war die wunderbare Szene aus „Das Leben des Brian“, in der seine Anhänger skandieren „Ja, wir sind alle Individuen“, woraufhin einer schüchtern bemerkt: „Ich nicht.“

Definiere Bärendienst. pic.twitter.com/723ZwFXMuu

Die Leitung der Buchmesse hat diese Schilder auf die Sitze gelegt, sodass sie ein Foto machen können, das ein Signal sendet, ein starkes Zeichen. Warum funktioniert das Ihrer Meinung nach nicht?

Das Motiv mag ehrenwert sein – aber es kommt nicht auf das Motiv an, sondern auf das, was performativ, also praktisch dabei herauskommt. Die Frage ist dann, für wen was funktioniert. Was sicher funktioniert, ist eine Form der Selbstvergewisserung, vielleicht sogar Selbsterhöhung eines Milieus. Aber unfreiwillig funktioniert es auch für die, die........

© Berliner Zeitung


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