Wir treffen die Filmemacherin Annekatrin Hendel in den Räumen ihrer Produktionsfirma It works! Medien in einem Altbau in Prenzlauer Berg. Das Gespräch findet an einem wackeligen Küchentisch statt, an den Wänden hängen die Plakate ihrer Filme.

Ihr letzter ist eine Dokumentation über den 1. FC Union Berlin: „Union – Die besten aller Tage“. Er kommt am 4. April ins Kino.

Liebe Frau Hendel, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über Union zu machen?

Ich bin in der Wuhlheide aufgewachsen, in Biesdorf, und Union gibt es für mich schon immer. Ich war nur selten im Stadion, aber wenn man in dieser Gegend groß wird, dann ist Union ein beherrschendes Thema, auch wenn man kein Fan ist. Die Idee, über den Verein einen Film zu machen, kommt aus dem Bedürfnis, von Ostdeutschen zu erzählen, die etwas zustande bringen. Die Potenzial haben. Im Zuge dessen, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet und die Ostdeutschen immer mehr in die rechte Ecke kommen, war mir dieser Film wichtig.

Mit „Union – Die besten aller Tage“ schreiben Sie Ihre Rolle als Dokumentaristin des Ostens fort, die Sie aus Wut angenommen haben, wie Sie einmal sagten. Aus Wut darüber, wie der Osten seit der Wende dargestellt wurde und wird: immer nur Anoraks und Stasi. Wollen Sie dieses Narrativ auch mit diesem Film durchbrechen?

Das ist nicht mehr zu durchbrechen. Die Geschichte ist geschrieben, obwohl ich sie selbst so nicht gelebt habe. Deshalb habe ich genau vor 20 Jahren angefangen, Filme zu machen, die zeigen, dass das Leben von Ostlern mehr war als irgendwas mit Unterdrückung. Film für Film arbeite ich mich da vor. Ein Ausreißer ist mein Film „Fassbinder“. Wobei: Rainer Werner Fassbinder hat sich wie kein zweiter Filmemacher der Bundesrepublik mit der deutschen Nachkriegsgeschichte befasst. Die zwei deutschen Staaten sind ja ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs. Der Film über den 1. FC Union Berlin hält sich aber im Gegensatz zu den anderen Filmen ausschließlich in der Gegenwart auf, obwohl Union ein Ostverein ist.

•vor 7 Std.

•gestern

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Haben Sie nicht den Eindruck, dass mit den Büchern von Katja Hoyer und Dirk Oschmann noch einmal Bewegung in die Ost-West-Debatte gekommen ist?

Eigentlich sollte das längst Schnee von gestern sein. Aber das Bild vom Unrechtsstaat DDR ist festgeschrieben. Ich filme ja auch schon lange dagegen an. Gerade komme ich aus Bayern, da bewegt sich gar nichts. Mit Katja Hoyer und Dirk Oschmann auch nicht, nicht mit meinen Filmen, mit gar nichts.

Woran genau machen Sie das denn fest, dass sich da nichts ändert?

Es war eine Geburtstagsfeier mit 25 Leuten, und dann kriegt jemand mit, dass ich aus dem Osten komme, und sagt quasi: Ach, das tut mir ja leid. – Das ist kein Witz. Heute noch.

Das muss Bayern sein.

Ach, in Hamburg passiert das genauso. Nur in Berlin ist es ein bisschen anders.

Versetzt Ihnen eine solche Bemerkung keinen Stich?

Nein. Wo kommen Sie denn her?

Aus Heidelberg. Also Baden-Württemberg.

Das tut mir aber leid. (lacht)

Viele denken, ich würde aus Schwaben kommen, und dann tue ich ihnen wirklich leid.

Und was empfinden Sie dann?

Richtig ernst nehmen kann ich das nicht.

So geht es mir auch. Es versetzt mir keinen Stich. Ich nehme es einfach zur Kenntnis. Es erzählt ja vor allem etwas über den oder die, dem oder der man leidtut.

Katja Hoyer wird vorgeworfen, die DDR-Geschichte zu verklären.

Sie wird sich selbst dazu verhalten können. Aber mir kann das nicht vorgeworfen werden. Ich habe all meine Filme mit einer Vorliebe für Figuren, die in Widersprüchen zu Hause sind, gemacht: den Film „Vaterlandsverräter“ zum Beispiel, über den Schriftsteller Paul Gratzik, der gleichzeitig IM Peter war. Oder einen Film über Sascha Anderson, ebenfalls Dichter und IM. Ich greife also auch in die Dreckecken. Auch auf das Phänomen Union, diesen kleinen Arbeiter-Fußballverein, bin ich auf der Suche nach filmischen Antworten auf das Auseinanderdriften der heutigen Gesellschaft gestoßen.

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Man könnte verwundert darüber sein, dass Sie diesen Weg eingeschlagen haben. In der DDR haben Sie in einer Nische gelebt, die mit dem Staat nichts am Hut hatte, in der Modeszene des Prenzlauer Bergs. Sie konnten nicht Abitur machen, nicht auf die Filmhochschule gehen. Empfanden Sie keinen Groll?

Doch, natürlich. Ich war total sauer, dass ich kein Abitur machen durfte. Man muss aber auch nicht alles toll finden. Und so war ich gezwungen, Nischen zu suchen. Wir sitzen hier in meinem Büro im Prenzlauer Berg, dessen ganzer Mythos darauf beruht, was wir hier in den 1980er-Jahren gemacht haben: die sogenannte Prenzlauer-Berg-Untergrundszene. Von diesem Flair zehrt dieser Bezirk immer noch, auch wenn es jetzt hier so ist, als würde man auf dem Dorf leben. Vielleicht weil diejenigen, die sich hier Wohnungen kaufen konnten, eigentlich ihr Provinzleben weiterleben wollen.

Sie konnten nicht auf die Filmhochschule gehen und sind dann doch Filmemacherin geworden. Wie haben Sie das geschafft?

Lebensgier und das Glück, bewegte Zeitenwenden erlebt zu haben, sind perfekte Stofflieferanten. Das will raus. Es hat etwas gedauert, Leute zu finden, die mit mir durch die Hölle des Entstehungsprozesses eines Filmes gehen wollten. Da mussten auch einige Spielregeln neu gelernt werden. Um die Gunst von Geldgebern zu bekommen, produzierte ich aber erst mal Unmengen beschriebenes Antragspapier für die Tonne. Aber das, was ich im Osten gelernt hatte, konnte ich schließlich ganz gut anwenden.

Was haben Sie denn in der DDR gelernt?

Ohne Rücksicht auf Verluste zu machen, was ich will. In Watte war ich nicht gepackt. Die Erfahrungen nützen noch immer, um Geld für Filme zu bekommen.

Ist es denn leicht, für Ihre Filme Geld aufzutreiben?

Warum sollte es leicht sein, wenn jemand ohne Ausbildung, ohne Netzwerk sagt: Ich möchte jetzt Filme machen. Der Kuchen war verteilt, als ich angefangen hatte.

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Wurde es leichter, nachdem Sie die vielen Preise gewonnen hatten?

Nein. Aber ich finde es auch nicht nötig, dass es leicht ist.

Wie hat denn Union auf Ihr Ansinnen reagiert?

Der Kommunikationschef Christian Arbeit ist ein film- und literaturinteressierter Mensch. Er kannte meine Filme. Und darüber sind wir schon 2018 in Kontakt gekommen. Deshalb konnte ich ihn einfach anrufen. Wir saßen schnell an diesem Tisch hier, und dann ging es auch gleich weiter. Das nächste Gespräch war dann mit dem Vereinspräsidenten Dirk Zingler. Er fragte: Was wollen Sie, Frau Hendel? Ich sagte: Ich will alles. – Dann hat er seine Assistentin gerufen: Frau Schulz, Frau Hendel will alles.

Sie konzentrieren sich auf den Verein, die Struktur hinter den Spielern. Warum?

Die Spieler kommen und gehen wie in vielen anderen Klubs auch. Mich haben ohnehin eher die Leute interessiert, die bleiben, den Betrieb am Laufen halten und die nicht unbedingt im Rampenlicht stehen. Diese wenigen Leute, von denen ein Film erzählen kann, stehen exemplarisch für circa 300 Menschen, die dort alle zusammenarbeiten.

Wie haben denn die Leute auf Sie reagiert?

In erster Linie stört ein Filmteam.

Das merkt man nicht. Ich stelle Sie mir wie eine Anthropologin vor, die einfach immer da ist, bis sie keiner mehr bemerkt. Sie haben zwei Jahre lang an dem Film gearbeitet. Wie oft waren Sie denn in der Zeit in der Alten Försterei?

Der Anspruch war: ein langer Atem. Wir hatten viele, viele Drehtage und sind auch zu den Länderspielen mitgereist. Ich wusste, dass ich mir die Zeit nehmen muss, die Leute wirklich gut kennenzulernen. Das will ich ja immer. Und dann habe ich keine Distanz. Das kann ein Nachteil sein, es kann aber auch ein Vorteil sein.

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Was heißt das, dass Sie keine Distanz haben?

Ich gucke nicht auf die Leute wie ein Forscher auf Insekten, sondern ich bin dann schnell mittendrin.

Haben Sie dem Verein den Film schon gezeigt?

Den Protagonistinnen und Protagonisten, die den Film sehen wollten, ja. Aber viele Mitarbeitende können den Film erst sehen, wenn er im Kino gezeigt wird. Der Film wird beim Start in 80 Kinos in ganz Deutschland gezeigt. Die Premiere findet am 2. April im Kino International in Berlin statt. Das Wort „international“ hat für Union ja eine große Bedeutung. In den letzten drei Saisons haben sie das Wunder vollbracht, international zu spielen. Zuletzt in der Königsklasse, der Champions League. Sie haben es geschafft, den etablierten Vereinen Geld und Tabellenplätze streitig zu machen. Das war Arbeit im Rausch. Keine Zeit, die Erfolge zu genießen. Jetzt kann sich auch die Belegschaft mal diese zwei Stunden Film gönnen.

Wo nehmen die Leute von Union dieses Selbstbewusstsein her?

Ja, selbstbewusst sind sie. Der Präsident zum Beispiel, der den Verein seit 20 Jahren leitet, hat schon als junger Mensch ein Unternehmen gegründet, sich konsequent nach 1989 auf den Kapitalismus eingelassen. Sein Credo war sinngemäß: keine Angst vor Arbeitslosigkeit, sondern Arbeitsplätze schaffen. Er sei kein Erbe, er gehöre zur ersten Generation, die sich alles selbst erarbeiten musste, sagte er mal. Vielleicht geht man dann selbstbewusster und sorgsamer damit um. Anders.

Wie denn anders?

Es gibt da eine spezielle Art, Entscheidungen zu treffen, eine spezielle Art, miteinander umzugehen. Vielleicht kommt das auch aus einer doch etwas anderen Arbeitskultur. Aus einer Kultur, in der man sich nicht coachen lässt oder mithilfe von Supervisoren Probleme löst, sondern indem man miteinander redet. Und sie machen es sich dort nicht leicht. Man sieht ja im Film, es geht nicht nur darum, wie man die meisten Tickets verkauft, sondern vor allem darum, wie man sie gerecht verteilt. Oder wenn ich Dirk Zingler nach den 500.000 Euro frage, die der Verein ausgibt, um die Fans nach Portugal zu bringen, und er antwortet: Das ist doch das Beste, was man mit dem Geld machen kann.

Was einem Ihr Film vor Augen führt: Wie wichtig für viele Menschen Fußball ist.

Tatsächlich auch für mich eine wichtige Erkenntnis: Was der Sport für Brücken bauen kann. Und ein Stadion zu erleben als Möglichkeit, Grenzen zwischen unseren sich immer fester zurrenden gesellschaftlichen „Blasen“ fast mühelos zu sprengen.

Interview: Susanne Lenz

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Annekatrin Hendel und ihr Film über den 1. FC Union Berlin: Von Ostdeutschen, die etwas zustande bringen

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01.04.2024

Wir treffen die Filmemacherin Annekatrin Hendel in den Räumen ihrer Produktionsfirma It works! Medien in einem Altbau in Prenzlauer Berg. Das Gespräch findet an einem wackeligen Küchentisch statt, an den Wänden hängen die Plakate ihrer Filme.

Ihr letzter ist eine Dokumentation über den 1. FC Union Berlin: „Union – Die besten aller Tage“. Er kommt am 4. April ins Kino.

Liebe Frau Hendel, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über Union zu machen?

Ich bin in der Wuhlheide aufgewachsen, in Biesdorf, und Union gibt es für mich schon immer. Ich war nur selten im Stadion, aber wenn man in dieser Gegend groß wird, dann ist Union ein beherrschendes Thema, auch wenn man kein Fan ist. Die Idee, über den Verein einen Film zu machen, kommt aus dem Bedürfnis, von Ostdeutschen zu erzählen, die etwas zustande bringen. Die Potenzial haben. Im Zuge dessen, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet und die Ostdeutschen immer mehr in die rechte Ecke kommen, war mir dieser Film wichtig.

Mit „Union – Die besten aller Tage“ schreiben Sie Ihre Rolle als Dokumentaristin des Ostens fort, die Sie aus Wut angenommen haben, wie Sie einmal sagten. Aus Wut darüber, wie der Osten seit der Wende dargestellt wurde und wird: immer nur Anoraks und Stasi. Wollen Sie dieses Narrativ auch mit diesem Film durchbrechen?

Das ist nicht mehr zu durchbrechen. Die Geschichte ist geschrieben, obwohl ich sie selbst so nicht gelebt habe. Deshalb habe ich genau vor 20 Jahren angefangen, Filme zu machen, die zeigen, dass das Leben von Ostlern mehr war als irgendwas mit Unterdrückung. Film für Film arbeite ich mich da vor. Ein Ausreißer ist mein Film „Fassbinder“. Wobei: Rainer Werner Fassbinder hat sich wie kein zweiter Filmemacher der Bundesrepublik mit der deutschen Nachkriegsgeschichte befasst. Die zwei deutschen Staaten sind ja ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs. Der Film über den 1. FC Union Berlin hält sich aber im Gegensatz zu den anderen Filmen ausschließlich in der Gegenwart auf, obwohl Union ein Ostverein ist.

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Haben Sie nicht den Eindruck, dass mit den Büchern von Katja Hoyer und Dirk Oschmann noch einmal Bewegung in die Ost-West-Debatte gekommen ist?

Eigentlich sollte das längst Schnee von gestern sein. Aber das Bild vom Unrechtsstaat DDR ist festgeschrieben. Ich filme ja auch schon lange dagegen an. Gerade komme ich aus Bayern, da bewegt sich gar nichts. Mit Katja Hoyer und Dirk Oschmann auch nicht, nicht mit meinen Filmen, mit gar nichts.

Woran genau machen Sie das denn fest, dass sich da nichts ändert?

Es war eine Geburtstagsfeier mit 25 Leuten, und dann kriegt jemand mit,........

© Berliner Zeitung


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