Wladimir Putins Rede zur Lage der Nation war langweilig. Zum Glück. Denn im Vorfeld war von vielen Seiten befürchtet worden, Russland würde die Abspaltung Transnistriens von der Republik Moldau anerkennen, um sich das Territorium einzuverleiben und eine Offensive auf die ukrainische Hafenstadt Odessa zu starten. Die Ukraine wäre dann wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig.

Doch es kam anders. Verfolgte man Putins Rede, kam es einem in weiten Teilen so vor, als ob es überhaupt keinen Krieg gäbe. Lange dozierte der Präsident von den wirtschaftlichen Erfolgen Russlands und den sozialen Errungenschaften, die es noch zu erreichen gelte. Putin bezeichnete Russland als die größte Volkswirtschaft Europas. Demnächst werde das Land zur viertgrößten Ökonomie der Welt aufsteigen – sprich Deutschland den Rang ablaufen.

Das Selbstbewusstsein, das Putin zur Schau stellte, kommt nicht von ungefähr. Die russische Wirtschaft hat die westlichen Sanktionen besser verdaut, als es sich die Regierungen in Washington, Brüssel und Berlin erhofft hatten. Die „nukleare Option“ auf den Finanzmärkten – Ausschluss aus dem globalen Bezahlsystem Swift, Einfrieren von russischem Zentralbankvermögen – ist weitestgehend verpufft.

Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine gewinnt die russische Armee immer stärker die Oberhand. Der Versuch einer ukrainischen Spezialeinheit, die von Russland annektierte Insel Tendra im Schwarzen Meer zurückzuerobern, entpuppte sich als Himmelfahrtskommando. Die Befürchtungen Kiews, dass im Sommer eine russische Offensive den Krieg entscheiden wird, scheint nicht unrealistisch. Der Westen schafft es nicht, die ukrainischen Streitkräfte mit genügend Munition zu versorgen. Die USA werden zunehmend kriegsmüde und wollen die weitere Finanzierung den Europäern aufbürden.

27.02.2024

gestern

27.02.2024

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Der Westen wirkt hingegen zunehmend hilflos. Sei es die von den Amerikanern lancierte Kampagne zur Münchner Sicherheitskonferenz, Russland werde Atombomben im Weltall stationieren, oder Macrons Forderung, mit Nato-Bodentruppen in der Ukraine zu intervenieren: Angesichts der realpolitischen Entwicklungen kommen sie einem vor wie Appelle zum letzten Gefecht. Einzig der Bundeskanzler hat Weitsicht bewiesen, indem er der Forderung nach Taurus-Marschflugkörpern eine Absage erteilte und damit nicht den „Krieg nach Russland“ tragen wollte.

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Die westlichen Forderungen nach einer weiteren Eskalation des Krieges richten sich wohl eher an die eigenen Bevölkerungen. Als realistische Bedrohung werden sie in Moskau nicht wahrgenommen. „Sie denken, das sei eine Art Spiel. Sie sind von ihrem eigenen Überlegenheitskomplex geblendet“, sagte Putin und kündigte an, dass das Überschreiten von roten Linien, ein aktives Eingreifen der Nato, schwere Konsequenzen hätte: „Sie sollten endlich begreifen, dass auch wir über Waffen verfügen, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können.“

Somit war es keine Rede, die eine Verhandlungslösung aus dem Ukraine-Krieg skizzierte. Putin stellte Russland als eine Nation dar, die in der Lage ist, den Krieg noch viele Jahre zu führen. Von den enormen Rüstungsplänen der EU, die Ursula von der Leyen am Mittwoch angekündigt hatte, scheint man in Moskau nicht sonderlich beeindruckt. Zu zerstritten sind die Europäer, als dass sie sich schnell auf den Aufbau und die Finanzierung einer gemeinsamen Infrastruktur einigen könnten. Euro-Krise und Corona-Pandemie haben es vorgemacht, warum sollte es beim Ukraine-Krieg anders sein?

Putin weiß, wie wichtig es ist, die Interessen der verschiedenen einflussreichen Gruppen in der Gesellschaft auszutarieren. Industrie, Militär, Hochfinanz: In seiner Rede wurde jeder bedient. Diese Stärke spielt er aus, seitdem er die Amtsgeschäfte 1999 übernommen hat. Oligarchen dürfen sich bedienen, solange sie nicht den Staat plündern. Ein Gentlemen’s Agreement, das nur selten Brüche aufweist.

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Der für die anwesenden Vertreter der Elite Russlands wichtigste Satz dürfte Putins Versicherung gewesen sein, Russland werde nicht in die Falle tappen, wie die Sowjetunion in einem Rüstungswettlauf mit dem Westen unterzugehen. Das Versprechen ist Putins Lebensversicherung.

Solange er eine schwere Krise vom Land abwenden kann, hat er keine Opposition zu fürchten. Wie schnell sich das Blatt wenden kann, hat man im Sommer letzten Jahres gesehen. Als Jewgeni Prigoschin und seine Wagner-Gruppe meuterten und kurz davor standen, Moskau einzunehmen, schienen Putins Tage plötzlich gezählt.

QOSHE - Putins Rede zur Lage der Nation – Ukraine, war da was? - Simon Zeise
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Putins Rede zur Lage der Nation – Ukraine, war da was?

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29.02.2024

Wladimir Putins Rede zur Lage der Nation war langweilig. Zum Glück. Denn im Vorfeld war von vielen Seiten befürchtet worden, Russland würde die Abspaltung Transnistriens von der Republik Moldau anerkennen, um sich das Territorium einzuverleiben und eine Offensive auf die ukrainische Hafenstadt Odessa zu starten. Die Ukraine wäre dann wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig.

Doch es kam anders. Verfolgte man Putins Rede, kam es einem in weiten Teilen so vor, als ob es überhaupt keinen Krieg gäbe. Lange dozierte der Präsident von den wirtschaftlichen Erfolgen Russlands und den sozialen Errungenschaften, die es noch zu erreichen gelte. Putin bezeichnete Russland als die größte Volkswirtschaft Europas. Demnächst werde das Land zur viertgrößten Ökonomie der Welt aufsteigen – sprich Deutschland den Rang ablaufen.

Das Selbstbewusstsein, das Putin zur Schau stellte, kommt nicht von ungefähr. Die russische Wirtschaft hat die westlichen Sanktionen besser verdaut, als es sich die Regierungen in Washington, Brüssel und Berlin erhofft hatten. Die „nukleare Option“ auf den Finanzmärkten – Ausschluss aus dem globalen Bezahlsystem Swift, Einfrieren von russischem Zentralbankvermögen........

© Berliner Zeitung


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