Die Europäische Union will mehr Geld für Militär ausgeben und die Rüstungsproduktion hochfahren. Am Mittwoch gab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Ausblick auf die neue europäische Verteidigungsstrategie für die Industrie. Das Dokument wird in den kommenden Wochen von der EU-Kommission vorgelegt.

Eines der Hauptziele werde darin bestehen, der gemeinsamen Rüstungsbeschaffung Vorrang einzuräumen. „Europa sollte danach streben, die nächste Generation von kampferprobten operativen Fähigkeiten zu entwickeln und herzustellen“, sagte von der Leyen. „Das bedeutet, dass wir unsere Kapazitäten in der Verteidigungsindustrie in den nächsten fünf Jahren auf Hochtouren bringen müssen.“

Die Europäische Union strebt an, bis 2035 die Hälfte ihrer Verteidigungssysteme auf dem Kontinent zu beschaffen. Bislang beziehen die Mitgliedstaaten einen Großteil ihrer militärischen Ausrüstung aus Drittländern.

Im Entwurf der neuen Strategie heißt es: „Die EU muss ein stärkerer Akteur in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung werden und damit ein fähigerer Sicherheitsanbieter nicht nur für ihre eigenen Bürger, sondern auch zum Nutzen des internationalen Friedens und der Sicherheit.“

Die Pläne sind sehr konkret. Zu den Vorschlägen der Verteidigungsstrategie gehört eine Mindestuntergrenze für die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern. Es soll sichergestellt werden, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte der Verteidigungsausgaben an europäische Rüstungsfirmen geht. Dazu gehört auch die Identifizierung von „Vorzeigeprojekten“, auf die Anstrengungen und Ressourcen konzentriert werden sollen, womit transnationale Rüstungsmonopole nach dem Vorbild Airbus gemeint sein dürften.

27.02.2024

27.02.2024

gestern

•gestern

•gestern

„Die EU muss die Fähigkeit zur Massenproduktion von Verteidigungsgütern wie Munition und Drohnen beherrschen“, heißt es in der Strategie. Dafür müsse die Rüstungsindustrie leichteren Zugang zu Finanzmitteln bekommen und die EU gemeinsame Investitionen auf den Weg bringen.

Vor allem Finanzinvestoren freuen sich auf gute Geschäfte. „Während derzeit ein großer Teil der deutschen Großaufträge aus dem außerbudgetären Verteidigungsfonds ins Ausland geht (an US-amerikanische und israelische Rüstungsunternehmen), wird auf EU-Ebene derzeit darüber diskutiert, bei der Beschaffung von Verteidigungsgütern ein europäisches Konzept zu verfolgen“, schreiben die Analysten von Deutsche-Bank-Research in einem aktuellen Marktbericht. „Dies könnte auch der deutschen Rüstungsindustrie zugute kommen. Auf der Angebotsseite könnten verstärkte Investitionen des Privatsektors der deutschen Rüstungsindustrie Auftrieb geben.“

Erhebliche Mittel für EU-weite Rüstungsprojekte könnte die Europäische Investitionsbank (EIB) freisetzen. Auf einem informellen Treffen am vergangenen Freitag in Gent hatten die EU-Finanzminister darüber diskutiert, das Mandat der EIB zu ändern. Bislang erlaubt die Kreditvergabepolitik der Bank nur, in Güter mit doppeltem Verwendungszweck (Dual use) wie Drohnen zu investieren, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können. Im Rahmen ihrer Verpflichtung auf sogenannte ESG-Standards sind Investitionen in Waffen, Munition und militärische Infrastruktur ausgeschlossen.

Hält eine Bank die Nachhaltigkeitskriterien ESG (Environmental, Social, Governance) ein, bekommt sie ein gutes Rating. Der Verlust des Standards dürfte die EIB für Investoren weniger attraktiv machen. Die Ausgestaltung der EIB zu einer Nachhaltigkeitsbank war ein langwieriger Prozess. Die neuen EU-Pläne hätten weitreichende Folgen.

Auch deshalb hat der Vorschlag in der EU eine kontroverse Debatte in Gang gesetzt. Der österreichische Finanzminister Magnus Brunner sagte in Gent, er habe zwar Verständnis für die Notwendigkeit von Verteidigungsinvestitionen. Aber bei der Förderbank mache das keinen Sinn. „Ich glaube, dass das Rating der EIB und die Anerkennung der EIB darunter sehr leiden würden, und darum bin ich sehr skeptisch.“ Es wäre „keine gute Vorgehensweise“, das Mandat der Bank zu verändern, zitierte ihn das Handelsblatt.

Das die Sache ernst ist, verdeutlichen die Aussagen von EIB-Präsidentin Nadia Calvino. Sie skizzierte einen Weg am Dienstag in einem Interview mit der Financial Times (FT). Sie wolle den EU-Finanzministern in zwei Monaten über „den Umfang und die Definition von Dual-Use-Technologien und -Ausrüstung“ Bericht erstatten. „Es ist klar, dass wir Europas Sicherheits- und Verteidigungsindustrie stärken müssen. Wir sind sehr aktiv und bereit, mehr und besser zu machen“, sagte die ehemalige spanische Wirtschaftsministerin. Mit einer Bilanzsumme von rund 500 Milliarden Euro wäre die EIB ein Schwergewicht unter den Rüstungsinvestoren.

Russische Atomwaffen im Weltall? US-Vorwurf „dürfte mit Lage in der Ukraine im Zusammenhang stehen“

24.02.2024

Der Geist ist aus der Flasche: Macron spricht von Truppen für die Ukraine

27.02.2024

Wie die FT berichtet, wurde Calvino bei ihrer Wahl an die Spitze der EIB die Unterstützung Frankreichs zugesichert, wenn sie im Gegenzug die strengen Nachhaltigkeitskriterien aufweiche. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will Investitionen in Kernenergie und Verteidigung erleichtern. Unterstützung erhält Macron ausgerechnet aus Deutschland. Calvinos deutscher Amtsvorgänger, Werner Hoyer, hatte sich noch für das ESG-Mandat der EIB stark gemacht. Doch nun ist es der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der eine Zeitenwende für die Finanzmärkte fordert. An den Nachhaltigkeitsregeln der EIB festzuhalten, hält Lindner für „altes Denken“. Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz erklärte er: „Der Staat ist zwar Auftraggeber und Kunde der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, aber dennoch benötigen die Unternehmen private Investitionen und Finanzierungen.“ Deshalb sei eine „zweite Zeitenwende“ nötig, die die Reputation und Rahmenbedingungen für die Industrie verbessere.

Einen weiteren Plan zur Finanzierung europäischer Rüstungsprojekte brachte die estnische Ministerpräsidentin Kataja Kallas am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz vor. Er sieht eine gemeinsame EU-Schuldverschreibung vor. Eurobonds im Wert von 100 Milliarden Euro sollten ausgegeben werden, um die Verteidigungsindustrie des Kontinents anzukurbeln. Nach den Europawahlen im Juni sollte die nächste EU-Kommission ein ähnliches Programm auf den Weg bringen, wie es die EU-Kommission unter von der Leyen bei der Bekämpfung der Covid-Pandemie mit den sogenannten Corona-Bonds gemacht hatte.

„Wir sind an einem Punkt, an dem wir mehr investieren und erkunden müssen, was wir gemeinsam tun können, denn die Anleihen, die von einzelnen Ländern einzeln ausgegeben würden, sind zu klein“, sagte sie, „Eurobonds könnten eine viel größere Wirkung haben.“

Die Idee einer europäischen Kriegsanleihe wird auch vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, unterstützt. Jedoch sind die Niederlande und Deutschland traditionell gegen gemeinsame Schuldverschreibungen der EU, weil sie die Exklusivität ihrer nationalen Staatsanleihen dadurch gefährdet sehen.

Zwölf geheime Stützpunkte: So unterstützt die CIA die Ukraine im Krieg gegen Russland

27.02.2024

Ukraine-Krieg: Blockieren die USA einen Waffenstillstand?

15.02.2024

Auch auf der anderen Seite des Atlantiks ist man von den EU-Rüstungsplänen wenig begeistert. Waffensysteme künftig bevorzugt bei europäischen Herstellern zu kaufen, betrachteten hochrangige Nato-Vertreter mit Skepsis, berichtet das Handelsblatt. Eine Abgrenzung von den USA sei der falsche Weg, heißt es dort. Vielmehr gelte es, den transatlantischen Rüstungsmarkt zu stärken. Die amerikanische Rüstungsindustrie hat enorm vom Krieg in der Ukraine profitiert. Laut eines Berichts der US-Notenbank Federal Reserve sind die Gewinne des Sektors in den vergangenen zwei Jahren um 17,5 Prozent gestiegen. Eine „Buy-european“-Klausel würde den Rüstungsriesen Lockheed Martin, Raytheon und Co. die Bilanz verhageln.

Die USA werden in dem Entwurf der EU sogar explizit erwähnt. Die Aufträge im Rahmen des amerikanischen Rüstungsexportprogramms „Foreign Military Sales“ seien 2022 um 89 Prozent gegenüvber dem Vorjahr gestiegen. Zudem seien „aufstrebende Waffenhersteller aus anderen Drittstaaten auf den europäischen Markt vorgedrungen“.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen beschwichtigte in ihrer Rede am Mittwoch: Größere europäische Anstrengungen im Verteidigungsbereich würden die Notwendigkeit des Nato-Bündnisses nicht schmälern, sagte sie: „In der Tat ist ein souveräneres Europa, insbesondere im Bereich der Verteidigung, für die Stärkung der Nato von entscheidender Bedeutung.“

QOSHE - Neue Rüstungsstrategie: So will die EU Milliarden für die Ukraine mobilisieren - Simon Zeise
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Neue Rüstungsstrategie: So will die EU Milliarden für die Ukraine mobilisieren

6 36
29.02.2024

Die Europäische Union will mehr Geld für Militär ausgeben und die Rüstungsproduktion hochfahren. Am Mittwoch gab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Ausblick auf die neue europäische Verteidigungsstrategie für die Industrie. Das Dokument wird in den kommenden Wochen von der EU-Kommission vorgelegt.

Eines der Hauptziele werde darin bestehen, der gemeinsamen Rüstungsbeschaffung Vorrang einzuräumen. „Europa sollte danach streben, die nächste Generation von kampferprobten operativen Fähigkeiten zu entwickeln und herzustellen“, sagte von der Leyen. „Das bedeutet, dass wir unsere Kapazitäten in der Verteidigungsindustrie in den nächsten fünf Jahren auf Hochtouren bringen müssen.“

Die Europäische Union strebt an, bis 2035 die Hälfte ihrer Verteidigungssysteme auf dem Kontinent zu beschaffen. Bislang beziehen die Mitgliedstaaten einen Großteil ihrer militärischen Ausrüstung aus Drittländern.

Im Entwurf der neuen Strategie heißt es: „Die EU muss ein stärkerer Akteur in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung werden und damit ein fähigerer Sicherheitsanbieter nicht nur für ihre eigenen Bürger, sondern auch zum Nutzen des internationalen Friedens und der Sicherheit.“

Die Pläne sind sehr konkret. Zu den Vorschlägen der Verteidigungsstrategie gehört eine Mindestuntergrenze für die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern. Es soll sichergestellt werden, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte der Verteidigungsausgaben an europäische Rüstungsfirmen geht. Dazu gehört auch die Identifizierung von „Vorzeigeprojekten“, auf die Anstrengungen und Ressourcen konzentriert werden sollen, womit transnationale Rüstungsmonopole nach dem Vorbild Airbus gemeint sein dürften.

27.02.2024

27.02.2024

gestern

•gestern

•gestern

„Die EU muss die Fähigkeit zur Massenproduktion von Verteidigungsgütern wie Munition und Drohnen beherrschen“, heißt es in der Strategie. Dafür müsse die Rüstungsindustrie leichteren Zugang zu Finanzmitteln bekommen und die EU gemeinsame Investitionen auf den Weg bringen.

Vor allem Finanzinvestoren freuen sich auf gute Geschäfte. „Während derzeit ein großer Teil der deutschen........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play