Der einzige länger anhaltenden Straßenprotest in Russland zum Ukraine-Krieg ist der von Frauen, deren Ehemänner zwangsmobilisiert an der Front sind und die deren Rückkehr erreichen wollen.

Der Grund sind sofortige Inhaftierungen der Beteiligten bei allen übrigen oppositionellen Kundgebungen. Dies zeigte sich erst anlässlich des Gedenkens an den kürzlich verstorbenen Oppositionsführer Alexej Nawalny, das zu mehreren Hundert Verhaftungen führte.

Bei den Frauen der Mobilisierten, die auch im unmittelbaren Umfeld des Moskauer Kreml demonstrieren, wäre ein hartes Durchgreifen für die Mächtigen eine heikle Sache. Nicht nur, weil die Frauen von ihrem Erscheinungsbild nicht dem entsprechen, was man unter „typischen Oppositionellen“ versteht. Sie halten Blumen in der Hand, Transparente sind, wenn überhaupt vorhanden, klein und zurückhaltend. Die Frauen sind unterschiedlichsten Alters, von Teenager-Soldatentöchtern über viele Ehefrauen bis zu offensichtlichen Müttern von Rekrutierten und treffen sich in Gruppen von einigen Dutzend.

Hajo Funke: Eine politische Lösung im Ukraine-Krieg ist überfällig

23.02.2024

Den Krieg mit einem Verhandlungsfrieden beenden

09.09.2023

Die ab Herbst 2022 erfolgte Teilmobilmachung war eine in der breiten Bevölkerung äußerst unpopuläre Aktion, selbst ganz weit weg vom Milieu der liberalen Kriegsgegner. Der Kreml dementiert in regelmäßigen Abständen, dass weitere Zwangsaushebungen für die Front im Donbass beabsichtigt seien. Sehr gut verstehen die unter Angst vor Mobilisierung lebenden Russen die Nöte der Frauen, deren Männer dieses Los bereits getroffen hat und die nun mit viel Mut deren Heimkehr erreichen wollen.

Im Herbst und Winter kamen auch die zwangsmobilisierten Ehemänner von Swetlana und Olga*, beide Anfang 30 und aus der Region Moskau, an die Front im Nachbarland. Beide wissen, wie real dort die Gefahr für ihre Männer ist, und stehen mit ihnen im direkten Kontakt. Dieser findet jedoch nicht allzu oft per Mobiltelefon statt, da die Aktivierung von Handys im Kampfgebiet auch die Ortung der Männer durch die ukrainische Aufklärung ermöglicht. Das kann im schlimmsten Fall zu ihrem sofortigen Tod führen.

gestern

gestern

gestern

23.02.2024

gestern

Swetlana erzählt der Berliner Zeitung, dass ihr Mann schon genug lebensgefährliche Situationen erlebt habe. „Granaten fielen neben ihm von Drohnen herab, explodierten nur nicht. Einmal schlug eine genau in seinem Schlafplatz an der Front ein. Er war zum Glück gerade im Urlaub“. Bei der Angst um ihre eigene Sicherheit wegen staatlicher Repressionen gegen ihren Protest antworten die beiden Frauen sehr unterschiedlich.

Nawalnys Witwe wirft Kremlchef Putin Satanismus vor

gestern

Neue Russland-Sanktionen: Medwedew fordert Rache, „wo immer es geht“

gestern

Swetlana gibt nur an, keine Angst zu haben, da sie nicht gegen Gesetze verstoße. Olga hat zu diesem Thema eine völlig andere Meinung. Nawalnys Tod habe nach ihrer Auffassung gezeigt, dass Russland ein repressives Regime habe. „Das ist sehr beängstigend. Sie können uns ins Gefängnis stecken und dort Bedingungen schaffen, unter denen man nicht weiterleben kann.“ Dann wäre man nur noch auf sich alleine gestellt und könne sterben.

Die Angst vor dem doch noch kommenden radikalen Eingriff des Staates besteht auch unter den Organisatorinnen der Proteste, die sich über Telegram koordinieren. Sie vermeiden jede öffentliche Totalopposition gegen den Krieg, sprechen, wie es die Behörden fordern, von einer „militärischen Spezialoperation“ und beschränken sich öffentlich auf die Bitte nach der Heimkehr der Ehemänner, die ja nicht freiwillig im Kampf sind und das schon über ein Jahr. „Unsere Bewegung ist nicht politisch“, heißt es im zentralen Telegramkanal der Frauen – „Es ist uns egal, wer unsere Lieben zurückbringt. Aber die hartnäckige Weigerung, uns zuzuhören, führt nur zu Wut und Eskalation des Konflikts“.

Bitten richten man dabei auch an Präsident Wladimir Putin, versucht, seine Gegenkandidaten bei der kommenden Wahl zu treffen. Dass der Kremlherr ihre Bitten erfüllt, glauben weder Swetlana noch Olga. „Es ist unwahrscheinlich, dass Wladimir Wladimirowitsch hier etwas aufgrund von Protesten ändern wird“, meint Swetlana. Sie hält Veränderungen erst in „einiger Zeit“ möglich, „aber nicht wegen uns“. Olga glaubt sogar: „Es ist offensichtlich, dass sich Putin nicht um sein Volk kümmert. Lebende Menschen sind für ihn nur Fleisch“. Warum dennoch der Langzeitpräsident im Zentrum vieler Appelle steht, geht aus der Telegramgruppe der Frauen hervor. „Wer, wenn nicht der Präsident als Oberbefehlshaber, ist befugt, unser Problem zu lösen? An wen sollen wir uns sonst noch wenden?“, fragen die Frauen dort.

Alexej Nawalny: Team bestätigt Tod, Mutter und Anwalt suchen Leiche

17.02.2024

Kiews Kampf um Mobilisierung: Wenige wollen an die Front, Soldatenfrauen verlangen ihre Männer zurück

05.02.2024

Beim generellen Thema Krieg geht die Meinung der beiden Frauen bereits wieder auseinander, zumindest was die offene Äußerung gegenüber der Berliner Zeitung trotz garantierter Anonymität angeht. Während sich Swetlana nicht direkt gegen den Krieg aussprechen will, bekennt Olga offen: „Idealerweise soll der Krieg beendet werden. Dieser Krieg bereitet den Bürgern Russlands und der Ukraine viel Kummer“.

Diesen Kummer wollen die Ehefrauen der Mobilisierten trotz ihrer geringen Hoffnung, gehört zu werden, weiter öffentlich äußern. Die neusten Posts der Frauen bei Telegram betreffen Protesttreffen zum zweiten Jahrestag der Ukraine-Invasion. Wie gefährlich das für die Frauen werden kann, geht schon aus den Aufrufen hervor. „Legen Sie friedlich Blumen nieder und geben Sie keinen Provokationen nach. Wenn Sie unter 18 sind, kommen Sie sicherheitshalber getrennt und legen Blumen zu einer anderen Zeit nieder“. Ob die Staatsmacht irgendwann doch gegen die Frauen mit Brutalität zuschlagen wird, kann niemand sicher sagen.

*Namen von der Redaktion aus Sicherheitsgründen geändert

QOSHE - Frauen von mobilisierten Männern in Russland: „Menschen sind für Putin nur Fleisch“ - Roland Bathon
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Frauen von mobilisierten Männern in Russland: „Menschen sind für Putin nur Fleisch“

6 1
25.02.2024

Der einzige länger anhaltenden Straßenprotest in Russland zum Ukraine-Krieg ist der von Frauen, deren Ehemänner zwangsmobilisiert an der Front sind und die deren Rückkehr erreichen wollen.

Der Grund sind sofortige Inhaftierungen der Beteiligten bei allen übrigen oppositionellen Kundgebungen. Dies zeigte sich erst anlässlich des Gedenkens an den kürzlich verstorbenen Oppositionsführer Alexej Nawalny, das zu mehreren Hundert Verhaftungen führte.

Bei den Frauen der Mobilisierten, die auch im unmittelbaren Umfeld des Moskauer Kreml demonstrieren, wäre ein hartes Durchgreifen für die Mächtigen eine heikle Sache. Nicht nur, weil die Frauen von ihrem Erscheinungsbild nicht dem entsprechen, was man unter „typischen Oppositionellen“ versteht. Sie halten Blumen in der Hand, Transparente sind, wenn überhaupt vorhanden, klein und zurückhaltend. Die Frauen sind unterschiedlichsten Alters, von Teenager-Soldatentöchtern über viele Ehefrauen bis zu offensichtlichen Müttern von Rekrutierten und treffen sich in Gruppen von einigen Dutzend.

Hajo Funke: Eine politische Lösung im Ukraine-Krieg ist überfällig

23.02.2024

Den Krieg mit einem Verhandlungsfrieden beenden

09.09.2023

Die ab Herbst 2022 erfolgte Teilmobilmachung war eine in der breiten Bevölkerung äußerst unpopuläre Aktion, selbst ganz weit weg vom Milieu der liberalen Kriegsgegner. Der Kreml dementiert in regelmäßigen Abständen, dass weitere Zwangsaushebungen für die Front im Donbass beabsichtigt seien. Sehr gut........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play