Sie sind aus Stahl, rot-weiß geringelt – und sie werden immer mehr. Sperrpfosten, auch Poller genannt, breiten sich weiter aus. Um Straßenkreuzungen für Fußgänger und Radfahrer sicherer zu machen, hat allein das Straßen- und Grünflächenamt Mitte eine vierstellige Zahl von Pollern aufgestellt. Ein Plakat, das die Pressestelle des Berliner Zentrumsbezirks designen ließ, erklärt Mitte zu „Pollerbü“. Nachdem seit 2022 hundert Knotenpunkte umgestaltet worden sind, zog Stadträtin Almut Neumann am Montag Bilanz. Die Grünen-Politikerin sagte auch, wie es mit dem Programm sichere Kreuzungen weitergeht – und warum Straßenpoller nicht anders aussehen dürfen.

Im nahe gelegenen Schillerpark sprießt das Grün. In der Glasgower Straße und anderen Straßen im Norden des Bezirks fällt dagegen rot-weiß lackierter Stahl auf. Mehrere Knotenpunkte wurden mit Pollern ausgestattet. Außerdem hat das Bezirksamt Fußgängerbereiche sowie Stellflächen für Fahrräder, E-Scooter und Motorräder markiert. Wo dies geschah, wurden alle Autostellplätze aufgehoben.

„Ich finde auch, dass das nicht die allerschönsten Elemente sind“, sagt Almut Neumann über die Poller. Die Bezirksstadträtin für den öffentlichen Raum steht an der Kreuzung Glasgower/Ofener Straße. Allein an dem Knotenpunkt unweit der Müllerstraße wurden nicht weniger als 21 Poller auf der Fahrbahn aufgestellt und fest im Asphalt verankert. Auch Fahrradbügel stehen auf der Straße, allerdings ist am Montagvormittag nur ein Rad angeschlossen. Der Motorrad-Stellplatz ist besser frequentiert. Autos können dort dagegen nicht mehr parken, rund ein Dutzend Stellplätze wurden umgenutzt.

Was die Gestaltung anbelangt, habe das Bezirksamt keine Alternative, ruft die Juristin in Erinnerung. Poller auf der Fahrbahn müssten so aussehen. Nach Paragraf 43 der Straßenverkehrsordnung gelten Sperrpfosten als Verkehrseinrichtungen (genauer gesagt als Leiteinrichtungen), wenn sie rot-weiß gestreift sind. Anders formuliert: Wie Verkehrszeichen müssen sie Anforderungen entsprechen, um als Allgemeinverfügungen Rechtswirkungen entfalten zu können. Damit Ämter mit Pollern die Bewegungsfreiheit von Kraftfahrern beschränken dürfen, haben sie Vorgaben zu erfüllen. „Zumindest auf Gehwegen könnten wir auch graue Poller aufstellen“, so Neumann. Doch Blinde und Sehbehinderte bemängeln, dass sie bei dieser Färbung für viele kaum zu erkennen wären.

06.04.2024

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05.04.2024

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Das neuste Meisterwerk der #Pressestelle des @BA_Mitte_Berlin: Unsere druckfrischen Infoplakate zu unseren verschiedenen Projekten in Sachen #Verkehrswende und #Stadtgrün! 🙌
Bald in echt zu sehen an den Parkscheinautomaten des Bezirks.#bürgerbeteiligung #beteiligung pic.twitter.com/jYOIvCops6

Immer wieder stehen Behörden in der Kritik, weil Bürger das Gefühl haben, dass das Stadtbild mit rot-weißen Pollern zugepflastert wird. In Mitte stießen zuletzt die Schonungen auf dem Hausvogteiplatz und in der Wallstraße, die zudem von Schilderwäldchen umgeben sind, auf Ablehnung. Doch die Bezirkspolitikerin sieht kein anderes Mittel. „Wenn sich alle an die Regeln halten würden, bräuchten wir nicht so viele Poller“, erklärt sie. Natürlich würde es ausreichen, Sperrflächen mit Schraffierungen zu markieren. „Doch dann würden dort sofort Autos stehen“, sagt die Grünen-Politikerin.

So war es, als die Poller noch nicht standen, berichtete Michael Fischer. „Die Kreuzungen waren wild zugeparkt“, erinnert sich der Geschäftsführer der Johemi Kindertagesstätten. Die gemeinnützige Gesellschaft betreibt in dem Viertel drei Kitas, die von 63 Familien genutzt werden. So wurden die Knotenpunkte unübersichtlich – und manchmal auch gefährlich, wenn man mit Knirpsen im Schlepptau zum Schillerpark wollte. „Deshalb hatten wir uns ans Bezirksamt gewandt“, sagte Fischer.

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Insgesamt acht Kitas gibt es rund um die Glasgower und die Edinburger Straße, unter anderem eine englische, eine italienische und eine brasilianische Tagesstätte. In dem Viertel hat das Bezirksamt acht Kreuzungen umgestaltet oder für die Umgestaltung vorgesehen. Auch das Lessing-Gymnasium und andere Schulen profitieren, sagte die Stadträtin. „Es geht nicht um Ästhetik, sondern um Sicherheit.“ Deshalb strebe das Bezirksamt an, auch künftig 50 Kreuzungen pro Jahr sicherer zu machen. Kosten pro Knotenpunkt: maximal 10.000 Euro. Für 2024 hat die Umsetzung bereits begonnen.

Wer die Idee gehabt hat, 2022 ein Kreuzungsprogramm aufzulegen, weiß Almut Neumann nicht. Als sie im Herbst 2021 vom Verwaltungsgericht Berlin ins Bezirksamt Mitte wechselte und Stadträtin wurde, ging es um Zielsetzungen. Im Fahrradverkehr war das klar, es gibt Planungen für ganz Berlin. „Doch wir wussten, dass wir auch etwas für die Fußgänger unternehmen müssen“, sagt die Politikerin. Als der Bezirk dazu aufrief, Vorschläge einzureichen, sei das in Schulen und Kitas auf große Resonanz gestoßen.

Bei der Umgestaltung bekommen die Knotenpunkte Stellflächen für Miet-E-Scooter und Mietfahrräder. Dafür wurde das Straßen- und Grünflächenamt 2023 beim Deutschen Fahrradpreis mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Ziel sei es, dass sie nach und nach in die App des BVG-Sharing-Unternehmens Jelbi aufgenommen werden. Das hätte zur Folge, dass die Vehikel im Umfeld nicht mehr auf Gehwegen geparkt werden dürfen.

Auf immer mehr Kreuzungen stehen Poller nicht am Rand, sondern mitten auf der Fahrbahn. Dort dienen die rot-weißen Sperrpfosten dazu, Durchgangsverkehr zu unterbinden. Als Nächstes ist ein Kiezblock in der Auguststraße geplant. Das Straßen- und Grünflächenamt stellt die Pläne an diesem Dienstag ab 17 Uhr am Koppenplatz vor.

Zuletzt wurde die Kreuzung Tucholsky-/Auguststraße mit Pollern gesperrt. Der bisherige Schleichweg zwischen der Oranienburger und der Torstraße gilt seitdem als Fahrradstraße – auch eine Reaktion darauf, dass sich dort in den drei Jahren rund 20 Kollisionen ereigneten, meist mit Radfahrern. Anwohner hatten sich für die Pollersperre eingesetzt, doch sie stieß auch auf Kritik – auch weil immer wieder Autofahrer ungewollt vor der Barriere landen und Umwege fahren müssen, um das Viertel wieder zu verlassen.

Lieferfahrzeuge seien jetzt ebenfalls länger unterwegs, hieß es im April First Store in der Auguststraße. „Unsere Lieferanten können die Straße nicht mehr auf ganzer Länge befahren“, heißt es dort. „Wir hoffen, dass die Poller bald wieder weg sind.“ Kritik kommt auch von der CDU-Fraktion Mitte. „Die Fahrradstraße in der Tucholskystraße ist ein weiterer Beleg für die einseitige Verkehrspolitik der grünen Stadträtin gegen das Auto. Damit werden die Verkehrsprobleme im Bezirk nicht gelöst, sondern nur verlagert. Weitere 115.000 Euro für grüne Klientelpolitik, die man angesichts angespannter Kassen besser hätte nutzen können“, so der CDU-Fraktionsvorsitzende Sebastian Pieper.

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Obwohl auch die Sperrpfosten an der Glasgower Straße aus Stahl gefertigt sind und im Asphalt verankert wurden, steht einer schräg. Er wurde offenbar angefahren. In der Bellermannstraße, einer anderen Straße in Wedding, wurde eine Reihe von fünf Pollern umgemäht, ebenso einige Fahrradbügel. Eine neue Art von „Road Rage“?

„Es gibt noch viel zu tun“, sagt Almut Neumann. Schließlich gebe es im Bezirk Mitte rund 3000 Kreuzungen. Das Programm „Sichere Kreuzungen“ werde fortgesetzt. Als Stadträtin wird die 39-Jährige dies nicht mehr verfolgen können. Weil sie mit Zwillingen schwanger ist, hat die Bezirkspolitikerin wie berichtet ihren Rücktritt eingereicht. An diesem Sonnabend wollen die Mitte-Grünen entscheiden, wer neue Stadträtin oder neuer Stadtrat für den öffentlichen Raum wird. Der 16. April soll der letzte Arbeitstag im Amt sein, sagte Neumann. Dann geht erst einmal die Familie vor. Ihre beiden jetzigen Kinder freuen sich schon. Jedes kümmert sich um ein neues Geschwisterchen.

QOSHE - Willkommen in Pollerbü Berlin-Mitte! Warum müssen Poller eigentlich so aussehen? - Peter Neumann
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Willkommen in Pollerbü Berlin-Mitte! Warum müssen Poller eigentlich so aussehen?

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08.04.2024

Sie sind aus Stahl, rot-weiß geringelt – und sie werden immer mehr. Sperrpfosten, auch Poller genannt, breiten sich weiter aus. Um Straßenkreuzungen für Fußgänger und Radfahrer sicherer zu machen, hat allein das Straßen- und Grünflächenamt Mitte eine vierstellige Zahl von Pollern aufgestellt. Ein Plakat, das die Pressestelle des Berliner Zentrumsbezirks designen ließ, erklärt Mitte zu „Pollerbü“. Nachdem seit 2022 hundert Knotenpunkte umgestaltet worden sind, zog Stadträtin Almut Neumann am Montag Bilanz. Die Grünen-Politikerin sagte auch, wie es mit dem Programm sichere Kreuzungen weitergeht – und warum Straßenpoller nicht anders aussehen dürfen.

Im nahe gelegenen Schillerpark sprießt das Grün. In der Glasgower Straße und anderen Straßen im Norden des Bezirks fällt dagegen rot-weiß lackierter Stahl auf. Mehrere Knotenpunkte wurden mit Pollern ausgestattet. Außerdem hat das Bezirksamt Fußgängerbereiche sowie Stellflächen für Fahrräder, E-Scooter und Motorräder markiert. Wo dies geschah, wurden alle Autostellplätze aufgehoben.

„Ich finde auch, dass das nicht die allerschönsten Elemente sind“, sagt Almut Neumann über die Poller. Die Bezirksstadträtin für den öffentlichen Raum steht an der Kreuzung Glasgower/Ofener Straße. Allein an dem Knotenpunkt unweit der Müllerstraße wurden nicht weniger als 21 Poller auf der Fahrbahn aufgestellt und fest im Asphalt verankert. Auch Fahrradbügel stehen auf der Straße, allerdings ist am Montagvormittag nur ein Rad angeschlossen. Der Motorrad-Stellplatz ist besser frequentiert. Autos können dort dagegen nicht mehr parken, rund ein Dutzend Stellplätze wurden umgenutzt.

Was die Gestaltung anbelangt, habe das Bezirksamt keine Alternative, ruft die Juristin in Erinnerung. Poller auf der Fahrbahn müssten so aussehen. Nach Paragraf 43 der Straßenverkehrsordnung gelten Sperrpfosten als Verkehrseinrichtungen (genauer gesagt als Leiteinrichtungen), wenn sie rot-weiß gestreift sind. Anders formuliert: Wie Verkehrszeichen müssen sie Anforderungen entsprechen, um als Allgemeinverfügungen Rechtswirkungen entfalten zu........

© Berliner Zeitung


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