Es ist vorbei. Nachdem sich die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und die Deutsche Bahn (DB) nach sechs Streiks endlich auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt haben, sind die Fahrgäste wieder in der Normalität angekommen. Schön. Aber dieser Zustand kann ebenfalls stressig sein.

Zwei Beispiele aus Berlin: Weil sich am Dienstag ein Fahrdienstleiter kurzfristig krankmeldete, blieb ein Stellwerk verwaist. Zahlreiche S-Bahn-Kunden mussten Bus fahren. Am 16. und 17. März fielen auf Abschnitten der Linien RB24 und RB32 alle Regionalbahnen aus – DB Regio fehlte das Personal.

Es ist vorbei. Doch die Öffentlichkeit fragt sich, warum dieser Konflikt einen zentralen Bereich der Daseinsvorsorge fast fünf Monate belastet hat. Lange Zeit schloss die Bahn eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche kategorisch aus. Nun ist das plötzlich für sie in Ordnung – merkwürdig. Ihr kategorisches Nein stand ohnehin von Anfang an auf tönernen Füßen. Andere Unternehmen hatten bereits eingewilligt, bis 2028 im Schichtdienst eine solche Arbeitszeitverkürzung zu ermöglichen. Die Gewerkschaft konnte den Regionalzugbetreibern die Pistole auf die Brust setzen, weil schon ein einziger Streik deren Existenz bedroht hätte. Für Züge, die ausfallen, zahlt kein Verkehrsverbund Geld.

Aber auch die DB-Konkurrenten wissen, dass sie als Arbeitgeber attraktiv sein müssen. Wenn sie nun dabei bleiben, dass die 35-Stunden-Woche bei ihnen nicht erst 2029 gilt, können sie dies bei der Personalgewinnung ins Feld führen. Denn anders als von der DB öffentlich dargestellt, treten die Vereinbarungen zur Verkürzung der Arbeitszeit nicht erst dann in Kraft, wenn bei ihr ebenfalls so eine Regelung zustande kommt. So hat die Privatbahn Odeg ihre Lokführer bereits gefragt, wie lang sie künftig arbeiten wollen. Sie können auch für eine 40-Stunden-Woche optieren, und sie nutzen diese Möglichkeit auch: Bisher hat sich rund die Hälfte für mehr Geld statt für mehr Freizeit entschieden.

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25.03.2024

25.03.2024

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Dass das neue Tarifvertragsmodell Mehrarbeit ermöglicht, wird in der öffentlichen Debatte kaum gewürdigt. Sicher: Die Bahn, der schon rund 4000 Lokführer fehlen, wird viele neue Mitarbeiter brauchen. Doch wie viele es tatsächlich sein werden, hängt davon ab, wie der neue Arbeitszeitkorridor genutzt wird.

Kurz vor der Rente kann sich Claus Weselsky ein Denkmal setzen lassen. Dass er die Deutsche Reichsbahn der DDR zu einem pünktlichen und zuverlässigen Unternehmen stilisierte, mag bei manchen Ostdeutschen Augenrollen ausgelöst haben. Auch dass der rechtspopulistische Polizeigewerkschafter Rainer Wendt dem Aufsichtsrat der GDL-Leiharbeitsgenossenschaft Fair Train vorsitzt, ist nur eine Randnotiz. Doch fest steht, dass auch die Gewerkschaft in diesem Tarifstreit nicht immer offen und fair agiert hat. So verschwieg sie der Öffentlichkeit, dass die Bahn signalisiert hatte, einer 36-Stunden-Woche zuzustimmen – und ließ danach erneut streiken.

Dass sie so lange kompromisslos auf so vielen Maximalforderungen beharrte, wird es den Hardlinern in der DB erleichtert haben, ebenfalls dichtzumachen und Nein zu sagen.

Der GDL ging es nicht nur um eine deutliche Verringerung der Arbeitszeit und um viel mehr Geld. Auch wenn sie sich damit nicht durchsetzen konnte: Sie forderte auch, dass der neuen Tarifvertrag nur kurz gilt, sowie Vereinbarungen für alle Bereiche der Bahn - auch für den Netzbetreiber InfraGo. Letzteres entspricht dem strategischen Ziel, im Kampf mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) neue Machtpositionen aufzubauen und Mitglieder zu gewinnen. Doch bahnintern ließ es die Alarmglocken schrillen. Wenn auch die GDL die Stellwerker zum Streik aufrufen dürfte, könnte sie ebenfalls den ganzen Zugverkehr stilllegen – nicht nur den der DB.

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Streiks bei der Bahn: GDL beschert Deutschland die Fahrkarte ins Chaos

06.03.2024

Klar ist, dass dieser Tarifkonflikt viel kürzer hätte ausfallen können, wenn die Bahn nicht so hartleibig agiert und die Gewerkschaft nicht nur mit „Alles oder nichts“ ins Feld gezogen wäre. Fahrgäste und Güterkunden mussten leiden, weil beide Seiten keinen Weg zueinander fanden. Dass sie ihre Tarifeinigung getrennt vorstellten, ist bezeichnend.

Und was ist mit der Politik? Sie wird nichts unternehmen, wenn die Bahn erneut die Preise erhöht. Das Bundesunternehmen braucht jeden Euro. Die berechtigte Forderung der Fahrgastlobby, wie in Italien einen Notbetrieb zu garantieren, wird weiter verhallen. Niemand, der wiedergewählt werden will, wird mehr ernsthaft über eine Verschärfung des Streikrechts nachdenken. Die linke Romantik, die das CDU-Mitglied Weselsky zum Robin Hood der Arbeitnehmer verklärte, ist in Deutschland stark verwurzelt.

Es ist vorbei. Ja, aber nur für rund ein Jahr. Ende März 2025 endet der Tarifvertrag mit der inzwischen teilweise erwachten EVG. Dann sind wieder Warnstreiks möglich – und wahrscheinlich.

QOSHE - Streiks – und jetzt? Die merkwürdigen Spielchen der Bahn und der GDL - Peter Neumann
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Streiks – und jetzt? Die merkwürdigen Spielchen der Bahn und der GDL

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27.03.2024

Es ist vorbei. Nachdem sich die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und die Deutsche Bahn (DB) nach sechs Streiks endlich auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt haben, sind die Fahrgäste wieder in der Normalität angekommen. Schön. Aber dieser Zustand kann ebenfalls stressig sein.

Zwei Beispiele aus Berlin: Weil sich am Dienstag ein Fahrdienstleiter kurzfristig krankmeldete, blieb ein Stellwerk verwaist. Zahlreiche S-Bahn-Kunden mussten Bus fahren. Am 16. und 17. März fielen auf Abschnitten der Linien RB24 und RB32 alle Regionalbahnen aus – DB Regio fehlte das Personal.

Es ist vorbei. Doch die Öffentlichkeit fragt sich, warum dieser Konflikt einen zentralen Bereich der Daseinsvorsorge fast fünf Monate belastet hat. Lange Zeit schloss die Bahn eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche kategorisch aus. Nun ist das plötzlich für sie in Ordnung – merkwürdig. Ihr kategorisches Nein stand ohnehin von Anfang an auf tönernen Füßen. Andere Unternehmen hatten bereits eingewilligt, bis 2028 im Schichtdienst eine solche Arbeitszeitverkürzung zu ermöglichen. Die Gewerkschaft konnte den Regionalzugbetreibern die Pistole auf die Brust setzen, weil schon ein einziger Streik deren Existenz bedroht hätte. Für Züge, die ausfallen, zahlt kein Verkehrsverbund Geld.

Aber........

© Berliner Zeitung


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