Nichts geht mehr bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Alle U- und Straßenbahnen sowie die meisten Linienbusse in Berlin bleiben bis Freitag, 14 Uhr, in den Depots. Der 35-stündige Ausstand sei „völlig unnötig“, so die BVG. Doch die Gewerkschaft Verdi warnte am Donnerstag, dass dies in diesem Streit nicht die letzte Arbeitsniederlegung sein könnte. Wenn sich die Arbeitgeber nicht bewegten, werde es weitere Warnstreiks geben, sagte Verdi-Bundeschef Frank Werneke bei der Streikkundgebung. Die Fronten sind verhärtet.

Um 9.09 Uhr kommt der nächste 300er. So steht es zumindest auf dem Fahrplan, der an der Bushaltestelle vor der BVG-Hauptverwaltung hängt. Doch seit dem frühen Morgen dreht sich beim größten kommunalen Verkehrsunternehmen Deutschlands kein Rad mehr, und die Holzmarktstraße in Mitte ist wegen der Streikkundgebung halbseitig für Autos gesperrt. „Hier kommt heute nüscht“, sagen die BVG-Mitarbeiter, die sich auf der kalten Stahlbank niedergelassen haben, und lächeln breit. Streiken kann schön sein.

Die Krokusse auf dem Mittelstreifen haben angesichts des Gedränges eine schwere Zeit. Fast 16.000 Menschen arbeiten für die landeseigene BVG, eine niedrige vierstellige Zahl ist zur Demonstration gekommen. Ein Anreiz ist offenbar, dass Verdi hier eine der beiden Stellen eingerichtet hat, an denen sich Mitglieder in Berlin für Streikgeld erfassen lassen können. Neben der langen Warteschlange stehen BVGer mit Kaffee aus der Drückkanne in der Kälte. Viele von ihnen tragen gelbe Westen. Auf einer ist zu lesen: „Nicht Prinzen küssen, Kröten zählen“. Auf einer anderen: „Verdi-Lohndrückerverfolger“.

27.02.2024

gestern

27.02.2024

•gestern

gestern

Dabei geht es bei diesen Tarifverhandlungen nicht um Löhne und Gehälter, sondern vor allem um bessere Arbeitsbedingungen. 33 Tage Urlaub, längere Ruhezeiten und bezahlte Pausen, mehr Zeit an den Endhaltestellen: Das und noch viel mehr steht auf der Forderungsliste. „Es geht um eine bessere Qualität von Arbeit und eine gute BVG“, sagt Frank Werneke. Und dass Kollegen nicht mehr in Scharen die BVG verlassen, ergänzt Lothar Stephan, Vorsitzender des BVG- Gesamtpersonalrats. Die Fluktuation liege bei zehn Prozent, im Fahrdienst und in den Werkstätten seien 20 bis 30 Prozent des Personals krank.

In allen Bundesländern außer Bayern verhandelt Verdi mit Städten und Landkreisen – je nach Region über mehr Geld oder attraktivere Arbeitsbedingungen im Nahverkehr. Doch obwohl sich der Personalmangel immer weiter verschärfe, „scheinen viele Arbeitgeber in den 1990er-Jahren hängengeblieben zu sein“, als es noch Bewerber in Hülle und Fülle gab, sagte Verdi-Fachgruppenleiter Jeremy Arndt mit Blick auf andere Teile Deutschlands. Da würde die 44-Stunden-Woche gefordert, und bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall soll es Abstriche geben. Vieles passe nicht in die Zeit, so Arndt.

Wieder Streik bei der BVG: Was die Fahrgäste in Berlin wissen sollten

heute

„Den Job erträgt man nur mit Sarkasmus“: Warum diese Berliner Busfahrerin streikt

02.02.2024

Bei den Gesprächen mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin war bislang die Atmosphäre besser, gesteht Verdi ein. Trotzdem seien die Verhandlungen aus Sicht der Gewerkschaft „weder konstruktiv noch lösungsorientiert“, so lautet nach zwei Runden die Bilanz von Lothar Stephan. Zwar sei man sich einig, dass die unbezahlten Pausenanteile von derzeit 50 auf 30 Minuten pro Schicht sinken sollen, doch die BVG wolle sich bis Januar 2027 Zeit lassen. „Wir brauchen jetzt Entlastung“, so Stephan.

Für „Spielchen und Hinhaltetaktik“ fehle die Zeit, betont Arndt. Die zugesagte Verlängerung der Mindestruhezeit auf zwölf Stunden gebe es in einigen Fällen längst, die neue Entgeltstufe bringe 60 Euro im Monat. Besonders sauer ist man bei Verdi darüber, dass die BVG die geforderte Erhöhung der betrieblichen Wendezeit auf zehn Minuten kategorisch ablehnt. Derzeit bleiben in einem Sechstel der Fälle planmäßig weniger als fünf Minuten, um eine Runde ums Fahrzeug zu drehen, zu verschnaufen und vielleicht auf die Toilette zu gehen. In den anderen Fällen sind es ein paar Minuten mehr.

Doch Staus, Baustellen und fehlender Vorrang an Ampeln machen die Pläne im Berliner Alltag häufig zu Makulatur, sagte Sven Globig, ein weiteres Mitglied der Verdi-Verhandlungskommission. „Wenn ich immer wieder Wendezeiten von fünf Minuten, aber acht Minuten Verspätung habe, dürfte klar sein, was das mit einem macht.“

Die BVG befürchtet, dass sie 600 zusätzliche Fahrer benötigt und mehrere Milliarden Euro investieren muss, um Endhaltestellen zu erweitern. Verdi besteht aber darauf, dass das Unternehmen über die Wendezeiten verhandelt. Stattdessen hat es, wie berichtet, die für diesen Freitag geplante dritte Verhandlungsrunde abgesagt, weil zur selben Zeit noch gestreikt wird. Das sei „schlechter Stil“ von Verdi, so die BVG. Schlechter Stil sei es, die Probleme wegzudrücken, entgegnet Arndt am Donnerstag. „Wir haben schon vor Jahren vor Personalknappheit gewarnt, jetzt ist sie da.“ So sehr würden sich die Verhandlungen gar nicht verzögern: Einen Tag später, am Sonnabend, gibt es einen neuen Termin.

„Bei uns brodelt es“: Warum bei der BVG so viele Busfahrten ausfallen

29.11.2023

„Purer Frust“ bei der BVG: Die Berliner Straßenbahn hat ein Problem

31.10.2023

„Wenn der Arbeitgeber sich nicht bewegt, sehen wir uns wieder auf der Straße wieder“, ruft Jeremy Arndt vor der BVG-Zentrale. Er erinnerte daran, dass der Senat der BVG vor Jahren 100 Millionen Euro zugesagt, aber immer noch nicht ausgezahlt hat. Überhaupt die Politik: „Sie träumt von einer Magnetschwebebahn, gleichzeitig fehlen bei der BVG an allen Ecken und Enden Kollegen“, sagt Frank Werneke. Eine Delegation von Verdi und Fridays for Future überreichte anwesenden Politikern eine Petition für „gute Arbeit und starken Nahverkehr“, die in Berlin von 25.920 Menschen unterschrieben worden ist.

Dass BVG-Mitarbeiter immer noch zum Teil mit den jungen Klimaschützern fremdeln, wurde erneut während der Streikkundgebung deutlich. „Ich fahr‘ einen V6“, ein Auto mit Sechszylindermotor, sagte einer von ihnen. Trotzdem: Es gibt Applaus.

Ein ganz normaler Tag bei der BVG: Was Fahrgäste und Personal erdulden müssen

04.12.2023

BVG-Chaos: Manager können nicht sagen, wann es endlich zu Ende geht

13.12.2023

Die Abgeordneten Johannes Kraft (CDU), Sven Heinemann (SPD), Werner Graf (Grüne) und Franziska Brychcy (Linke) müssen auf der Demo-Bühne geloben, sich im Sinne der Petition zu engagieren. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Werner Graf kritisiert erneut die Große Koalition, die das 29-Euro-Monatsticket zum 1. Juli neu auflegen lässt. Das Wahlgeschenk werde jährlich mit rund 300 Millionen Euro subventioniert – Geld, das besser investiert werden sollte, als es reichen Fahrgästen hinterher zu werfen, so Graf.

Dass der „Klimastreik“, zu dem Fridays for Future und Verdi für diesen Freitag aufrufen, klimafreundliche Fortbewegungsmittel lahmlegt und den Autoverkehr ungeschoren lässt, ist für den Berliner Grünen-Politiker dagegen kein Problem. „Es ist kein Streik gegen den öffentlichen Verkehr, sondern für einen besseren öffentlichen Verkehr.“

QOSHE - Streik bei der BVG: Warum Verdi in Berlin erneut mit Stillstand droht - Peter Neumann
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Streik bei der BVG: Warum Verdi in Berlin erneut mit Stillstand droht

10 17
29.02.2024

Nichts geht mehr bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Alle U- und Straßenbahnen sowie die meisten Linienbusse in Berlin bleiben bis Freitag, 14 Uhr, in den Depots. Der 35-stündige Ausstand sei „völlig unnötig“, so die BVG. Doch die Gewerkschaft Verdi warnte am Donnerstag, dass dies in diesem Streit nicht die letzte Arbeitsniederlegung sein könnte. Wenn sich die Arbeitgeber nicht bewegten, werde es weitere Warnstreiks geben, sagte Verdi-Bundeschef Frank Werneke bei der Streikkundgebung. Die Fronten sind verhärtet.

Um 9.09 Uhr kommt der nächste 300er. So steht es zumindest auf dem Fahrplan, der an der Bushaltestelle vor der BVG-Hauptverwaltung hängt. Doch seit dem frühen Morgen dreht sich beim größten kommunalen Verkehrsunternehmen Deutschlands kein Rad mehr, und die Holzmarktstraße in Mitte ist wegen der Streikkundgebung halbseitig für Autos gesperrt. „Hier kommt heute nüscht“, sagen die BVG-Mitarbeiter, die sich auf der kalten Stahlbank niedergelassen haben, und lächeln breit. Streiken kann schön sein.

Die Krokusse auf dem Mittelstreifen haben angesichts des Gedränges eine schwere Zeit. Fast 16.000 Menschen arbeiten für die landeseigene BVG, eine niedrige vierstellige Zahl ist zur Demonstration gekommen. Ein Anreiz ist offenbar, dass Verdi hier eine der beiden Stellen eingerichtet hat, an denen sich Mitglieder in Berlin für Streikgeld erfassen lassen können. Neben der langen Warteschlange stehen BVGer mit Kaffee aus der Drückkanne in der Kälte. Viele von ihnen tragen gelbe Westen. Auf einer ist zu lesen: „Nicht Prinzen küssen, Kröten zählen“. Auf einer anderen: „Verdi-Lohndrückerverfolger“.

27.02.2024

gestern

27.02.2024

•gestern

gestern

Dabei geht es bei diesen Tarifverhandlungen nicht um Löhne und Gehälter,........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play