Berlin bekommt sieben neue Bahnhöfe – und neue, schnelle Zugverbindungen. Die Reaktivierung der ersten Schienenstrecke dieser Region wird vorbereitet. Die brachliegende Stammbahn soll 200 Jahre nach ihrer Fertigstellung wieder in Betrieb gehen, bekräftigte der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). Nun ist Zeit für ein Update, wie die zweite Trasse zwischen Berlin und Potsdam aussehen wird, wie oft und wohin Züge fahren werden. Die Überlastung einer benachbarten Strecke stellt die Planer des Regionalzugverkehrs vor Probleme – dort ist kaum noch Platz. Dass auf der neuen alten Stammbahn auch Güterzüge rollen, könne „nicht ausgeschlossen werden“, hieß es.

„Es geht voran“, stellt die „Bürgerinitiative Stammbahn“ aus Kleinmachnow fest. Noch beherrschen rostige Schienen das Bild, sprießen junge, aber auch schon ziemlich alte Bäume und Büsche zwischen bröckelnden Holzschwellen. In einigen Jahren, so hoffen die Planer, wird die Trasse eine einzige große Baustelle sein – sicher nicht zur Freude der Anwohner, die zum Beispiel in Schöneberg einen langen Grünzug verlieren werden.

Inzwischen wurden die Anlagen vermessen, sagt André Stapf, der beim Verkehrsverbund für das milliardenschwere Investitionsprogramm i2030 zuständig ist. Auch der Planungsprozess schreite voran, berichtet er: „Die Grundlagenermittlung ist abgeschlossen.“ Die Vorplanung wurde europaweit ausgeschrieben. Für die Leistungsphase 2 steht Geld aus Berlin und Brandenburg bereit, nachdem die Finanzierungsvereinbarungen unterzeichnet wurden. Aber worum geht es eigentlich?

Sie war 1838 die erste Eisenbahn in Preußen – deshalb heißt sie Stammbahn. Vom alten Potsdamer Bahnhof fuhren die Züge in 41 Minuten in die Stadt, die ihm und dem benachbarten Potsdamer Platz den Namen gab. Anfangs wurden einige noch von Pferden gezogen. Doch das neue Verkehrsmittel wurde rasch ein Erfolg. Wie heute wurden die Züge ins Grüne am Wochenende von den Berlinern gestürmt – auch wenn zu Beginn Hunde und Säuglinge in den Abteilen verboten waren und Rauchen nur mit Deckelpfeife gestattet war. Weil dem späteren Feldmarschall Friedrich von Wrangel das Treiben vor seinem Sommersitz, dem heutigen Wrangelschlösschen, zu viel wurde, versuchte er, eine Schließung des damaligen Steglitzer Haltepunkts durchzusetzen – ohne Erfolg.

gestern

31.03.2024

•gestern

gestern

gestern

1845 führte die Strecke schon weiter nach Magdeburg. Der Fernverkehr begann, und das Zugangebot wurde immer besser. So konnten die Kleinmachnower kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in 17 Minuten zum Potsdamer Platz reisen. Doch seit der Sprengung der Brücke über den Teltowkanal 1945 ist die erste durchgehende Verbindung zwischen Berlin und Potsdam unterbrochen. Auf West-Berliner Seite fuhr noch bis 1980 die S-Bahn von Zehlendorf nach Düppel, dann eroberte sich die Natur auch diesen Bereich.

Viele Jahre diskutierten Berlin und Brandenburg darüber, was mit der Strecke geschehen sollte. Dass eine 2008 beendete Untersuchung ergab, dass ein Wiederaufbau wegen eines Kosten-Nutzen-Faktors von 0,7 unwirtschaftlich wäre, dämpfte den Elan. 2015 regten Ideen, den Abschnitt zwischen Lichterfelde West, Steglitz und Gleisdreieck zu einer Radschnellverbindung umzugestalten, die Fantasie an. Das Eisenbahn-Bundesamt verwies aber darauf, dass auch dieses Teilstück weiterhin als Bahnstrecke gewidmet sei.

2022 war es endlich so weit: Nach rund zwei Jahrzehnten Lobbying verbuchte die Deutsche Bahn (DB) endlich einen Erfolg. Berlin und Brandenburg legten die Berliner Idee, eine S-Bahn-Strecke zu bauen, zu den Akten. Stattdessen gaben sie grünes Licht dafür, die traditionsreiche Strecke ins Netz des Regionalverkehrs zu integrieren – auch zur Entlastung der stark genutzten Trasse, die Berlin und Potsdam über die Stadtbahn verbindet. „Irgendwann endet die Phase, in der man Untersuchungen und Vermerke schreibt. Irgendwann muss entschieden werden“, so Senatorin Bettina Jarasch (Grünen).

Mehr Bahn für die Region Berlin: Was sich jetzt endlich ändern muss

08.09.2023

Neue Bahnstrecken für Berlin: Diese Projekte bestanden eine harte Prüfung

09.03.2024

Seitdem sie und der damalige Brandenburger Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU) den Knoten durchschlugen, geht das Projekt tatsächlich voran. „Die Finanzierung steht, die Vorplanung soll 2026 vorliegen“, so die Bürgerinitiative Stammbahn. Die Zielmarke für die Inbetriebnahme ist gesetzt: „Dies ist das Jahr 2038 – das 200-jährige Jubiläum der Strecke“, bekräftigte André Stapf vom Verkehrsverbund. Wie wird die Stammbahn aussehen? Zeit für einen Blick in die aktuellen Pläne. Die Berliner Zeitung befragte dazu nicht nur den VBB, sie konnte in die „verkehrliche Aufgabenstellung“ Einblick nehmen, in der Planer der DB auf 45 Seiten Grundzüge des Stammbahn-Projekts umreißen.

Geplant ist eine durchgehend zweigleisige Strecke, die unabhängig von der S-Bahn ist. Ausgelegt wird sie für eine „Entwurfsgeschwindigkeit“ von 120 Kilometer pro Stunde. Teilweise könnte aber auch Tempo 160 möglich sein – wo dies trassierungstechnisch ohne größere Zusatzkosten möglich und mit dem Lärmschutz vereinbar ist, hieß es.

Doch es geht nicht nur darum, die Stammbahn von Griebnitzsee nach Schöneberg wiederaufzubauen und sie in den Nord-Süd-Tunnel zu führen, der zum Potsdamer Platz und zum Hauptbahnhof verläuft. Der Trassenkorridor umfasst außer der Strecke 6177 fünf weitere Verbindungen. So werden die Züge über eine Kurve auf den Ring wechseln können, der ausgebaut und elektrifiziert wird. Dort befinden sich zwei sehr wichtige Bahnknoten: Südkreuz und Ostkreuz. Ein Abzweig führt nach Baumschulenweg. Für den südlichen Innenring legen die Planer Tempo 80 zugrunde. Es werde aber auch geprüft, wie viel es kosten würde, ihn für 120 Kilometer in der Stunde auszubauen, so Stapf.

Was bedeuten die Pläne für die Fahrgäste? Die Zahl der Bahnhöfe für Berlin wird deutlich steigen. An der Stammbahn entstehen „Betriebsstellen“ mit je zwei Bahnsteigkanten zum Teil an Orten, wo früher noch keine Personenzüge hielten. Die Stationen tragen die Arbeitstitel Dreilinden Europarc, Düppel-Kleinmachnow, Berlin-Zehlendorf, Berlin Rathaus Steglitz und Berlin-Schöneberg. Neu wird auch Berlin Südkreuz (Ring) sein. Auf dem Ringbahnteilstück, das sich Richtung Ostkreuz anschließt, ist ein weiterer Bahnhof für Regionalzüge geplant – ob an der Hermannstraße oder in Neukölln wird noch geprüft. Von Südkreuz abgesehen, werden die Stationen für 215-Meter-Züge ausgelegt.

Für Berliner, Brandenburger und andere Fahrgäste bedeutet die enge Stationstaktung, dass sie viele neue Umsteigeverbindungen bekommen. So können sie am Rathaus Steglitz zur U-Bahn-Linie U9 wechseln – der schnellen Schiene in die City West. Noch wichtiger werden die neuen Direktverbindungen sein. Von Potsdam nach Zehlendorf, von Steglitz zum Ostkreuz, von Zehlendorf zum Hauptbahnhof, von Schöneberg nach Bad Belzig oder Golm – auf vielen Relationen kommen die Reisenden zügiger ans Ziel.

Kosten drastisch gestiegen: So teuer wird die Wiederbelebung der Siemensbahn

20.12.2023

European Sleeper nach Berlin: Privater Nachtzug bricht zu neuen Zielen auf

29.03.2024

„Im zentralen Bereich der Stammbahn, zwischen dem Abzweig östlich von Griebnitzsee und dem Abzweig südlich von Schöneberg, soll es vier Regionalverkehrsleistungen pro Stunde und Richtung geben“, berichtet André Stapf. „Im Raum Potsdam sollen jeweils zwei davon in Richtung Potsdam Hauptbahnhof und zwei in Richtung Michendorf verkehren. In Berlin sollen jeweils zwei davon in den Nord-Süd-Tunnel und zwei Richtung südlicher Innenring und Ostkreuz verkehren. Für jede der sich daraus ergebenden vier Relationen entsteht auf die Weise eine Direktverbindung pro Stunde.“

Nach den bisherigen Planungen führen die Linien RB20/22 und RB23 über die Stammbahn nach Potsdam, heißt es beim Verkehrsverbund. In Richtung Michendorf sollen Züge der Linien RE7 und RB37 unterwegs sein. Für den rund 20 Kilometer langen zentralen Bereich der Stammbahn geht die Prognose von 72 Regionalzugfahrten pro Tag und Richtung aus, davon neun zwischen 22 und 6 Uhr. Wo die Linien im Stadtzentrum enden werden, ist noch nicht klar. Als reguläre Fernverkehrsstrecke soll die Stammbahn nicht dienen – als Umleitungsstrecke oder für Leerfahrten möglicherweise schon.

Allerdings geht das Soll-Betriebsprogramm auch davon aus, dass Güterzüge auf der Stammbahn durch den dicht bebauten Berliner Südwesten rollen werden: fünf pro Tag stadteinwärts, sechs pro Tag stadtauswärts, davon jeweils einer zwischen 22 und 6 Uhr.

Die Bahnplaner wissen, dass es in Neukölln Güterverkehrskunden gibt. André Stapf versucht, mögliche Bedenken zu zerstreuen. „Eine Nutzung durch Schienengüterverkehr wird nicht aktiv angestrebt“, so der VBB-Planer. „Sie kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.“ Ob und wie viele Güterzüge durch Zehlendorf oder Steglitz rollen, sei „von weiteren Entwicklungen im Eisenbahnknoten Berlin abhängig“. Doch in der Bahnexpertise heißt es, Güterzugfahrten wären „im geringen Umfang wahrscheinlich“.

Warum fahren nicht mehr Züge weiter in den Nord-Süd-Tunnel zum Potsdamer Platz? „Die Kapazität des Tunnels ist unter Berücksichtigung der übrigen dort verkehrenden Züge erschöpft“, erklärt Stapf. Aus den Unterlagen der Bahn geht hervor, dass auch die unterirdische Bahnstrecke im Berliner Stadtzentrum vor vier Jahren zu einem „überlasteten Schienenweg“ erklärt worden ist. Dort herrsche eine „dichte Trassenlage“, es gebe viel Verkehr. Deshalb betonen die Bahnplaner auch, dass das Konzept, stündlich zwei Züge in den Nord-Süd-Tunnel zu leiten, „noch nicht bestätigt werden“ könne. Auf Seite 27 werden sie noch deutlicher: „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Nord-Süd-System die Aufnahme zusätzlicher Verkehre kapazitativ nicht verkraftet.“ Notfalls müssten andere Regionalzüge abgeleitet werden.

Absehbar ist, dass das Großprojekt Stammbahn bei den Anliegern ebenfalls zu Diskussionen und Kritik führen wird. Wo heute noch Grün sprießt und Stille herrscht, werden Bautrupps lärmen und schließlich Züge fahren – auch wenn sich dank elektrischer Traktion die Belastung im Rahmen halten wird. In Kleinmachnow haben sich schon vor Jahren Anwohner zu Wort gemeldet, die um ihre Ruhe fürchten.

Einem Bahnexperten geht es dagegen nicht schnell genug. Er bemängelt, dass die „Luxusplanungen“ das Projekt in die Länge ziehen. „Alles wollen, statt realistisch heranzugehen“: Das sei keine gute Strategie, meint er. Dabei wäre es schon früher möglich, die Situation für die Fahrgäste zu verbessern – etwa mit einem Vorlaufbetrieb, bei dem Dieseltriebwagen über Wannsee zum künftigen Bahnhof Rathaus Steglitz rollen.

Doch die Vorbereitungen werden wie vorgesehen fortgesetzt. „Im laufenden Jahr soll der Start der Vorplanung erfolgen“, berichtet André Stapf. „Ebenfalls ist die Erstellung des 3D-Bestandsmodells geplant.“ Auch eine Erstabschätzung der Wirtschaftlichkeit steht auf der To-do-Liste. Eines steht fest: Die Debatte über die erste preußische Eisenbahn, die Friedrich von Wrangel einst begonnen hat, wird weitergehen.

QOSHE - Stammbahn: Das sind die neuen Stationen und Verbindungen für Berlin - Peter Neumann
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Stammbahn: Das sind die neuen Stationen und Verbindungen für Berlin

6 55
03.04.2024

Berlin bekommt sieben neue Bahnhöfe – und neue, schnelle Zugverbindungen. Die Reaktivierung der ersten Schienenstrecke dieser Region wird vorbereitet. Die brachliegende Stammbahn soll 200 Jahre nach ihrer Fertigstellung wieder in Betrieb gehen, bekräftigte der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). Nun ist Zeit für ein Update, wie die zweite Trasse zwischen Berlin und Potsdam aussehen wird, wie oft und wohin Züge fahren werden. Die Überlastung einer benachbarten Strecke stellt die Planer des Regionalzugverkehrs vor Probleme – dort ist kaum noch Platz. Dass auf der neuen alten Stammbahn auch Güterzüge rollen, könne „nicht ausgeschlossen werden“, hieß es.

„Es geht voran“, stellt die „Bürgerinitiative Stammbahn“ aus Kleinmachnow fest. Noch beherrschen rostige Schienen das Bild, sprießen junge, aber auch schon ziemlich alte Bäume und Büsche zwischen bröckelnden Holzschwellen. In einigen Jahren, so hoffen die Planer, wird die Trasse eine einzige große Baustelle sein – sicher nicht zur Freude der Anwohner, die zum Beispiel in Schöneberg einen langen Grünzug verlieren werden.

Inzwischen wurden die Anlagen vermessen, sagt André Stapf, der beim Verkehrsverbund für das milliardenschwere Investitionsprogramm i2030 zuständig ist. Auch der Planungsprozess schreite voran, berichtet er: „Die Grundlagenermittlung ist abgeschlossen.“ Die Vorplanung wurde europaweit ausgeschrieben. Für die Leistungsphase 2 steht Geld aus Berlin und Brandenburg bereit, nachdem die Finanzierungsvereinbarungen unterzeichnet wurden. Aber worum geht es eigentlich?

Sie war 1838 die erste Eisenbahn in Preußen – deshalb heißt sie Stammbahn. Vom alten Potsdamer Bahnhof fuhren die Züge in 41 Minuten in die Stadt, die ihm und dem benachbarten Potsdamer Platz den Namen gab. Anfangs wurden einige noch von Pferden gezogen. Doch das neue Verkehrsmittel wurde rasch ein Erfolg. Wie heute wurden die Züge ins Grüne am Wochenende von den Berlinern gestürmt – auch wenn zu Beginn Hunde und Säuglinge in den Abteilen verboten waren und Rauchen nur mit Deckelpfeife gestattet war. Weil dem späteren Feldmarschall Friedrich von Wrangel das Treiben vor seinem Sommersitz, dem heutigen Wrangelschlösschen, zu viel wurde, versuchte er, eine Schließung des damaligen Steglitzer Haltepunkts durchzusetzen – ohne Erfolg.

gestern

31.03.2024

•gestern

gestern

gestern

1845 führte die Strecke schon weiter nach Magdeburg. Der Fernverkehr begann, und das Zugangebot wurde immer besser. So konnten die Kleinmachnower kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in 17 Minuten zum Potsdamer Platz reisen. Doch seit der Sprengung der Brücke über den Teltowkanal 1945 ist die erste durchgehende Verbindung zwischen Berlin und Potsdam unterbrochen. Auf West-Berliner Seite........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play