Es bleibt spannend im Streit um die Zukunft der Berliner S-Bahn. Zwar kann die Ausschreibung für zwei Drittel des Netzes nach der Entscheidung des Kammergerichts weitergehen. Doch Beobachter bezweifeln, dass in das Vergabeverfahren endlich dauerhaft Ruhe einkehrt. Denn schon im Herbst könne ein neuer Konflikt entstehen – mit der Gefahr, dass nach mehr als vier Jahren alles von vorn losgeht. Denn die Verstöße gegen das Vergaberecht, die das Gericht als Makel kritisiert hatte, dauern an. Eines ist jetzt schon klar: Eine wichtige Frist muss, wie erwartet, erneut verschoben werden.

Es geht um Aufträge, die sich schon nach dem jetzigen Stand auf elf bis zwölf Milliarden Euro summieren können. Mit der großen S-Bahn-Ausschreibung suchen die Länder Berlin und Brandenburg Unternehmen, die mindestens 1400 S-Bahn-Wagen bauen, 30 Jahre lang instand halten und 15 Jahre lang betreiben. Die Fahrzeuge sollen auf elf Linien rollen – unter anderem der S1, S2, S3, S5, S7 sowie S9. Das Vergabeverfahren für die S-Bahn-Teilnetze Stadtbahn und Nord-Süd läuft schon seit 2020.

Eine wichtige Etappe soll bald enden, doch nun wurde bestätigt, dass das Verfahren vor dem Kammergericht einen weiteren Aufschub erzwingt. Zuletzt hieß es, dass die Frist zur Abgabe verbindlicher Angebote am 28. März um 12 Uhr endet. Inzwischen steht fest, dass sie erneut verschoben wird – diesmal um vier Wochen. Ab sofort gilt, dass die Bieter bis zum 25. April Zeit haben. Das bestätigte ein Sprecher der Verkehrsverwaltung.

06.03.2024

•gestern

06.03.2024

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•vor 5 Std.

Damit passen die Länder den Zeitplan an, noch bevor das Kammergericht ihnen die schriftlichen Entscheidungsgründe im Verfahren mit dem Aktenzeichen Verg 11/22 übermittelt hat. Erst vor kurzem war der Vergabesenat unter Vorsitz von Cornelia Holldorf zu Stuhle gekommen. Am Abend des 1. März verkündete er seine Entscheidung, die von beiden Seiten als Sieg gesehen wird – was aber nicht das ganze Bild darstellt.

Wie berichtet, war der französische Schienenfahrzeughersteller Alstom 2021 vor die Vergabekammer gezogen, die bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft angesiedelt ist. Unter anderem rügte das Unternehmen, dass die Wertungskriterien Einzelanbieter benachteiligen. Wer wie Alstom nicht mit einem Zugbetreiber kooperiert, habe schlechtere Chancen. Die Bahnunternehmen Transdev und Netinera sind abgesprungen. Siemens, Stadler und die S-Bahn Berlin wollen dagegen gemeinsam anbieten.

Nachdem die Vergabekammer die Rüge 2022 zurückgewiesen hatte, reichte Alstom beim Kammergericht eine sofortige Beschwerde ein. Am Ende des zweiten Verhandlungstages gab Cornelia Holldorf die Entscheidung bekannt. Das Gericht gab der Beschwerde der Antragstellerin am Freitag teilweise statt und wies sie im Übrigen zurück. Lediglich in zwei Punkten müssen die Länder jetzt ihre Ausschreibungsunterlagen ändern. Dabei geht es um die Kosten der Gleisanschlüsse zu den S-Bahn-Werkstätten und das Zugbeeinflussungssystem ZBS, das nur von Siemens angeboten wird.

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Die Senatsverkehrsverwaltung mit Senatorin Manja Schreiner (CDU) reagierte erfreut. „Zu den vom Vergabesenat beanstandeten Punkten bereiten die Länder die entsprechende Überarbeitung der Vergabeunterlagen vor, um das Verfahren schnellstmöglich beenden und die ausgeschriebenen Leistungen beauftragen zu können“, teilte ihr Sprecher Michael Herden mit. Die Tatsache, dass das Gericht die Rügen zum größten Teil zurückwies, werten die Länder als positiv. Das S-Bahn-Vergabeverfahren könne fortgeführt werden – „mit wenigen Korrekturen“, wie es hieß.

Allerdings fragen sich Beobachter, ob die Gerichtsentscheidung nicht doch erst mal nur ein Etappensieg ist. Wenn voraussichtlich im Herbst 2024 darüber entschieden wird, wer die Aufträge erhält, könnte es wieder zum Rechtsstreit kommen, sagen sie. Juristische Munition für unterlegene Anbieter gäbe es jedenfalls genug. Das Kammergericht hat sie in ausreichender Zahl geliefert, indem es vier Alstom-Rügen als begründet einstufte. Es gebe „materiellrechtliche Vergabeverstöße“, so die Vorsitzende Richterin. Der „Makel der Rechtswidrigkeit“ sei zu 100 Prozent belegt. Das ist ein deutliches Fazit.

Würden die Länder das Verfahren wie bislang fortsetzen, bestünde das Risiko einer unwirtschaftlichen, diskriminierenden Vergabe, warnte sie während der Verhandlung am 1. März. Ein Zuschlag, der nach den bisherigen Wertungskriterien erteilt wird, könnte „so unwirtschaftlich sein, dass Sie die Vergabe aufheben müssten“, so Holldorf an die Adresse von Berlin und Brandenburg.

Mit viel Geduld hatte das Gericht versucht, Berlin und Brandenburg dazu zu bewegen, den vier Rügen abzuhelfen. Ein Vorschlag der Richter wäre darauf hinausgelaufen, dass ein Einzelangebot berücksichtigt werden muss, wenn es im Vergleich zu dem korrespondierenden Teil eines Kombinations- oder Gesamtangebots als wirtschaftlicher anzusehen ist. Davon könnte Alstom profitieren.

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Doch die Bemühungen waren vergebens. Der Anwalt Niels Griem teilte mit, dass er kein Mandat habe, über eine Abhilfe zu verhandeln. Dem Vernehmen nach wollte Brandenburg eine solche Lösung, doch das Land Berlin sagte nein. Damit scheiterte der Plan, das Vergabeverfahren rechtssicher zu machen und gegen weitere juristische Querschläge zu immunisieren, am Berliner Senat. Die Chance habe Berlin verpasst, sagte ein Beobachter. Jetzt bestünde das Risiko, dass nach der Auftragsvergabe Einspruch eingelegt wird – der vor dem Vergabesenat des Kammergerichts landen könnte.

„Dann geht es wieder los“, hieß es. Dann könnte das Gericht seine Bedenken bekräftigen. Dass die Vergabe eventuell wegen Unwirtschaftlichkeit aufgehoben werden muss, hat es bereits angesprochen. Weitere rechtliche Fragen könnten entstehen, wenn Siemens, Stadler und die S-Bahn Berlin wie erwartet als Gemeinschaftsunternehmen auftreten.

„Entweder geht es schnell weiter. Oder es kann dauern“, lautet die Einschätzung des Beobachters. Auf jeden Fall werden Juristen und Berater noch einige Verdienstmöglichkeiten erhalten. Nach jetzigem Stand sollen die ersten neuen S-Bahn-Wagen 2030 kommen. Viel Zeit für weitere Terminverschiebungen gibt es nicht. Denn die letzten Wagen der ältesten S-Bahn-Baureihe 480 müssen 2032 aufs Abstellgleis.

QOSHE - S-Bahn Berlin: Geht der Streit um die neuen Wagen im Herbst von vorne los? - Peter Neumann
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S-Bahn Berlin: Geht der Streit um die neuen Wagen im Herbst von vorne los?

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08.03.2024

Es bleibt spannend im Streit um die Zukunft der Berliner S-Bahn. Zwar kann die Ausschreibung für zwei Drittel des Netzes nach der Entscheidung des Kammergerichts weitergehen. Doch Beobachter bezweifeln, dass in das Vergabeverfahren endlich dauerhaft Ruhe einkehrt. Denn schon im Herbst könne ein neuer Konflikt entstehen – mit der Gefahr, dass nach mehr als vier Jahren alles von vorn losgeht. Denn die Verstöße gegen das Vergaberecht, die das Gericht als Makel kritisiert hatte, dauern an. Eines ist jetzt schon klar: Eine wichtige Frist muss, wie erwartet, erneut verschoben werden.

Es geht um Aufträge, die sich schon nach dem jetzigen Stand auf elf bis zwölf Milliarden Euro summieren können. Mit der großen S-Bahn-Ausschreibung suchen die Länder Berlin und Brandenburg Unternehmen, die mindestens 1400 S-Bahn-Wagen bauen, 30 Jahre lang instand halten und 15 Jahre lang betreiben. Die Fahrzeuge sollen auf elf Linien rollen – unter anderem der S1, S2, S3, S5, S7 sowie S9. Das Vergabeverfahren für die S-Bahn-Teilnetze Stadtbahn und Nord-Süd läuft schon seit 2020.

Eine wichtige Etappe soll bald enden, doch nun wurde bestätigt, dass das Verfahren vor dem Kammergericht einen weiteren Aufschub erzwingt. Zuletzt hieß es, dass die Frist zur Abgabe verbindlicher Angebote am 28. März um 12 Uhr endet. Inzwischen steht fest, dass sie erneut verschoben wird – diesmal um vier Wochen. Ab sofort gilt, dass die Bieter bis zum 25. April Zeit haben. Das bestätigte ein Sprecher der Verkehrsverwaltung.

06.03.2024

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Damit passen die Länder den Zeitplan an, noch bevor das........

© Berliner Zeitung


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