Das war deutlich. Das Kammergericht hat klargemacht, dass die große Ausschreibung des S-Bahn-Betriebs in Berlin und Brandenburg teilweise gegen das Vergaberecht verstößt. Würde das Verfahren in der bisherigen Form weitergeführt, drohe die Gefahr, dass ein unwirtschaftliches Angebot gewinn, hieß es.

Das Gericht gab den Ländern aber die Chance nachzubessern. Am 1. März trifft man sich wieder im ehrwürdigen Gebäude am Kleistpark. Zeit, über einen bemerkenswerten Gerichtstermin nachzudenken.

Manchmal, aber eher selten, kam das Wort „Fahrgast“ vor. Ansonsten ging es bei der Verhandlung im Saal 449, die am Freitag rund zehn Stunden dauerte, um anderes. Der Bahnhersteller Alstom, der Gewinne erzielen sowie seine Fabriken auslasten will, pocht auf Gleichbehandlung und echte Chancen, wenn es darum geht, Milliardenaufträge zu vergeben. Die Länder, ihre Berater und Anwälte sind bestrebt, in einem hochkomplexen rechtlichen Umfeld ein Vergabeverfahren auf die Beine zu stellen, das auch politischen Anforderungen genügt. Denn bei der Berliner SPD und der Gewerkschaft EVG sähe man es am liebsten, wenn die Deutsche Bahn auch künftig alle S-Bahn-Linien betreibt.

Es ist ein „Tanz“, so Cornelia Holldorf. „Einen Tanz, den Sie ganz gut getanzt haben“, sagte die Vorsitzende Richterin des Vergabesenats an die Adresse der Länder. Sie möchte gewürdigt wissen, dass sich Berlin und Brandenburg um ein vergaberechtskonformes Verfahren bemühen. Doch immer wieder gebe es Bewegung. Dann kamen die „Aber“ – es waren gewichtige „Aber“.

Vergabeverfahren S-Bahn, Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn: Darum ging es am 23. Februar im Gerichtsgebäude am Schöneberger Kleistpark, das einst den nationalsozialistischen Volksgerichtshof und nach dem Krieg den Alliierten Kontrollrat beherbergt hat. Wer baut mindestens 1400 S-Bahn-Wagen, die ins Eigentum der Länder übergehen sollen? Wer hält die Fahrzeuge 30 Jahre in Schuss? Und wer wird die neuen S-Bahnen 15 Jahre lang betreiben? Sie sollen auf elf Strecken fahren – darunter die Linien S1, S2, S3, S5, S7 sowie S9. Die Aufträge summieren sich auf elf bis zwölf Milliarden Euro.

22.02.2024

•vor 5 Std.

gestern

21.02.2024

•gestern

Der französische Konzern fühlt sich benachteiligt. Im Jahr 2021 zog er vor die Vergabekammer, die bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft angesiedelt ist. Als Alstom dort abblitzte, wurde 2022 vor dem Kammergericht sofortige Beschwerde eingelegt. Doch in diesem Zusammenhang ist „sofortig“ ein euphemistischer Begriff, denn erst jetzt kam es zu einer ersten mündlichen Verhandlung. Wie zur Begründung öffnete die Vorsitzende Richterin vier Schränke voller Aktenordner. Es ist ein „sehr umfangreiches, sehr komplexes Nachprüfungsverfahren“, erklärte Cornelia Holldorf. Dem Vernehmen nach war der Berichterstatter rund sechs Monate nur mit dem Verfahren Verg 11/22 beschäftigt.

Von den 25 Rügen, die der dreiköpfige Vergabesenat aus vielen tausend Seiten Papier destillierte, nahm er sich am Freitag fünf vor. Das Gericht begann mit dem Hauptvorwurf von Alstom, der sich auf die Wertungskriterien für die Erteilung des Zuschlags bezieht. Dieses Design bevorzuge Bietergruppen, denen sowohl Hersteller als auch Zugbetreiber angehören – wie Siemens, Stadler und die S-Bahn Berlin GmbH/ Deutsche Bahn (DB). Wer sich wie Alstom solo bewirbt (Transdev sprang ab, Netinera wollte dann doch nicht), könne sich kaum Chancen ausrechnen, sofern nicht doch noch zufällig ein Zugbetreiber ein Komplementärangebot unterbreitet. Selbst wenn das Alstom-Angebot für die neuen S-Bahnen das wirtschaftlichste wäre: Ohne Partner würde es nichts nützen.

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Es ist eine Rüge, die das Kammergericht für begründet hält. Angesichts der Wertungskriterien wäre „nicht sichergestellt, dass stets das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag erhält“, erklärte Cornelia Holldorf. Das wäre ein Verstoß gegen das Vergaberecht. Auch wenn sich ein Einzelangebot für eines der vier Lose als am wirtschaftlichsten erweist, müsse einem unwirtschaftlichen Gesamtangebot der Zuschlag erteilt werden, sagte der Bericht erstattende Richter zu ihrer Linken. Es bestehe ein „Restrisiko einer extrem unwirtschaftlichen Vergabe“, lautete die Zwischenbilanz.

Begründet sei auch die Alstom-Rüge, dass die DB bei den S-Bahn-Werkstätten einen Vorteil habe, so das Gericht weiter. Schließlich verfüge die S-Bahn Berlin GmbH über mehrere Werkstattstandorte. Dies sei ein „über mehr als 25 Jahre verfestigter, auf den Auftraggeber zugeschnittener Vorteil“, rief der Berichterstatter in Erinnerung. „Er ist genau auf die Leistung zugeschnitten, die nun vergeben wird.“

Rüge Nummer 3, bei der es um die Gleisanschlüsse der Werkstattstandorte gehe, wäre ebenfalls begründet, so das Kammergericht weiter. Das gelte auch für Rüge Nummer 4. Deren Hintergrund ist, dass alle Züge, die auf Strecken der Berliner S-Bahn unterwegs sind, über das Zugbeeinflussungssystem ZBS verfügen müssen. Diese Technik wird ausschließlich von Siemens geliefert – einem Alstom-Konkurrenten. Dagegen sei Alstom-Rüge Nummer 5, in der es um Vorteile eines Gemeinschaftsunternehmens geht, sei „im Augenblick noch nicht begründet“, sagte Holldorf. „Denn wir wissen noch nicht, wer sich an dem Vergabeverfahren beteiligt.“ Die Frist zur Angebotsabgabe läuft noch.

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Vier der ersten fünf Rügen sind begründet: Im Saal 449, in dem sich viele Juristen, Berater und Mitarbeiter von Bahnherstellern drängte, sah es nach einem Erfolg für den Antragsteller Alstom aus. Nach der Mittagspause machte die Vorsitzende Richterin allerdings deutlich, dass zumindest ein Teil der Rügen als unzulässig einzuschätzen sei – offensichtlich, weil Fristen überschritten worden seien. Damit war absehbar, dass das Kammergericht den Nachprüfungsantrag von Alstom abweisen würde.

Doch schon bald wurde klar, dass das Gericht um eine Lösung bemüht ist – eine Lösung, die sowohl Alstom als auch den Ländern gerecht wird. Holldorf fragte in die Runde: Wie könnte den Rügen jenseits eines streitigen Urteils abgeholfen werden? Wäre es möglich, Verpflichtungserklärungen einzugehen, die beiden Seiten gerecht werden? Und so wurde der Saal 449 plötzlich zu einer Art Verhandlungsarena.

Allerdings führte schon der erste Vorschlag des Gerichts am späten Freitagnachmittag zu längeren Diskussionen. Er liefe darauf hinaus, dass ein Alstom-Angebot für neue S-Bahnen anders als bisher eine Chance hätte, sich durchzusetzen. Wenn eine solche Offerte preisgünstiger wäre als der entsprechende Teil eines Gesamtangebots etwa von Siemens, Stadler und DB müsse es berücksichtigt werden. Doch wäre das wirklich praktikabel? Schon war in den Zuschauerrängen von einer „Zwangsheirat“ die Rede.

Während die Sonne über dem Kammergericht unterging, wurde weiter diskutiert – bis in den späten Abend. Inzwischen steht fest: Am 1. März um 10 Uhr sieht man sich dort wieder. Und dann wird es erneut spannend. Was werden die Länder aus den Vorschlägen, die das Gericht auf ausgedruckten Blättern aufgelistet hatte, machen? Wird Alstom darauf eingehen? Oder wird es doch zu einer Gerichtsentscheidung kommen?

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„Das Kammergericht hat einige Punkte der Vergabekonzeption kritisiert und einen Vergleich mit dem Bewerber vorgeschlagen. Die Beteiligten werden das jetzt sorgfältig und prioritär prüfen“, sagte Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) am Freitagabend. „Für Berlin und Brandenburg ist klar, dass wir schnellstmöglich moderne, attraktive S-Bahn-Fahrzeuge und einen Ausbau des Verkehrsangebots brauchen. Die Frage ist, wie wir dieses Ziel zuverlässig und rasch erreichen können.“

Nicht ausgeschlossen ist, dass sich das bislang größte Vergabeverfahren in der Berliner Verkehrsgeschichte, das 2020 begann, weiter verzögert – mit Folgen für die Fahrgäste. Derzeit ist es noch so, dass die Frist zur Abgabe der Angebote am 28. März um 12 Uhr endet und ab 2030 die ersten neuen S-Bahnen kommen sollen. Doch die Skepsis wächst und damit die Befürchtung, dass es zu Fahrzeugengpässen kommen könnte.

Für Juristen und Berater ist es dagegen eine gute Zeit. Auch wenn selbst sie offenbar manchmal ins Grübeln kommen – wie Rechtsanwalt Niels Griem von der Bremer Kanzlei BBG und Partner, deren Mandanten die Berlin und Brandenburg sind: „Wir hätten vor vier Jahren nicht gedacht“, sagte er am Freitag, „dass wir jetzt noch hier sitzen werden, um dieses Vergabeverfahren zum Ende zu bringen.“

QOSHE - S-Bahn Berlin: Der „Tanz“ um die Zukunft geht in die nächste Runde - Peter Neumann
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S-Bahn Berlin: Der „Tanz“ um die Zukunft geht in die nächste Runde

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24.02.2024

Das war deutlich. Das Kammergericht hat klargemacht, dass die große Ausschreibung des S-Bahn-Betriebs in Berlin und Brandenburg teilweise gegen das Vergaberecht verstößt. Würde das Verfahren in der bisherigen Form weitergeführt, drohe die Gefahr, dass ein unwirtschaftliches Angebot gewinn, hieß es.

Das Gericht gab den Ländern aber die Chance nachzubessern. Am 1. März trifft man sich wieder im ehrwürdigen Gebäude am Kleistpark. Zeit, über einen bemerkenswerten Gerichtstermin nachzudenken.

Manchmal, aber eher selten, kam das Wort „Fahrgast“ vor. Ansonsten ging es bei der Verhandlung im Saal 449, die am Freitag rund zehn Stunden dauerte, um anderes. Der Bahnhersteller Alstom, der Gewinne erzielen sowie seine Fabriken auslasten will, pocht auf Gleichbehandlung und echte Chancen, wenn es darum geht, Milliardenaufträge zu vergeben. Die Länder, ihre Berater und Anwälte sind bestrebt, in einem hochkomplexen rechtlichen Umfeld ein Vergabeverfahren auf die Beine zu stellen, das auch politischen Anforderungen genügt. Denn bei der Berliner SPD und der Gewerkschaft EVG sähe man es am liebsten, wenn die Deutsche Bahn auch künftig alle S-Bahn-Linien betreibt.

Es ist ein „Tanz“, so Cornelia Holldorf. „Einen Tanz, den Sie ganz gut getanzt haben“, sagte die Vorsitzende Richterin des Vergabesenats an die Adresse der Länder. Sie möchte gewürdigt wissen, dass sich Berlin und Brandenburg um ein vergaberechtskonformes Verfahren bemühen. Doch immer wieder gebe es Bewegung. Dann kamen die „Aber“ – es waren gewichtige „Aber“.

Vergabeverfahren S-Bahn, Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn: Darum ging es am 23. Februar im Gerichtsgebäude am Schöneberger Kleistpark, das einst den nationalsozialistischen Volksgerichtshof und nach dem Krieg den Alliierten Kontrollrat beherbergt hat. Wer baut mindestens 1400 S-Bahn-Wagen, die ins Eigentum der Länder übergehen sollen? Wer hält die Fahrzeuge 30 Jahre in Schuss? Und wer wird die neuen S-Bahnen 15 Jahre lang betreiben? Sie sollen auf elf Strecken fahren – darunter die Linien S1, S2, S3, S5, S7 sowie S9. Die Aufträge summieren sich auf elf bis zwölf Milliarden Euro.

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