Kaum eine Wand, die nicht mit Farbe beschmiert wurde. Verkleidungen wurden herausgerissen, Massen an Müll lagen herum, zum Teil in Bier- und Urinlachen. Für die Bahn-Mitarbeiter, die das alles wieder in Ordnung bringen mussten, hatten sich die Fans des 1. FC Magdeburg etwas besonders Böses ausgedacht: Rasierklingen, die unter Aufklebern versteckt wurden, sollten die Reinigungskräfte verletzen. Jetzt hat die Ostdeutsche Eisenbahn (ODEG), deren Zug demoliert wurde, Bilanz gezogen. Absurd: Für den Schaden, für den sie nichts kann, muss sie auch noch mit einer Strafe rechnen.

Es geschah am 16. Februar zwischen 22 und 24 Uhr. Hertha BSC Berlin hatte 3:2 gegen den 1. FC Magdeburg gewonnen. Gefrustet verließen die Gäste aus Sachsen-Anhalt das Olympiastadion. Einige ließen ihre Wut am ODEG-Zug 3462 009 aus, der sie nach Hause brachte. Sie verwandelten den Regionalexpress der Linie RE1 in ein Schlachtfeld.

„Diese Fahrt hat uns Stand heute rund 25.000 Euro gekostet“, teilte Lars Gehrke, Geschäftsführer des Regionalzugbetreibers, der Berliner Zeitung auf Anfrage mit. In der Kalkulation kommen nicht nur die Sachbeschädigungen und Graffiti zum Tragen, die bei der Zugfahrt Nummer 73791 verübt wurden. Die ODEG hat auch noch einen weiteren finanziellen Verlust eingerechnet. Er ergibt sich aus dem Vertrag, den der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) für das Netz Elbe-Spree abgeschlossen hat.

Generell ist es so: Für jede Fahrt, die Regionalzugbetreiber ausführen, bekommen sie Geld – Geld, das aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes stammt. Doch damit die volle Summe ausgezahlt wird, müssen sie vertraglich fixierte Anforderungen erfüllen. So ist zum Beispiel festgelegt, wie viele Sitzplätze für die Fahrgäste vorzuhalten sind. Ist die Kapazität geringer als vereinbart, sieht der jeweilige Verkehrsvertrag Kürzungen vor.

•gestern

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22.03.2024

22.03.2024

22.03.2024

Weil ein Wagen nicht mehr genutzt werden konnte, wurde er abgesperrt, bestätigte Lars Gehrke. Das hatte zur Folge, dass ein Teil der vereinbarten Kapazität für die Fahrgäste nicht mehr zur Verfügung stand. Als Folge müsse die ODEG nun damit rechnen, dass der Verkehrsverbund für die spätabendliche Fahrt des RE1 von Berlin nach Magdeburg weniger Geld zahlt. Derzeit befürchtet der Zugbetreiber, dass sich der Abzug auf einen vierstelligen Betrag summieren wird – eine erste Kalkulation ergab rund 8.000 Euro. Zum Sachschaden würde also noch ein finanzieller Schaden hinzukommen. Dabei ist klar, dass die ODEG nichts dafür kann, dass ihr Zug in ein Schlachtfeld verwandelt wurde.

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Den genannten Betrag könne der Verkehrsverbund „so nicht bestätigen“, teilte VBB-Sprecher Joachim Radünz auf Anfrage mit. „Grundsätzlich ist es aber tatsächlich so, dass Minderungen wegen geringerer Qualität, hier am Beispiel geringeres Sitzplatzangebot, verursacherunabhängig in Ansatz gebracht werden.“ Es könne immer etwas kaputtgehen, was nicht sofort repariert werden kann. „Dafür gibt es Freikilometer, also eine bestimmte Prozentzahl an Zugkilometern, für die keine Minderungen anfallen.“

Die erwartete Minderung ergebe sich dadurch, dass einer der sechs Wagen des Triebzugs gesperrt werden musste und deshalb weniger Sitzplätze nutzbar waren, bekräftigte Lars Gehrke. Die ODEG rechne weiterhin mit einer Pönalisierung. „Selbst wenn die hier beschriebenen Freikilometer greifen würden, fehlen uns diese ja an anderer Stelle. Nach Rückmeldung durch das Controlling haben wir bisher nicht aktiv um Minderungsentfall gebeten, da dies in der Vergangenheit zu keinem Erfolg geführt hat“, sagte er.

Den Mitarbeitern von DB Service in Magdeburg-Buckau, die das ramponierte Fahrzeug wieder einsatzfähig machten, bescheinigte Gehrke einen „grandiosen Job“. „Sie haben den Zug mit großen Mühen wieder so hergerichtet, dass er erneut im Fahrgastbetrieb eingesetzt werden konnte. Unsere Werkstatt hat die Verkleidungen repariert.“

Es ist nicht der erste Fall dieser Art. Vor einem halben Jahr haben Anhänger des FC Eintracht Braunschweig einen anderen Zug der ODEG beschädigt und beschmiert, so der Geschäftsführer. „Auch damals hat die Kontaktaufnahme mit dem Fußballverein außer Blabla überhaupt nichts gebracht – außer ‚wir sind bemüht‘ und ‚wir waren nicht daran schuld‘“, ärgerte er sich. „Der Verein habe keinen Einfluss auf die Täter, weil er sie nicht kenne, hieß es. Der DFB und die DFL nehmen sich da ebenfalls komplett raus.“

Die ODEG macht keinen Hehl daraus, dass sie sich auch im jüngsten Fall nicht gut behandelt fühlt. „Wir wurden vom VBB auch noch gefragt, ob zusätzlich zur Bundespolizei auch ODEG-Sicherheitspersonal an Bord war. Dabei würde uns dessen Einsatz niemand vergüten“, erinnerte sich Gehrke. Und was den Sportverein anbelangt: „Von Seiten des 1. FC Magdeburg gab es bisher keine offizielle Antwort.“

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Felix Nebel von der Fanbetreuung des Zweitligisten berichtete dagegen: „Der 1. FC Magdeburg hat sich in Vorbereitung auf das Spiel bei Hertha BSC sehr konstruktiv mit den Bahnunternehmen, darunter auch ODEG, ausgetauscht. So werden wir uns auch zu diesem Sachverhalt nochmal mit den Bahnunternehmen verständigen und das Thema besprechen.“ Es sei „schade“, dass der Zug in einem solchen Zustand hinterlassen wurde. Das erschwere es dem Verein, Auswärtsspiele zu planen, hieß es in Magdeburg.

„Der 1. FC Magdeburg lehnt grundsätzlich jegliche Straftaten ab“, betonte Nebel. „Wir können die Wut und den Frust der Geschädigten nachvollziehen.“ Allerdings gelte in diesem Fall: „Zu diesem Spiel waren auch sehr viele unorganisierte Fans in Berlin, wodurch ein Wirken und Kommunizieren in die Fanszene erschwert wird.“

„Wir haben Strafantrag gestellt und die Aufnahmen der Videoanlagen durch die Bundespolizei auslesen lassen“, berichtete ODEG-Chef Gehrke. „Die Täter sind vom Aussehen her bekannt. Jetzt warten wir ab, was passiert.“ Die Ermittlungen dauern noch an, teilte Romy Gürtler von der Bundespolizeiinspektion Magdeburg dazu mit. Sie bestätigte, dass der Bundespolizei Videomaterial vorliegt. „Hinsichtlich der Qualität und sich daraus gegebenenfalls ergebender Rückschlüsse auf mögliche Tatverdächtige können aber aktuell noch keine Aussagen getroffen werden“, so Gürtler.

Bundesbereitschaftspolizisten hätten den Regionalexpress an jenem Abend im Februar zunächst begleitet, seien aber in Genthin ausgestiegen, berichtete die Sprecherin. „Dies ist zunächst nicht unüblich, insbesondere, wenn es keine Gefahrensituation gibt und die reisenden Fußballfans sich entsprechend ruhig verhalten.“ Nachdem die Uniformierten den Zug verlassen hatten, „schlug das Verhalten der Fußballanhänger um, und es kam zu den genannten Delikten“, erklärte Gürtler.

Die ODEG hat den Ablauf am Abend des 16. Februar allerdings anders dargestellt. Schon lange vor Genthin habe es Unruhe und Störungen gegeben, so das Bahnunternehmen. „Zwischen Potsdam Park Sanssouci und Werder (Havel) wurden unentwegt Fahrgastnotrufe in den Führerstand an den Triebfahrzeugführer abgesetzt. Die Beantwortung der auflaufenden Notrufe musste abgebrochen werden, da sonst die Sicherheit der Zugfahrt in diesem Abschnitt in Frage gestanden hätte“, hieß es.

In Werder wurde die Bundespolizei gebeten, die „aggressiven Fahrgäste“ zu belehren, dass die Notsprechanlagen nur aus bestimmten Gründen genutzt werden dürften. Die Fahrdienstleitung von DB InfraGo erhielt die Information, dass der Regionalexpress in Wildpark länger als geplant halten muss. „An den Haltepunkten in Richtung Magdeburg sind die randalierenden Fans ausgestiegen, um zu urinieren“, so die ODEG weiter. Die Bundespolizisten mussten die Fans auffordern, wieder einzusteigen. Die Uniformierten hätten „eindeutig eine deeskalierende Strategie“ verfolgt. „Während der kompletten Fahrt wurde immer wieder im Fahrzeug geraucht und Feueralarm ausgelöst.“

Für Lars Gehrke steht fest: Wenn Sportfans Züge zerlegen, müsse anders reagiert werden. Zugbetreiber dürften nicht allein gelassen und auch noch bestraft werden.

QOSHE - Randale nach Fußballspiel im Zug Berlin – Magdeburg: Jetzt droht der ODEG auch noch eine Strafe - Peter Neumann
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Randale nach Fußballspiel im Zug Berlin – Magdeburg: Jetzt droht der ODEG auch noch eine Strafe

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24.03.2024

Kaum eine Wand, die nicht mit Farbe beschmiert wurde. Verkleidungen wurden herausgerissen, Massen an Müll lagen herum, zum Teil in Bier- und Urinlachen. Für die Bahn-Mitarbeiter, die das alles wieder in Ordnung bringen mussten, hatten sich die Fans des 1. FC Magdeburg etwas besonders Böses ausgedacht: Rasierklingen, die unter Aufklebern versteckt wurden, sollten die Reinigungskräfte verletzen. Jetzt hat die Ostdeutsche Eisenbahn (ODEG), deren Zug demoliert wurde, Bilanz gezogen. Absurd: Für den Schaden, für den sie nichts kann, muss sie auch noch mit einer Strafe rechnen.

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Generell ist es so: Für jede Fahrt, die Regionalzugbetreiber ausführen, bekommen sie Geld – Geld, das aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes stammt. Doch damit die volle Summe ausgezahlt wird, müssen sie vertraglich fixierte Anforderungen erfüllen. So ist zum Beispiel festgelegt, wie viele Sitzplätze für die Fahrgäste vorzuhalten sind. Ist die Kapazität geringer als vereinbart, sieht der jeweilige Verkehrsvertrag Kürzungen vor.

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22.03.2024

22.03.2024

22.03.2024

Weil ein Wagen nicht mehr genutzt werden konnte, wurde er abgesperrt, bestätigte Lars Gehrke. Das hatte zur Folge, dass ein Teil der vereinbarten Kapazität für die........

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