Kein Bus, keine Bahn: Ein Warnstreik legt erneut die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) lahm – diesmal bis Freitag, 14 Uhr. Bei ihren Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen, für die fast 16.000 Beschäftigten, liegen die Gewerkschaft Verdi und der Kommunale Arbeitgeberverband Berlin bei einigen Themen über Kreuz. Doch in einem Punkt sind sie sich einig: Beide Kontrahenten sprechen sich dafür aus, im Bus- und Bahnverkehr ein neues Betriebsmodell zu testen: Fahren ohne Fahrplan.

Im Grundsatz sind sich die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberseite einig. Damit nicht mehr so viele Fahrer die BVG verlassen und sich nicht mehr so viele Mitarbeiter krankmelden, müssen die Belastungen für das Personal des Landesunternehmens gemildert werden – darüber besteht prinzipiell Konsens. So gut es geht Stress aus dem Alltag herausnehmen: Das ist das Ziel, das Verdi und die BVG gemeinsam verfolgen.

Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Staus und Baustellen halten Busse und Straßenbahnen immer wieder auf. Wenn Ampelschaltungen, die der BVG Vorrang geben sollen, abgeschaltet oder nicht vorhanden sind, kann der Fahrplan vollends zur Makulatur werden. Dass sie den festgesetzten Zeiten hinterherfahren, ist für die Mitarbeiter eine ganz normale Erfahrung. Doch in jedem einzelnen Fall bedeutet das Stress. Denn ihnen wird auf Displays immer wieder klar signalisiert: Du fährst verspätet.

Wer im Büro oder in einer Fabrik arbeitet, wird das vielleicht nicht ohne Weiteres nachvollziehen können. Doch im Fahrdienst muss die Arbeit zu genau vorgeschriebenen Zeiten geleistet werden. Während es in der Verwaltung meist egal ist, ob ein Vorgang um 15, 16 oder am nächsten Tag um 12 Uhr erledigt ist, bestimmen im Fahrbetrieb BVG Minuten- und Sekundenzeiten den Arbeitstakt. Der Bus soll um 11.28 Uhr abfahren, nicht um 11.29 Uhr. Und schon gar nicht erst am nächsten Tag um 12 Uhr.

27.02.2024

28.02.2024

•vor 7 Std.

•vor 8 Std.

28.02.2024

Jetzt wird nach Wegen gesucht, Druck herauszunehmen, ohne dass das Angebot für die Fahrgäste schlechter oder unberechenbarer wird. Auf Anfrage der Berliner Zeitung versucht Lothar Stephan vom BVG-Gesamtpersonalrat zu beschreiben, worüber geredet wird. Fahren nach Takt, aber nicht nach Fahrplan: So könnte die Überschrift lauten.

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Alle fünf oder siebeneinhalb Minuten geht ein Bus oder eine Straßenbahn auf die Strecke. Der Takt, der zeitliche Abstand zwischen den Abfahrten, ist das Entscheidende – nicht, dass um 11.23, 11.28, 11.33 Uhr gestartet werden soll. Mehr Flexibilität bedeutet, dass es etwas entspannter zuginge. Für die Fahrgäste hieße es, dass während des Stoßverkehrs keine Fahrzeiten mehr kommuniziert werden, sondern nur: „Fährt alle x Minuten.“

„Fahren nach Abstand könnte die Kollegen entlasten“, sagte der Vorsitzende der obersten Personalvertretung bei der BVG. „Sie müssten nicht mehr starren Fahrzeiten hinterherfahren“ – was im Berliner Straßenverkehr ohnehin ein utopisches Unterfangen sei. Stephan bestätigte, dass es während der Verhandlungen über den neuen Rahmentarifvertrag erste Gespräche gegeben hat – und dass die Arbeitgeberseite das Thema ebenfalls positiv sehe, trotz Streits bei anderen Themen.

„Eine Idee ist, das neue Modell mit einem Pilotprojekt zu testen“, berichtete Stephan. Schauplatz wäre der Bus- und Straßenbahnverkehr, denn er sei besonders stark von den Problemen betroffen. Das neue Modell sollte während der Hauptverkehrszeiten auf ausgewählten kompletten Linien erprobt werden. Zunächst aber müsste die BVG mit der Senatsverwaltung sprechen, sie legt als Aufgabenträger das Fahrtenangebot fest. Auf welchen Linien der Versuch stattfindet und wann er beginnt, wäre mit ihr festzulegen.

Beobachter halten es für möglich, dass eine Einigung ein Streitthema der Tarifverhandlungen wenigstens etwas entschärfen könnte. Wie berichtet fordert Verdi, die betriebliche Wendezeit auf generell zehn Minuten zu erhöhen. Derzeit stehen an den Endhaltestellen zwischen vier und zehn Minuten zur Verfügung, um eine Runde ums Fahrzeug zu drehen, zu verschnaufen und vielleicht zur Toilette zu gehen. Doch die BVG lehnt die Forderung ab. Mehr Fahrer würden benötigt, Wendestellen wären auszubauen.

Den geplanten Aufenthalt an den Endstellen auf zehn Minuten zu erhöhen, würde ohnehin keine grundsätzliche Verbesserung bringen. Denn auch wenn die Wendezeit verlängert würde, bliebe das Risiko, dass die Verspätungen sie im Alltag aufzehren. Sinnvoller wäre es, an den Strecken anzusetzen – durch den Verzicht auf fixe Fahrzeiten, aber auch durch die weitere Beschleunigung. Allerdings haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, dass BVG und Senat hier ein besonders dickes Brett bohren müssen. Ampelschaltungen und Straßenumbauten sind in Berlin sehr komplexe Themen.

Was Stephan skizziert, gibt es im Ausland schon. In großen Städten verkehren Linienbusse häufig ohne feste, vorab publizierte Fahrzeiten. An den Haltestellen wird dann nur veröffentlicht, in welchen Zeiträumen die Busse in welchem Takt verkehren.

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Wenn es um Fahren nach Abstand geht, verweisen Branchenkenner allerdings auf das rechtliche Umfeld. „Ich bin mir nicht sicher, ob eine derartige Regelung für den Linienverkehr zulässig wäre, da das Personenbeförderungsgesetz einen Linienbus demnach so definiert, dass er nach einem Fahrplan zwischen A nach B fährt“, sagte ein Experte. „Und ob ein fester Takt ein Fahrplan ist, würde ich bezweifeln. So möchte ich, wenn ich morgens in meinen M49 zur Arbeit steige auch, dass er 5.47 Uhr von meiner Haltestelle losfährt, und nicht erst genau zehn Minuten nach seinem Vordermann.“

Der Fahrplan muss die Führung der Linie, ihren Ausgangs- und Endpunkt sowie die Haltestellen und Fahrzeiten enthalten: So steht es in Paragraf 40 des Bundesgesetzes. Er hält auch fest, dass der Fahrplan genehmigungspflichtig ist und der Anbieter der Leistung sich an den genehmigten Fahrplan halten muss. Alles nicht so einfach. Klar ist: Mit dem Senat wird es noch einige Gespräche geben.

QOSHE - Fahren ohne Fahrplan: Wie ein neues Betriebsmodell die BVG verändern soll - Peter Neumann
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Fahren ohne Fahrplan: Wie ein neues Betriebsmodell die BVG verändern soll

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01.03.2024

Kein Bus, keine Bahn: Ein Warnstreik legt erneut die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) lahm – diesmal bis Freitag, 14 Uhr. Bei ihren Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen, für die fast 16.000 Beschäftigten, liegen die Gewerkschaft Verdi und der Kommunale Arbeitgeberverband Berlin bei einigen Themen über Kreuz. Doch in einem Punkt sind sie sich einig: Beide Kontrahenten sprechen sich dafür aus, im Bus- und Bahnverkehr ein neues Betriebsmodell zu testen: Fahren ohne Fahrplan.

Im Grundsatz sind sich die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberseite einig. Damit nicht mehr so viele Fahrer die BVG verlassen und sich nicht mehr so viele Mitarbeiter krankmelden, müssen die Belastungen für das Personal des Landesunternehmens gemildert werden – darüber besteht prinzipiell Konsens. So gut es geht Stress aus dem Alltag herausnehmen: Das ist das Ziel, das Verdi und die BVG gemeinsam verfolgen.

Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Staus und Baustellen halten Busse und Straßenbahnen immer wieder auf. Wenn Ampelschaltungen, die der BVG Vorrang geben sollen, abgeschaltet oder nicht vorhanden sind, kann der Fahrplan vollends zur Makulatur werden. Dass sie den festgesetzten Zeiten hinterherfahren, ist für die Mitarbeiter eine ganz normale Erfahrung. Doch in jedem einzelnen Fall bedeutet das Stress. Denn ihnen wird auf Displays immer wieder klar signalisiert: Du fährst verspätet.

Wer im Büro oder in einer Fabrik arbeitet, wird das vielleicht nicht ohne Weiteres nachvollziehen können. Doch im Fahrdienst muss die Arbeit zu genau vorgeschriebenen Zeiten geleistet........

© Berliner Zeitung


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