Verkehrssenatorin von Berlin: Das ist kein Job, der jede Menge Ruhe und Seelenfrieden verspricht. Für Manja Schreiner (CDU), die dieses Amt vor fast einem Jahr übernommen hat, gehört Kritik von Radfahrern, Umweltverbänden und Klimaschützern zum Tagesgeschäft. Jetzt hat ein Parteifreund von der CDU, der lange Zeit in der Senatsverwaltung tätig war, Partei für die Senatorin ergriffen. Sie verdiene „Anerkennung und Hochachtung“, schreibt der frühere Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt in einem Beitrag für die Berliner Zeitung. Der Christdemokrat rechnet mit der Verkehrspolitik der SPD und der Grünen ab – und mit Friedemann Kunst.

Kunst, von 2007 bis 2013 Chef-Verkehrsplaner im Senat, hatte die Diskussion eröffnet – ebenfalls in der Berliner Zeitung. Anfang April ging der Stadt- und Verkehrsplaner dort mit der aktuellen Verkehrspolitik des CDU-SPD-Senats ins Gericht. Berlins Verkehrspolitik brauche einen „neuen strategischen Ansatz“ – und eine „richtige Mischung aus schnell, mittelfristig und langfristig wirksamen Maßnahmen“, forderte er.

Kunst sagte voraus, dass die ambitionierten Konzepte zur Erweiterung des U-Bahn-Netzes keine Chance darauf hätten, verwirklicht zu werden, weil Geld und Planerkapazität fehlen. Zugleich würde auch das Straßenbahnnetz kaum erweitert, ebenso die Angebote für Fußgänger und Radfahrer. „Ein Durchbruch in der Verkehrssicherheit ist nicht zu verzeichnen. Und der Beitrag des Verkehrs zum Klimaschutz liegt weit hinter den Zielen zurück“, so Kunsts weitere Prognose für die nahe Zukunft. Der langjährige Abteilungsleiter Verkehr erwartet, dass die von der CDU ventilierten Pläne für eine Magnetschwebebahn bald wieder zu den Akten gelegt werden.

Immerhin: Mit dem Thema Magnetschwebebahn hält sich auch Ingo Schmitt gar nicht erst auf. Dieses Verkehrsmittel kommt in den Gedanken, die der 66 Jahre alte Christdemokrat für die Berliner Zeitung aufschrieb, nicht vor. Ansonsten macht der frühere Verkehrsstaatssekretär (1991 bis 1999) deutlich, dass er nicht nur mit der langjährigen Berliner Verkehrspolitik im Allgemeinen ein Problem hat – sondern auch mit Stadtplanern wie Friedemann Kunst im Besonderen.

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15.04.2024

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Der gebürtige Charlottenburger erinnert sich daran, wie er rund ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt beim städtebaulichen Wettbewerb zum Potsdamer Platz die Interessen und Erfordernisse des Verkehrs vertreten sollte. „In der Jury, die rund 15 Personen umfasste, waren ganz überwiegend Architekten und Stadtplaner vertreten. Als ich bei aller Diskussion über die Frage, ob nun hohe Häuser gebaut werden sollten oder nicht, die Verkehrsbelange problematisierte, blickten mich die anderen Jury-Teilnehmer irritiert und geradezu abschätzend an“, so Schmitt in seinem Beitrag.

Erlebnisse dieser Art habe er auch in den folgenden Jahren gehabt, berichtet der Jurist, der seit seinem Ausscheiden aus dem Senat wieder als Rechtsanwalt arbeitet. „Stadtplaner sind filigrane Persönlichkeiten, die die ‚dumpfen Verkehrsbelange‘ am liebsten ausblenden möchten. Stadtplaner empfinden die notwendigen Verkehrswege und die erforderliche verkehrliche Anbindung von Stadtteilen als Belastung. So wie mein damaliger Lehrer im Chemie-Leistungskurs die Chemie als schmutzigen Bruder der Physik bezeichnete, so sehen Stadtplaner in der Verkehrsplanung den ‚schmutzigen Bruder‘ der Stadtplanung“, stellt der frühere Senatspolitiker fest.

16 Jahre lang leitete Ural Kalender, ein „wirklicher Verkehrsplaner“ (Schmitt), die Abteilung Verkehr – den wichtigsten Verwaltungsposten, den es in Berlin in diesem Bereich gibt. 2007 übernahm Friedemann Kunst diese Funktion. Ein Mann mit „Grünen-Affinität“, wie Ingo Schmitt feststellt. Zu diesem Zeitpunkt war der vorerst letzte CDU-Verkehrssenator schon länger von einem Sozialdemokraten abgelöst worden. 15 Jahre lang befand sich das Verkehrsressort in der Verantwortung der SPD, dann fast sieben Jahre in den Händen der Grünen.

Dabei sei „grüne Verkehrsplanung kaum zukunftsorientiert, sondern meist anachronistisch“. Schmitt erinnert sich an die Jahre nach der Wende, als die Partei das Konzept zum Bahnausbau in Berlin attackierte. Statt eines Nord-Süd-Tunnels (der dann zusammen mit dem Hauptbahnhof tatsächlich gebaut wurde) wollten sie Kopfbahnhöfe.

„Die SPD-Senatoren – mit begrenzter Ausnahme vielleicht von Peter Strieder – haben sich in diesem Ressort kaum beziehungsweise gar nicht für den Ausbau und die Fortentwicklung der Verkehrsinfrastruktur Berlins engagiert“, analysiert Schmitt. „Anders verhielt es sich bei den beiden Senatorinnen der Grünen, jedoch gab es hier eine einseitige Fokussierung auf den Radverkehr und die Straßenbahn.“ Schmitts Bilanz: „Die Jahre von SPD und Grünen in diesem Ressort waren verlorene Jahrzehnte für die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur unserer Metropole, weil sie entweder von Desinteresse oder von Ideologie geprägt waren.“

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Schmitt nennt Beispiele: So wurde die U-Bahn-Linie U5 nur auf Druck des Bundes, der mit der Rückforderung von Zuschüssen drohte, über den Alexanderplatz hinaus zum Hauptbahnhof verlängert, so der Christdemokrat. Der Plan für eine zweite Nord-Süd-S-Bahn, bekannt unter dem Arbeitstitel S21, stammt aus den 1990er-Jahren. Doch das erste, zudem ziemlich kurze Teilstück der neuen Innenstadtstrecke, das von Wedding zum Hauptbahnhof führt, geht erst im Dezember 2024 in Betrieb.

„Mit Ideologie kann der Verkehr in einer Großstadt nicht organisiert werden“, stellt der Ex-Staatssekretär in seinem Beitrag fest. „Bei aller Wertschätzung des ökologischen Verkehrsmittels Fahrrad wird hiermit noch nicht einmal ansatzweise der Großstadtverkehr abzuwickeln sein. Auch die Straßenbahn ist kein adäquates Massentransportmittel.“ Wer Verkehr ideologiefrei plane, müsse die Kapazität im Auge haben, mahnt Ingo Schmitt. S-Bahnen und die U-Bahnen seien die „Arbeitspferde in einer Großstadt“. S-Bahnen könnten bis zu 20.000 Fahrgäste, U-Bahnen bis zu 12.000 Fahrgäste pro Stunde befördern. „Eine Straßenbahn wird nicht über 4000 Fahrgäste hinauskommen“, so seine Rechnung.

„Wer sich diese Zahlen vor Augen führt, kann nur zu dem Ergebnis kommen, dass der weitere Ausbau des S- und U-Bahn-Netzes unverzichtbar ist“ – auch wenn Neubaustrecken teurer sind als bei der Tram, wie Schmitt eingesteht. „Die Straßenbahn kann und soll ihren Platz in Berlin haben. Sie ist eine sinnvolle Ergänzung des Berliner Verkehrsnetzes dort, wo U- und S-Bahnen von der Kapazität zu groß und Busse nicht ausreichend wären. Von den beiden Grünen-Senatorinnen wurde sie jedoch als ‚Waffe‘ gegen den Autoverkehr eingesetzt.“

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So seien Regine Günther und Bettina Jarasch auch beim Radverkehr vorgegangen, sagt Ingo Schmitt. Nicht die Instandsetzung vorhandener Anlagen war für sie prioritär, ihr Ziel waren Neubauten, die zulasten des motorisierten Individualverkehrs gingen. „Eine ausgewogene Verkehrspolitik war nicht gewollt; vielmehr schloss man sich mit den gegen das Auto gerichteten Initiativen und Vereinen, wie Changing Cities, Fuss e.V. oder dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) zusammen“, so der Christdemokrat.

„Jeder getötete Radfahrer, wie jeder Verkehrstote ist einer zu viel und zu beklagen“, betont er. Doch die Grünen-Senatorinnen hätten das Verkehrssicherheitsprogramm „Berlin Sicher Mobil 2020“ nicht einmal ansatzweise umgesetzt. Es sei weder fortgeschrieben noch aktualisiert worden, sondern lief einfach aus.

Schließlich kommt Ingo Schmitt auf den jetzigen CDU-SPD-Senat zu sprechen. „Die neue Senatorin Manja Schreiner bedarf keiner Schelte durch ehemalige Mitarbeiter, sondern verdient Anerkennung und Hochachtung“, stellt er fest. „Sie hat einen Scherbenhaufen vorgefunden.“ Schreiner müsse ihn nicht nur zusammenkehren, sondern auch „das bewusst provozierte Gegeneinander der Verkehrsteilnehmer wieder zu einem Miteinander entwickeln“. Schreiner habe die Aufgabe, Infrastrukturprojekte auf den Weg zu bringen, die den Berlinern dauerhaft Mobilität sichert.

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„Dazu gehört auch in diesem Jahrhundert weiterhin unzweifelhaft der motorisierte Individualverkehr“, erklärt Schmitt. Deshalb sei es richtig, die Stadtautobahn (A100) weiterzubauen, das Projekt Tangentiale Verbindung Ost zwischen Marzahn und Köpenick, kurz TVO, voranzubringen und ein leistungsfähiges Hauptstraßennetz sicherzustellen – „weitgehend mit Tempo 50“, wie der CDU-Mann betont. Er begrüßt es, dass der Senat an einem neuen Verkehrssicherheitsprogramm arbeite und eine Kampagne für mehr Verkehrssicherheit und Miteinander gestartet hat.

„Ja, Frau Schreiner hat sich viel, wahrscheinlich zu viel vorgenommen, wenn man die Planungsressourcen und die Finanzmittel hinterfragt“, gibt Schmitt zu bedenken. „Wenn man jedoch gutwillig an die Sache herangeht, dann ist hierin eine längst fällige Aufbruchstimmung in der Verkehrsplanung zu erkennen; auch wenn das eine oder andere Projekt doch nicht so schnell umgesetzt werden kann.“

Zum Schluss geht Schmitt noch einmal auf Friedemann Kunst ein. „Wenn ein ehemaliger Senatsplaner eine neue Strategie in der Verkehrsplanung einfordert und hierzu die Klimaveränderung bemüht, dann weiß man, wohin die Reise gehen soll.“

QOSHE - Ex-Staatssekretär: SPD und Grüne haben Berlin „verlorene Jahrzehnte“ beschert - Peter Neumann
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Ex-Staatssekretär: SPD und Grüne haben Berlin „verlorene Jahrzehnte“ beschert

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17.04.2024

Verkehrssenatorin von Berlin: Das ist kein Job, der jede Menge Ruhe und Seelenfrieden verspricht. Für Manja Schreiner (CDU), die dieses Amt vor fast einem Jahr übernommen hat, gehört Kritik von Radfahrern, Umweltverbänden und Klimaschützern zum Tagesgeschäft. Jetzt hat ein Parteifreund von der CDU, der lange Zeit in der Senatsverwaltung tätig war, Partei für die Senatorin ergriffen. Sie verdiene „Anerkennung und Hochachtung“, schreibt der frühere Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt in einem Beitrag für die Berliner Zeitung. Der Christdemokrat rechnet mit der Verkehrspolitik der SPD und der Grünen ab – und mit Friedemann Kunst.

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Immerhin: Mit dem Thema Magnetschwebebahn hält sich auch Ingo Schmitt gar nicht erst auf. Dieses Verkehrsmittel kommt in den Gedanken, die der 66 Jahre alte Christdemokrat für die Berliner Zeitung aufschrieb, nicht vor. Ansonsten macht der frühere Verkehrsstaatssekretär (1991 bis 1999) deutlich, dass er nicht nur mit der langjährigen Berliner Verkehrspolitik im Allgemeinen ein Problem hat – sondern auch mit Stadtplanern wie Friedemann Kunst im Besonderen.

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15.04.2024

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