Normalerweise hält sich Friedemann Kunst zurück, wenn es um heutige Akteure geht. Politiker und Planer zu kritisieren, die sich nach ihm mit Mobilität befassen – das ist nicht sein Ding. Doch jetzt konnte sich der langjährige Chef-Verkehrsplaner im Senat nicht mehr zurückhalten.

In einem Beitrag für die Berliner Zeitung geht er mit der Verkehrspolitik ins Gericht. Die Versprechungen, die sie den Bürgern schmackhaft machen soll, hätten kaum Chancen, verwirklicht zu werden, warnt Kunst. Berlins Verkehrspolitik brauche einen „neuen strategischen Ansatz“ – und eine „richtige Mischung aus schnell, mittelfristig und langfristig wirksamen Maßnahmen“.

Lange Zeit stritt Friedemann Kunst dafür, die A100 nach Treptow und später nach Friedrichshain zu verlängern. Auch als der damalige Senatsplaner aus dem Grünen-Spektrum Gegenwind spürte, blieb er ein Verfechter des Autobahnprojekts. Es entlaste die Innenstadt und erlaube es, Stadtstraßen zulasten des Autos umzubauen. Inzwischen hat er seine Meinung zu dem Thema teilweise geändert. Obwohl Kunst schon seit fast elf Jahren im Ruhestand ist, beobachtet er die Entwicklungen weiterhin sehr genau.

Friedemann Kunst, geboren 1948, kennt sich aus in der Hauptstadt. Der Stadt- und Verkehrsplaner hat in Stuttgart sowie in Berlin studiert, wo er an der Technischen Universität den Doktortitel erwarb. 1985 wechselte er in die Senatsverwaltung, wo er unterschiedliche Aufgaben übernahm. So wurde er im November 1989, kurz nach dem Mauerfall, in den Ost-Berliner Magistrat entsandt. Ab Ende 1990 war er für die Flächennutzungsplanung zuständig. Später wurden Verkehrsplanung und Verkehrspolitik seine Themen. Kunst leitete sechs Jahre die Abteilung Verkehr in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, bis er sich 2013 aus der Berufswelt zurückzog.

Das bedeutet nicht, dass der stets ruhig argumentierende gebürtige Schwabe die Hände in den Schoss legt. Als Mitglied des Präsidiums der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung sowie Vorsitzender der Landesgruppe Berlin-Brandenburg ist Friedemann Kunst ehrenamtlich aktiv. Immer wieder meldet er sich mit Publikationen zu Wort. Bislang verzichtete er aber meist darauf, sich auf diejenigen zu beziehen, die aktuell für die Mobilität in Berlin verantwortlich sind. Doch inzwischen ist Manja Schreiner (CDU) Senatorin. Kunsts jüngster Beitrag bezieht sich auch auf ihre Politik.

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31.03.2024

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Die Berliner Verkehrspolitik braucht Orientierung: So hat Kunst sein „Plädoyer für einen neuen strategischen Ansatz“ überschrieben. Zu Beginn erinnert er an die wichtigsten Botschaften, wie sie die schwarz-rote Koalition für den Rest der Legislaturperiode bis 2026 formuliert hat. Als da wären: Bei der Erweiterung des Berliner Schienennetzes solle der Schwerpunkt von der Straßenbahn auf die U-Bahn verlagert werden, beim Fahrradverkehr wird die Umsetzung vorbereiteter Projekte verzögert oder ausgesetzt. „Und beim Autoverkehr sollen sicherheits- und umweltbedingte Tempobeschränkungen im Hauptstraßennetz aufgehoben werden. Als Innovation wird die Prüfung der Einführung eines zusätzlichen ÖPNV-Systems Magnetschwebebahn verkündet.“

Sind diese Ziele realistisch? Wie viele werden in den kommenden zehn bis 15 Jahren erreicht? Bei seinem Blick in die mittelfristige Zukunft zeigt sich Kunst skeptisch. Das ist seine Prognose: „Nach langer Prüfung mussten die meisten der sieben neu aufgerufenen U-Bahnprojekte wieder fallen gelassen werden. Das Straßenbahnnetz ist nur wenig erweitert worden, weil die Planerinnen und Planer stark mit der U-Bahn beschäftigt waren. Der Nordosten wartet nach einem Vierteljahrhundert seit der ersten Feststellung des Bedarfs weiterhin auf leistungsfähige Netzergänzungen, obwohl dort große Stadterweiterungsprojekte inzwischen begonnen wurden. Die Planungen einer Magnetschwebebahn wurden nach kurzer Prüfung wieder zu den Akten gelegt.“

Die Qualität des Bahn- und Busangebotes in Berlin konnte viel weniger gesteigert werden, als es versprochen wurde, so die weitere Prognose. „Die Verbesserungen im Rad- und Fußverkehr sind weit hinter den verkündeten Ausbauplänen des Vorgänger-Senats zurückgeblieben. Viel öffentliche Verkehrsfläche steht dem Auto zur Verfügung, weiterhin überproportional zu seiner Bedeutung im Stadtverkehr. Ein Durchbruch in der Verkehrssicherheit ist nicht zu verzeichnen. Und der Beitrag des Verkehrs zum Klimaschutz liegt weit hinter den Zielen zurück“, befürchtet der Berliner Planer.

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Warum droht der heutigen Politik das Scheitern? Weil sie die finanziellen, rechtlichen und fachlichen Rahmenbedingungen nicht ausreichend berücksichtigt, erklärt Kunst. Er beginnt mit der Ressource Geld: „Die Zeichen sind überdeutlich, dass Investitionsmittel in den nächsten Jahren wieder knapp werden. Ehe in Erweiterungsprojekte investiert werden kann, müssen ein milliardenschwerer Sanierungsstau aufgelöst, Bauwerke für Bahnen und Straßen neu gebaut, Betriebshöfe und Abstellanlagen erweitert werden. Zusätzliche Infrastruktur, vor allem für die U- und die S-Bahn, ist sehr teuer, substanzielle Erweiterungen erreichen schnell eine Milliardendimension. Straßenbahnen wären für weniger als ein Zehntel der U-Bahn-Kosten zu bauen.“

Dann kommt der Planer auf die Ressourcen Personal und Zeit zu sprechen. „Oft wird vergessen, dass auch qualifiziertes Planungspersonal begrenzt verfügbar ist. Es besteht sogar die Gefahr, dass die in den letzten Jahren mühsam erweiterte Personalkapazität wieder reduziert werden muss“, erklärte er. Auch der Zeitfaktor sei ein Engpassfaktor ersten Ranges. Infrastrukturplanungen folgen komplexen rechtlichen Vorgaben. Selbst für den Fall, dass die Politik Projekte beschleunigen kann, werden sie viele Jahre benötigen – U-Bahnprojekte mindestens doppelt so lang wie Straßenbahnprojekte.

Zeit wird aber zunehmend zum knappen Gut, weil die Erderwärmung beschleunigt fortschreitet. „Was nützt eine kleinräumige Erweiterung des U-Bahnnetzes, die in vielleicht 15 Jahren und später in Betrieb geht, wenn wir bereits innerhalb dieses Zeitraumes deutliche Verbesserungen der Angebotsqualität im gesamten ÖPNV brauchen? Für gleiches Geld und geringere Folgekosten könnten mindestens zehnmal mehr Straßenbahn- als U-Bahnstrecken gebaut werden!“ Da mit dem Geld große Wirkungen erzeugt werden müssen, werde auch das „Innovationsprojekt“ Schwebebahn wegen eines zu schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnisses nicht lange überleben.

Was folgt für die heutigen Akteure? „Der Senat wäre gut beraten, eine Strategie neu aufzusetzen, die seine übergeordneten verkehrspolitischen Ziele und Zielkonflikte klärt und mit einem zeitlich gestaffelten Handlungsprogramm untersetzt“, riet Kunst. „Überfällig ist ein vermittelbares, von einer breiten Stadtgesellschaft getragenes verkehrspolitisches Leitbild, das natürlich für die Stadtmitte anders ausfallen muss als für den Berliner Nordosten oder Westen.“ Die Bürger hätten ein Recht darauf, zu erfahren, welche Rolle das private Auto in den kommenden Jahrzehnten spielt.

„Verkehrspolitik ist Breitensport“ – davon ist Friedemann Kunst überzeugt. „Jede und jeder hat Erfahrungen im Verkehr, und ist mit Lösungsvorschlägen schnell zur Stelle. Deshalb spielen Kommunikation und passende Beteiligungsstrategien eine wichtige Rolle.“ Doch es könne nicht das Ziel sein, einzelne Interessen eins zu eins umzusetzen. Politik und Planer müssten allgemeine Belange berücksichtigen.

„Verkehrspolitische Verantwortung erfordert aber vor allem auch den Mut, sich an Fakten zu orientieren und Einzelinteressen von Interessen des Gemeinwohls zu unterscheiden“, so der Berliner Planer. „Die aktuelle Situation unseres Globus wie die konkreten Herausforderungen für Berlin erfordern es, auch gegen die öffentliche Meinung manche Gewohnheit und manches Privileg zu überprüfen, notwendige Veränderungen zu erklären und gegebenenfalls mit neuen Regeln umzusetzen.“

QOSHE - Ex-Chefplaner: Warum die Berliner Verkehrspolitik vor die Wand fährt - Peter Neumann
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Ex-Chefplaner: Warum die Berliner Verkehrspolitik vor die Wand fährt

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02.04.2024

Normalerweise hält sich Friedemann Kunst zurück, wenn es um heutige Akteure geht. Politiker und Planer zu kritisieren, die sich nach ihm mit Mobilität befassen – das ist nicht sein Ding. Doch jetzt konnte sich der langjährige Chef-Verkehrsplaner im Senat nicht mehr zurückhalten.

In einem Beitrag für die Berliner Zeitung geht er mit der Verkehrspolitik ins Gericht. Die Versprechungen, die sie den Bürgern schmackhaft machen soll, hätten kaum Chancen, verwirklicht zu werden, warnt Kunst. Berlins Verkehrspolitik brauche einen „neuen strategischen Ansatz“ – und eine „richtige Mischung aus schnell, mittelfristig und langfristig wirksamen Maßnahmen“.

Lange Zeit stritt Friedemann Kunst dafür, die A100 nach Treptow und später nach Friedrichshain zu verlängern. Auch als der damalige Senatsplaner aus dem Grünen-Spektrum Gegenwind spürte, blieb er ein Verfechter des Autobahnprojekts. Es entlaste die Innenstadt und erlaube es, Stadtstraßen zulasten des Autos umzubauen. Inzwischen hat er seine Meinung zu dem Thema teilweise geändert. Obwohl Kunst schon seit fast elf Jahren im Ruhestand ist, beobachtet er die Entwicklungen weiterhin sehr genau.

Friedemann Kunst, geboren 1948, kennt sich aus in der Hauptstadt. Der Stadt- und Verkehrsplaner hat in Stuttgart sowie in Berlin studiert, wo er an der Technischen Universität den Doktortitel erwarb. 1985 wechselte er in die Senatsverwaltung, wo er unterschiedliche Aufgaben übernahm. So wurde er im November 1989, kurz nach dem Mauerfall, in den Ost-Berliner Magistrat entsandt. Ab Ende 1990 war er für die Flächennutzungsplanung zuständig. Später wurden Verkehrsplanung und Verkehrspolitik seine Themen. Kunst leitete sechs Jahre die Abteilung Verkehr in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, bis er sich 2013 aus der Berufswelt zurückzog.

Das bedeutet nicht, dass der stets ruhig argumentierende gebürtige Schwabe die Hände in den Schoss legt. Als Mitglied des Präsidiums der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung sowie........

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