Die meisten Fahrgäste auf der Regionalexpresslinie RE1 gehen achtlos daran vorbei. Aber einige fragen sich schon: Was bedeuten eigentlich die Buchstaben A und B, die an einigen Wagentüren kleben? Um das Geheimnis zu lüften und die Kundschaft aufzuklären, hat die Ostdeutsche Eisenbahn (Odeg) zu einem ziemlich großen Medien- und Politikertermin eingeladen. Dabei wurde auch klar, dass die Fahrzeugplaner auf eine Misere reagiert haben, die Fahrgästen immer wieder zu schaffen macht. Zudem wurde deutlich, dass trotz der Anstrengungen auf der RE1 weiter nicht alles Gold ist.

Worum geht es? Um Barrierefreiheit. Darum, dass Fahrgäste im Rollstuhl, mit Rollator, Kinderwagen und schwerem Gepäck bequem ein- und aussteigen können. Deshalb warten Rollstuhlfahrer, Blinde und andere Menschen mit Einschränkungen am Montag an Gleis 4 des Hauptbahnhofs Brandenburg an der Havel auf ihren Einsatz als Testpersonen. Nicht nur Brandenburgs Verkehrsminister Rainer Genilke und Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner (beide CDU) sind da, auch Graf Fidi, ein Rapper, der im Rollstuhl sitzt. Er wird später ein Auftragswerk zum Besten geben: „A oder B – alles andere passé“.

A und B: In der Tat geht es um diese Buchstaben. Zwar sind die 27 Elektrotriebzüge vom Typ Siemens Desiro HC, an denen sie prangen, schon seit Dezember 2022 auf der Linie RE1 unterwegs. Zwischen Magdeburg, Brandenburg, Potsdam, Berlin sowie Frankfurt (Oder) gehören sie zu den weiß, gelb und grün lackierten Fahrzeugen. Was kaum jemand weiß: Die Großbuchstaben sollen Fahrgästen mit Mobilitätseinschränkungen dabei helfen, den für sie bequemsten Ein- und Ausstieg zu finden – je nachdem, wie hoch die Bahnsteige entlang der stark frequentierten Ost-West-Strecke sind.

Beträgt die Höhe 55 Zentimeter, sollten Fahrgäste im Rollstuhl oder mit großem Gepäck die A-Türen nutzen. Ist der Bahnsteig 76 Zentimeter hoch, werden die B-Türen empfohlen, wenn man möglichst stufenfrei ein- und aussteigen möchte. Im Zug weist die Fahrgastinformation darauf hin, welche Türen beim nächsten Halt die richtigen sind. Manchmal zeigen die Monitore auch an, dass „falsche“ Ein- und Ausgänge zu bleiben – wenn der Höhenunterschied zu groß wäre. Mit 1,40 Meter sind die Türen breiter als sonst. In der Nähe befinden sich zwölf Quadratmeter große Mehrzweckbereiche sowie Behindertentoiletten. Die Wagen, um die es geht, befinden sich in der Mitte des Zuges. Allerdings: Auf den Bahnhöfen gibt es keine Informationen zu diesem Thema.

•vor 2 Std.

•vor 2 Std.

22.03.2024

•gestern

gestern

Fußballfans randalieren im Zug Berlin–Magdeburg: Jetzt droht der ODEG auch noch eine Strafe

•vor 2 Std.

Mit der Bahn von Berlin an die Ostsee: Diese Entlastungszüge sind geplant

15.03.2024

Was es in der Schweiz bereits gibt, hat der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) für die RE1 durchgesetzt: unterschiedliche Einstiegshöhen. „Innovativ“, meinte Minister Genilke. „Dieser Zug ist ein perfektes Beispiel für Inklusion im Alltag“, lobte Senatorin Schreiner. „Wir sind stolz auf die neuartigen barrierefreien Einstiegsbereiche“, sagte Elmar Zeiler, Leiter Regionalzüge bei Siemens Mobility. Drei Prozent der Menschen werden behindert geboren, im Alter müssen 20 Prozent mit Einschränkungen zurechtkommen, so Janny Armbruster, Beauftragte für die Belange der Menschen mit Behinderungen des Landes Brandenburg. Es gebe also Bedarf für innovative Lösungen.

„Herzlich willkommen, sag dem Hublift ade. Verschiedene Höhen machen das Leben leichter, barrierefreier Ein- und Ausstieg A oder B“, rappt Graf Fidi, als der Sonderzug abfuhr. Die Reise ist allerdings ziemlich kurz: Sie führt von Gleis 4 zum Gleis 3 des Brandenburger Hauptbahnhofs. Und hier beginnt die nächste Geschichte. Denn an Gleis 4 ist der Bahnsteig 55 Zentimeter hoch, an Gleis 3 sind es dagegen 76 Zentimeter. Zwei unterschiedliche Bahnsteighöhen in einem einzigen Bahnhof!

Fahrgastverbände, Bahnexperten und andere Beobachter monieren schon seit langem, dass die Bahnsteighöhen differieren und Schienenfahrzeuge nicht immer dazu passen. Wer mit schwerem Gepäck mit einem Regionalzug der Deutschen Bahn (DB) zum BER fährt, bekommt dies zu spüren: Der Bahnsteig ist 76 Zentimeter hoch, doch der Einstieg ist höher oder tiefer – je nachdem, welches Fahrzeug eingesetzt wird. Auch in vielen anderen Stationen ist beim Ein- oder Ausstieg eine Stufe zu überwinden. Sie kann etwa für Menschen im Rollstuhl zur unüberwindbaren Barriere werden.

Es ist ein europaweites Problem. Fahrgastvertreter haben herausgefunden, dass es nicht nur in Deutschland Fahrgäste nervt, Reisen erschwert oder verhindert. Die Europäische Union lasse verschiedene Höhen zu – 103, 96, 76, 55, 38 Zentimeter und weniger. Im nationalen deutschen Recht schreibe die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung 76 Zentimeter als Regelhöhe vor. Darauf hat zum Beispiel DB Fernverkehr den ICE und andere Fahrzeuge abgestimmt. Deshalb weist im Brandenburger Hauptbahnhof der Bahnsteig an den Gleisen 2 und 3 diese Höhe auf – dort halten planmäßig Fernzüge.

Allerdings sind auch in Berlin und Brandenburg Regionalzüge unterwegs, die für 55 Zentimeter geplant wurden. Nicht nur der VBB hat diese Anforderungen in vergangenen Jahren in seine Ausschreibungen geschrieben, auch angrenzende Verkehrsverbünde, etwa im angrenzenden Sachsen. „Es ist ein Glaubenskrieg“, klagte ein Bahn-Insider.

Zwar können Zugbegleiter Höhenunterschiede mit Rampen überwinden. Doch es bleibt der Eindruck eines Flickenteppichs. Um das unausrottbare Manko auszugleichen, fordert der Verkehrsverbund für künftige Neufahrzeuge, dass sie ebenfalls unterschiedliche Einstiegshöhen gewährleisten. „Der RE1 ist unser Schrittmacher“, sagt VBB-Planer Thomas Dill. Bereits ab kommendem Dezember sind auf zwei Regionalbahnlinien in Mecklenburg-Vorpommern solche Fahrzeuge unterwegs. Ab Ende 2026 werden auch die neuen Züge für die Linie RE3 nach Stralsund 55- und 76-Zentimeter-Einstiege haben.

Brandbrief an die DB: Warum sich die Ostdeutsche Eisenbahn diskriminiert fühlt

22.03.2024

Neue VBB-Chefin: „Wir könnten in Berlin eine Magnetschwebebahn testen“

24.05.2023

Wie läuft an diesem Montag der Praxistest? Eine Rollstuhlfahrerin spricht sich für mehr Informationen aus. „Kein Mensch weiß, was A und B bedeuten“, sagt sie – und schlägt vor, die Buchstaben mit Rollstuhl-Piktogrammen zu ergänzen. Beim Ein- und Aussteigen hilft Minister Genilke, doch eine Stufe bleibt zu überwinden – auch wenn sie nur wenige Zentimeter hoch ist. Der Grund: Die Mehrzweckabteile befinden sich in Doppelstockwagen. Würden die Türen zu weit in den oberen Bereich ragen, müsste im zweiten Stock auf Sitzplätze verzichtet werden. Um das zu vermeiden, wurden die Türbereiche leicht abgesenkt. Die Schwellen liegen nun knapp unter der Bahnsteigkante.

In anderen Wagen desselben Zuges befinden sich die Ein- und Ausstiege exakt in Bahnsteighöhe. Passen beide zueinander, ist kein Millimeter Höhenunterschied zu überwinden. Aber dort sind die Türen schmaler, und es sind keine großen Mehrzweckbereiche oder Behindertentoiletten in der Nähe.

Thomas Schirmer ist Pressesprecher des Landesverbands Berlin/Brandenburg von Pro Bahn – und blind. Er sieht es positiv, dass die Odeg nun unter dem Motto „Inklusion intelligent integriert“ darüber informiert, was hinter den Buchstaben A und B steckt. „Aber es wird sicher noch dauern, bis es sich herumspricht“, sagt er.

QOSHE - Endlich aufgeklärt: Das Geheimnis der beiden Buchstaben am Zug nach Berlin - Peter Neumann
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Endlich aufgeklärt: Das Geheimnis der beiden Buchstaben am Zug nach Berlin

6 28
25.03.2024

Die meisten Fahrgäste auf der Regionalexpresslinie RE1 gehen achtlos daran vorbei. Aber einige fragen sich schon: Was bedeuten eigentlich die Buchstaben A und B, die an einigen Wagentüren kleben? Um das Geheimnis zu lüften und die Kundschaft aufzuklären, hat die Ostdeutsche Eisenbahn (Odeg) zu einem ziemlich großen Medien- und Politikertermin eingeladen. Dabei wurde auch klar, dass die Fahrzeugplaner auf eine Misere reagiert haben, die Fahrgästen immer wieder zu schaffen macht. Zudem wurde deutlich, dass trotz der Anstrengungen auf der RE1 weiter nicht alles Gold ist.

Worum geht es? Um Barrierefreiheit. Darum, dass Fahrgäste im Rollstuhl, mit Rollator, Kinderwagen und schwerem Gepäck bequem ein- und aussteigen können. Deshalb warten Rollstuhlfahrer, Blinde und andere Menschen mit Einschränkungen am Montag an Gleis 4 des Hauptbahnhofs Brandenburg an der Havel auf ihren Einsatz als Testpersonen. Nicht nur Brandenburgs Verkehrsminister Rainer Genilke und Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner (beide CDU) sind da, auch Graf Fidi, ein Rapper, der im Rollstuhl sitzt. Er wird später ein Auftragswerk zum Besten geben: „A oder B – alles andere passé“.

A und B: In der Tat geht es um diese Buchstaben. Zwar sind die 27 Elektrotriebzüge vom Typ Siemens Desiro HC, an denen sie prangen, schon seit Dezember 2022 auf der Linie RE1 unterwegs. Zwischen Magdeburg, Brandenburg, Potsdam, Berlin sowie Frankfurt (Oder) gehören sie zu den weiß, gelb und grün lackierten Fahrzeugen. Was kaum jemand weiß: Die Großbuchstaben sollen Fahrgästen mit Mobilitätseinschränkungen dabei helfen, den für sie bequemsten Ein- und Ausstieg zu finden – je nachdem, wie hoch die Bahnsteige entlang der stark frequentierten Ost-West-Strecke sind.

Beträgt die Höhe 55 Zentimeter, sollten Fahrgäste im Rollstuhl oder mit großem Gepäck........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play