Das Schreiben wurde mit aller nötigen Höflichkeit verfasst. Doch es lässt sich auch als Brandbrief lesen. Die Ostdeutsche Eisenbahn (Odeg) ist darüber verstimmt, dass wichtige Infrastrukturprojekte nicht vorangehen, und hat diesem Ärger nun Luft gemacht. In ihrer Mail an die Deutsche Bahn (DB) geht es nicht um neue Strecken, Brücken und andere große Vorhaben. Die Folgen sind trotzdem beträchtlich. Anwohner müssen noch lange die Geräusche von Dieselmotoren ertragen, Züge zum Tanken Umwege fahren. Um Fäkalien abzupumpen und Wasser aufzufüllen, fehlt es an Anlagen.

Weiß, Grün und Gelb: Das sind die Farben der Odeg, die einer der größten Betreiberinnen von Regionalzügen neben der DB ist. Sie gehört je zur Hälfte der Prignitzer Eisenbahn, die Teil der italienischen Netinera-Gruppe ist, und der Benex, die einem britischen Infrastrukturfonds gehört. Die Triebzüge sind auf 13 Strecken in Ostdeutschland unterwegs. Star-Route ist die Regionalexpresslinie RE1, die die Region von Ost nach West durchmisst. Die Elektrotriebzüge, die dort jährlich 6,4 Millionen Kilometer zurücklegen, halten unter anderem in Magdeburg, Brandenburg an der Havel, Potsdam, Berlin sowie Frankfurt (Oder). Die Odeg steuert aber auch andere Ziele an – etwa Nauen, Wismar, Jüterbog, Rathenow, Rostock und das Ostseebad Binz.

Wie andere Zugbetreiber auch nutzt das Parchimer Unternehmen gegen Entgelt Gleise, Bahnhöfe und andere Anlagen, die der bundeseigenen DB gehören. Normalerweise ist es so, dass beide Seiten aufkommende Themen auf Arbeitsebene besprechen. Doch der Brief vom 7. März ist eine Ausnahme. Denn er richtet sich an die Chefs: Alexander Kaczmarek, seines Zeichens Konzernbevollmächtigter der DB für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie Tobias Heinemann, Konzernbeauftragter für die DB InfraGo. Diese Bahntochter ist für das Netz zuständig, auf dem die Odeg unterwegs ist.

Warum die Odeg diesen Weg beschreitet, geht aus der Betreffzeile des Schreibens hervor: „Fehlender Nachdruck und Schwergang in der Infrastruktur“. Anders gesagt: Vieles geht nicht voran, und das kostet das Unternehmen Zeit und Geld, die Fahrgäste Qualität – sowie alle Beteiligten Nerven. Dazu können auch Anwohner zählen.

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„In unserem Brief an die Verantwortlichen der DB haben wir darauf hingewiesen, dass wichtige Projekte nicht vorankommen oder noch gar nicht begonnen haben“, sagte Geschäftsführer Lars Gehrke der Berliner Zeitung auf Anfrage. Während sich Gehrke um Zurückhaltung bemüht, ist auch anderes zu vernehmen. Mit dem Vorwurf der Diskriminierung sollte man vorsichtig sein, aber: „Wir werden klar diskriminiert.“

Ein Beispiel, das in dem dreiseitigen Brief genannt wird, ist der Bahnhof Berlin-Wannsee. Dort endet die Regionalbahnlinie RB37, auf denen die Odeg Triebwagen des Typs Alstom Coradia Lint einsetzt. Seit Herbst 2021 bemüht sich der Zugbetreiber darum, dass der Netzbereich der Bahn das Abstellgleis Nummer 341 außer mit Beleuchtung und Einstiegshilfen auch mit einem Elektranten versieht. Das Gerät soll die Dieselfahrzeuge, die dort pausieren, mit Strom versorgen. „Dies würde Anwohnern die Belastungen ersparen, die durch laufende Dieselmotoren entstehen“, erklärte Lars Gehrke.

„Leider kommt das Projekt nicht voran“, bedauerte der Odeg-Chef. „Die DB hat uns die Inbetriebnahme für 2026 angekündigt.“ Weil zwischenzeitlich die Finanzierung fehlte, wurde das Projekt gestoppt, sodass alle Planungen ausgesetzt wurden. „Dagegen wurde das Kehrgleis, das Gleis 326, das sich unser Mitbewerber gewünscht hat, rasch gebaut.“

In dem Schreiben der Odeg geht es auch um den Bahnhof Wismar. Er ist die nördliche Endstation der langen Regionalexpresslinie RE8, die am Flughafen BER beginnt und unter anderem Berlin, Nauen, Wittenberge und Schwerin erschließt. Die vierteiligen Elektrotriebzüge vom Typ Stadler Kiss sind fast immer voll – mit der Folge, dass auch die Zugtoiletten stark frequentiert werden. In Wismar, wo die Fahrzeuge laut Plan 47 Minuten pausieren, ist genug Zeit, um Fäkalien zu entsorgen und Wassertanks aufzufüllen. Doch die meist dringend nötigen Arbeiten gestalten sich schwierig.

„Am Endpunkt der Linie RE8 in Wismar wollen wir eine WC-Ver- und Entsorgungsanlage errichten, damit wir die Sanitäranlagen befüllen und Probleme mit gestörten Toiletten beheben können“, erläuterte Lars Gehrke. „Wir haben mehrmals betont, dass wir die Anlage auf eigene Kosten errichten. Doch seit 2022 wartet die Odeg auf eine Gestattung der DB, damit wir eine vier Quadratmeter große Wiese nutzen können.“ Folge sei ein ziemlich aufwendiges Ersatzverfahren: „Zurzeit fährt jeden Tag ein Lkw aus Lübeck nach Wismar, um Fäkalien abzupumpen und die Sanitäranlagen in unseren Zügen mit frischem Wasser zu versorgen. Die Kosten zahlen wir.“

Um Wasser geht es auch im Bahnhof Brandenburg an der Havel. Thema ist in diesem Fall die Frischwasserversorgung, die 2022 ausgefallen ist und von DB InfraGo repariert werden müsste. „Eigentlich muss nur ein Loch gebuddelt werden, damit die Wasserleitung geflickt werden kann. Aber auch das zieht sich“, erklärte der Odeg-Chef. Die Arbeiten könnten frühestens im kommenden Sommer starten. „Jeden Tag bringt ein Dienstleister ca. 10.000 Liter Frischwasser, die in unsere Züge gepumpt werden.“

Auch der Bahnhof Frankfurt (Oder) ist in dem Brandbrief ein Thema. Er spielt für die Linie RE1, die mit Elektrotriebzügen vom Typ Siemens Desiro HC zum Teil im 20-Minuten-Takt betrieben wird, eine wichtige Rolle. „Dort sollte eine große Abstellanlage mit WC-Ver- und Entsorgung sowie mit Technik zur Innenraumreinigung gebaut werden, damit wir das mit dem Verkehrsverbund vereinbarte Betriebsprogramm im Netz Elbe-Spree abwickeln können“, erklärte Gehrke. Zuständig wäre auch hier die InfraGo. Dieses Vorhaben ist schon etwas älter: Die Erstbegehung des Areals fand Juli 2019 statt.

„Doch obwohl wir schon seit Dezember 2022 auf der Linie RE1 unterwegs sind, gibt es diese Anlage immer noch nicht. Folge für uns ist, dass wir einen Teil unserer Züge nach Eisenhüttenstadt fahren müssen. Das war nie kalkuliert und muss auf eigene Kosten erbracht werden“, gab er zu bedenken.

An einem anderen Bahnhof würde die Odeg wie in Wismar selbst das nötige Geld in die Hand nehmen. „In Jüterbog möchten wir seit rund drei Jahren eine Dieseltankstelle für unsere Lint-Dieseltriebwagen bauen, damit sie nicht mehr zur DB nach Seddin zum Tanken fahren müssen“, stellte Gehrke dar. „Wir haben das Grundstück zwar erworben, aber die DB hat die Leitungsanpassungen bislang nicht genehmigt. Im September 2023 haben wir den Antrag erneut gestellt, aber eine Antwort gab es bislang nicht.“

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In einer wichtigen Bahnstation in Mecklenburg-Vorpommern möchte die Odeg ihren Reisenden weite Fußwege künftig ersparen. Im Stralsunder Hauptbahnhof halten ihre Züge „kundenunfreundlich außerhalb des Dachbereiches und unmittelbar am Bahnsteigende, sodass Fahrgäste fast die komplette Bahnsteiglänge zum Ausgang und Umstieg ablaufen müssen“, heißt es in dem Brief an die Bahn. Damit die Fahrzeuge näher zum Ausgang halten dürfen, müssten Ergebnisse einer Berechnung umgesetzt werden – das stünde jedoch immer noch aus, bedauerte der Zugbetreiber.

Lars Gehrke und seine Mitstreiter möchten nicht falsch verstanden werden. Sie wissen, wie aufwendig und kompliziert selbst kleine Projekte sein können. Und sie stellen nicht in Abrede, dass sich viele Beteiligte bei der DB und anderen Stellen engagieren.

Trotzdem zeigen die genannten Beispiele aus Berlin und Brandenburg, „dass nicht der Gesetzgeber allein hinsichtlich mehr Tempo und Bürokratieabbau gefragt ist, sondern aus unserer Sicht auch der Infrastrukturbetreiber selbst, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen und dem ‚Markt‘ anzubieten“, so die Odeg. So gebe es keine Möglichkeit, als Kunde offiziell Kontakt zu DB Immobilien aufzunehmen. In der kundenorientierten Zusammenarbeit sei erforderlich, Strukturen und Schnittstellen neu zu denken, regt der Regionalzugbetreiber in seinem Brief an. Bei der Odeg weiß man: Auch andere DB-Wettbewerber haben ihre Probleme mit der Bahn.

Immerhin: Das Schreiben ist bei der Bahn eingegangen. „Wir bestätigen den Sachverhalt“, teilte ein Bahnsprecher auf Anfrage mit. „Herr Kaczmarek und Herr Heinemann werden sich dazu äußern. Inhaltlich können wir dem aber nicht vorgreifen.“

QOSHE - Brandbrief an die DB: Warum sich die Ostdeutsche Eisenbahn diskriminiert fühlt - Peter Neumann
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Brandbrief an die DB: Warum sich die Ostdeutsche Eisenbahn diskriminiert fühlt

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20.03.2024

Das Schreiben wurde mit aller nötigen Höflichkeit verfasst. Doch es lässt sich auch als Brandbrief lesen. Die Ostdeutsche Eisenbahn (Odeg) ist darüber verstimmt, dass wichtige Infrastrukturprojekte nicht vorangehen, und hat diesem Ärger nun Luft gemacht. In ihrer Mail an die Deutsche Bahn (DB) geht es nicht um neue Strecken, Brücken und andere große Vorhaben. Die Folgen sind trotzdem beträchtlich. Anwohner müssen noch lange die Geräusche von Dieselmotoren ertragen, Züge zum Tanken Umwege fahren. Um Fäkalien abzupumpen und Wasser aufzufüllen, fehlt es an Anlagen.

Weiß, Grün und Gelb: Das sind die Farben der Odeg, die einer der größten Betreiberinnen von Regionalzügen neben der DB ist. Sie gehört je zur Hälfte der Prignitzer Eisenbahn, die Teil der italienischen Netinera-Gruppe ist, und der Benex, die einem britischen Infrastrukturfonds gehört. Die Triebzüge sind auf 13 Strecken in Ostdeutschland unterwegs. Star-Route ist die Regionalexpresslinie RE1, die die Region von Ost nach West durchmisst. Die Elektrotriebzüge, die dort jährlich 6,4 Millionen Kilometer zurücklegen, halten unter anderem in Magdeburg, Brandenburg an der Havel, Potsdam, Berlin sowie Frankfurt (Oder). Die Odeg steuert aber auch andere Ziele an – etwa Nauen, Wismar, Jüterbog, Rathenow, Rostock und das Ostseebad Binz.

Wie andere Zugbetreiber auch nutzt das Parchimer Unternehmen gegen Entgelt Gleise, Bahnhöfe und andere Anlagen, die der bundeseigenen DB gehören. Normalerweise ist es so, dass beide Seiten aufkommende Themen auf Arbeitsebene besprechen. Doch der Brief vom 7. März ist eine Ausnahme. Denn er richtet sich an die Chefs: Alexander Kaczmarek, seines Zeichens Konzernbevollmächtigter der DB für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie Tobias Heinemann, Konzernbeauftragter für die DB InfraGo. Diese Bahntochter ist für das Netz zuständig, auf dem die Odeg unterwegs ist.

Warum die Odeg diesen Weg beschreitet, geht aus der Betreffzeile des Schreibens hervor: „Fehlender Nachdruck und Schwergang in der Infrastruktur“. Anders gesagt: Vieles geht nicht voran, und das kostet das Unternehmen Zeit und Geld, die Fahrgäste Qualität – sowie alle Beteiligten Nerven. Dazu........

© Berliner Zeitung


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