Willst du was gelten, mache dich selten! Bestimmt nicht am heutigen Valentinstag – aber diese vermeintliche Lebensweisheit wird gern ins Feld geführt, wenn man der Meinung ist, man könne seinen Marktwert erhöhen, indem man sich zurückzieht und eine – vielleicht auch nur angenommene – Nachfrage nicht bedient.

Die Idee dahinter ist ein einfaches Schwer-zu-kriegen-Spiel. Doch geht das auf? Diplom-Psychologin sowie Single- und Paarberaterin Anja Wermann kennt sich damit aus. In ihre Kreuzberger Praxis kommen auch Menschen, die geghostet wurden, wo also eine Person ohne Vorzeichen und ohne ein Wort zu sagen, einfach verschwindet.

Früher hat man sich zu einem Rendezvous verabredet und dann geguckt, wie es ist, was passiert und ob sich etwas daraus entwickelt. Die Aufregung und die Unsicherheit waren die gleichen, allerdings gab es nicht so viele Vorschriften wie heute.

Ganze Regalreihen kann man mit Dating-Ratgebern füllen, in denen Männern und Frauen erklärt wird, was sie beachten sollen, wenn sie auf der Suche nach der großen Liebe sind.

Und so bilden sich auch viele Mythen rund um die Regeln, von denen niemand so genau weiß, wer sie eigentlich festgelegt hat und warum sie existieren. Tue dies, lass jenes – bringt das wirklich was? Kann man durch bestimmte Verhaltensweisen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der oder die andere sich in einen verliebt?

gestern

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12.02.2024

11.02.2024

12.02.2024

Ein Rat, der vielen erteilt wird, lautet: Melde dich bloß nicht zu schnell, sonst wird er oder sie denken, du wärst total verzweifelt auf der Suche. Das schreckt ab. Wenn du aber damit wartest, dich zu melden, macht dich das interessant.

Ein derartiges Vorgehen findet Psychologin Anja Wermann Quatsch: „Man kann sich nicht künstlich interessant machen. Entweder hat die andere Person Interesse, und dann wird sie sich über eine Nachricht oder einen Anruf freuen. Oder aber sie hat kein Interesse, und dann bringt die beste Taktik nichts.“

Eigentlich ist es heute normal, dass sich man kurz nach dem Verabschieden schreibt, dass es schön war. Eine nette kleine Geste, um das Date abzurunden und mit einem guten Gefühl nach Hause zu fahren. Wer mit einer Antwort lange wartet, könnte den oder die andere verunsichern.

„Man sollte sich generell überlegen, ob man sich in der Kennenlernphase verstellen möchte, weil man das im Zweifel ja sonst weiterhin durchziehen müsste und dann in der Beziehung gar nicht so sehr man selbst sein kann“, gibt die Singleberaterin zu bedenken.

Grundsätzlich geht es ja darum, beim Daten herauszufinden, ob man zueinander passt. Und da kann das Texten und Telefonieren schon ein guter Gradmesser sein.

Denn „es gibt Menschen, die nicht gern schreiben und telefonieren“, so Wermann. „Das muss dann kein Desinteresse sein, sondern einfach die Art dieser Person.“ Die Kunst sei es schließlich, herauszufinden, ob man trotzdem matcht und wie das gegensätzliche Verhalten miteinander zu vereinen ist.

Also: Melden Sie sich ruhig, wenn Sie möchten. Das ist in Ordnung und wird Sie nicht weniger interessant machen. Verstellen Sie sich nicht. Das ist anstrengend und wird auf lange Sicht keinen Erfolg haben. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie müssten taktieren, um den oder die andere bei Laune zu halten, sollten Sie eher nach jemand anderem suchen.

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Wenn Sie finden, es läuft wie am Schnürchen – Sie verstehen sich gut, können zusammen lachen und stundenlang quatschen, fühlen sich zueinander hingezogen –, kurzum, wenn Sie finden, es passt, dann knutschen Sie doch einfach!

„Wer sich zueinander hingezogen fühlt, muss sich nicht künstlich zurückhalten, um irgendwelchen vermeintlichen Normen gerecht zu werden“, sagt Wermann. „Solange es sich stimmig anfühlt, ist auch beim ersten Date nichts gegen das Küssen zu sagen.“

Gleiches gilt auch fürs Nicht-Küssen. Wenn Sie nicht wollen, dürfen Sie das selbstverständlich sagen. Und wenn Sie Lust darauf haben, ebenso. „Selbstrespekt und Haltung machen attraktiv“, weiß die Psychologin. „Jede Entscheidung, die man aus einer Haltung heraus trifft, lässt die Person attraktiver wirken. Es zeigt, dass sie Standards hat, einen Wertekompass.“

Ähnlich wie schon beim Küssen gilt: Hören Sie in sich hinein, ob es sich richtig anfühlt. Fragen Sie sich, was Ihre Motivation ist. Gibt es Hintergedanken, Ängste, Bedenken? Dann sollten Sie es lieber sein lassen.

„Wenn Sie mit jemandem schlafen, weil sie glauben, es würde erwartet oder die andere Person könnte sonst das Interesse verlieren, wäre das wohl die falsche Motivation“, sagt Anja Wermann. „Tun Sie nichts, worauf Sie keine Lust haben. An der Reaktion des anderen können Sie dann viel ablesen. Das ist ein guter Filter.“

Umgekehrt gilt: Sofern Sie einfach nur Lust auf Sex haben, sollten Sie sich nicht künstlich zurückhalten. Gerade Frauen fürchten, als Schlampe gesehen zu werden, wenn sie zu schnell mit jemandem ins Bett gehen. Die Psychologin rät zu Selbstbewusstsein: „Wenn er das über Sie denkt, sollten Sie die Finger von dem Mann lassen.“

Einer möglichen Partnerschaft steht der Sex generell nicht im Wege. Denn wer zeitig Sex mit einem Date hat, kann trotzdem die Liebe finden. Viele Paare seien schon so entstanden, weiß die Expertin.

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Das Thema Kinderwunsch ist selbst bei langjährigen Paaren mitunter heikel, was vor allem daran liegt, dass man keinen wirklichen Kompromiss finden kann. Entweder will man ein Kind, oder eben nicht. Es gibt keinen Mittelweg.

Insofern ist es vom Ansatz her eine gute Idee, relativ zu Beginn zu klären, was der oder die andere sich wünscht. „Allerdings hat es wenig Sinn, wenn man mit Anfang 20 sagt, dass man in zehn Jahren gern eine Familie hätte“, so Anja Wermann. „Das kann man auf sich zukommen lassen und zu einem späteren Zeitpunkt besprechen.“

Anders ist es bei Frauen mit Mitte 30. Wenn man das Gefühl hat, es wird langsam knapp, „ist es umso wichtiger zu schauen, ob der Mann sich auch eine Familie wünscht und in welchem Zeitraum er sich das vorstellen kann“, sagt die Paar-Therapeutin.

Da Frauen mit zunehmendem Alter weniger fruchtbar werden, schließt sich irgendwann das Zeitfenster, in dem sie Kinder kriegen können. Die meisten Männer wissen das und rechnen sicher auch mit dem Thema, wenn sie eine Frau über 30 daten.

Klammern Sie das Thema also nicht aus, wenn es zeitkritisch für Sie ist und Sie tatsächlich einen konkreten Kinderwunsch haben. „Erklären Sie, dass Sie etwas Festes suchen, aber auch, dass Sie nicht das Gefühl vermitteln wollen, Druck auszuüben“, empfiehlt Anja Wermann.

Sie könnten sagen: „Ich wünsche mir Kinder und eine Familie. Das ist mir wichtig, und ich dachte, das wär eine wichtige Info für dich. Ich kann mir mit dir eine Zukunft vorstellen und wollte damit nicht zu lange warten, damit du auch weißt, woran du bei mir bist.“

Da wir in einer weitgehend gleichberechtigten Gesellschaft leben, ist die Annahme, dass der Mann automatisch fürs Essen oder die Drinks beim ersten Date zahlt, doch reichlich überholt. „Deshalb könnte man vorschlagen, dass man die Rechnung teilt“, sagt die Singleberaterin.

Je nachdem, wie viel konsumiert wurde, könnten Sie einfach fifty-fifty machen oder die Beträge auseinanderrechnen (lassen). „Das ist ein sinnvoller Weg, der auch zu unserer heutigen Zeit passt“, so die Expertin. „Gerade in Zeiten des Online-Datings hat man sehr viele erste Treffen. Da wird der Mann ja arm …“

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Aus der Zeit gefallen ist auch das selbstverständliche Bezahlen der Rechnung, ohne vorher darüber gesprochen zu haben. Es ist eine Machtgeste, die in der Liebe nicht so recht etwas verloren hat. „Es ist besser, wenn man vorher sagt: Ich würde die Rechnung gern übernehmen. Wäre das okay für dich?“, so Anja Wermann.

Es spräche aus Sicht der Psychologin auch nichts dagegen, wenn man als Frau den Mann einlade – allerdings auch nur nach Rücksprache. Wichtig ist in jedem Fall, dass man nicht gönnerhaft rüberkommt.

Dating-Regeln verkomplizieren das Kennenlernen oftmals und stehen unseren tatsächlichen Empfindungen mitunter im Weg. Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl und handeln Sie mit dem Herzen. Spielen Sie weder das Mäuschen noch den Macho, taktieren Sie nicht und folgen Sie nicht irgendwelchen vermeintlichen Vorschriften.

Tun Sie nichts, weil Sie glauben, es müsste so sein oder es würde von Ihnen erwartet. Nehmen Sie die Mythen gern als Gesprächsanlass: „Eigentlich heißt es ja, man soll beim ersten Date nicht küssen, aber …“

QOSHE - Küssen beim ersten Date, Sex beim dritten: Psychologin über Dating-Mythen - Nicole Schulze
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Küssen beim ersten Date, Sex beim dritten: Psychologin über Dating-Mythen

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14.02.2024

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Die Idee dahinter ist ein einfaches Schwer-zu-kriegen-Spiel. Doch geht das auf? Diplom-Psychologin sowie Single- und Paarberaterin Anja Wermann kennt sich damit aus. In ihre Kreuzberger Praxis kommen auch Menschen, die geghostet wurden, wo also eine Person ohne Vorzeichen und ohne ein Wort zu sagen, einfach verschwindet.

Früher hat man sich zu einem Rendezvous verabredet und dann geguckt, wie es ist, was passiert und ob sich etwas daraus entwickelt. Die Aufregung und die Unsicherheit waren die gleichen, allerdings gab es nicht so viele Vorschriften wie heute.

Ganze Regalreihen kann man mit Dating-Ratgebern füllen, in denen Männern und Frauen erklärt wird, was sie beachten sollen, wenn sie auf der Suche nach der großen Liebe sind.

Und so bilden sich auch viele Mythen rund um die Regeln, von denen niemand so genau weiß, wer sie eigentlich festgelegt hat und warum sie existieren. Tue dies, lass jenes – bringt das wirklich was? Kann man durch bestimmte Verhaltensweisen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der oder die andere sich in einen verliebt?

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Ein Rat, der vielen erteilt wird, lautet: Melde dich bloß nicht zu schnell, sonst wird er oder sie denken, du wärst total verzweifelt auf der Suche. Das schreckt ab. Wenn du aber damit wartest, dich zu melden, macht dich das interessant.

Ein derartiges Vorgehen findet Psychologin Anja Wermann Quatsch: „Man kann sich nicht künstlich interessant machen. Entweder hat die andere Person Interesse, und dann wird sie sich über eine Nachricht oder einen Anruf freuen. Oder aber sie hat kein Interesse, und dann bringt die beste Taktik nichts.“

Eigentlich ist es heute normal, dass sich man kurz nach dem Verabschieden schreibt, dass es schön war. Eine nette kleine Geste, um das Date abzurunden und mit einem guten Gefühl nach Hause zu fahren. Wer mit einer Antwort lange wartet, könnte den oder die andere........

© Berliner Zeitung


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