„Man ist nur so alt, wie man sich fühlt.“ Jeder kennt diesen Spruch, hat ihn entweder schon mal zu hören bekommen oder sich selbst gesagt, wenn der anstehende Geburtstag daran erinnert, dass man definitiv keine zwanzig mehr, sondern unanfechtbar „erwachsen“ ist. Meiner Meinung nach ist der Spruch nur ein Resultat gesellschaftlicher Erwartungen, die es in einem gewissen Zeitraum abzuarbeiten gilt. Mit dreißig sollte man im Leben stehen, eine Familie gegründet haben oder zumindest in einer festen Partnerschaft inklusive Fünfjahresplan sein. Zumindest ist es das, was mir suggeriert wird, wenn ich beim Frauenarzt oder Bürgeramt darauf angesprochen werde, ob ich mich aufgrund meines Alters und Single-Daseins bereits gegen das Kinderkriegen entschlossen hätte. Ich bin 33 Jahre alt.

Aber darum soll es hier nicht gehen. Ich möchte darüber schreiben, wie sich mein Datingleben in den Dreißigern verändert hat. Im Gegensatz zu früher treffe ich nun regelmäßig Menschen, die bereits geschieden oder Eltern sind. Menschen, die einen Lebensabschnitt hinter sich haben, der mir eventuell noch bevorsteht – wer weiß. Offene Kommunikation gleich zu Beginn ist daher besonders wichtig, denn auch Zeit wird im Alter kostbarer, wenn Überstunden und nicht Semesterferien den Alltag bestimmen. Während gute Freunde anrufen und stolz von ihrem mittlerweile zweiten Nachwuchs berichten, überlege ich, ob ich mich als alleinerziehende Mutter, die sich dank Samenspende ihren Kinderwunsch erfüllt, sehe. Woher das rührt? Zuletzt habe ich bei Treffen recht deutlich kommuniziert, dass ich ungern Zeit in lose Verbindungen, die gemeinsamen sexuellen Abenteuern dienen, investieren würde, da diese Bucket-List bereits abgearbeitet ist. Interessanterweise hat mich das nicht unbedingt beliebter gemacht – zumindest nicht auf Dating Apps.

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Doch das ist okay, denn während meine Zwanziger vom Experimentieren geprägt waren, sehne ich mich jetzt nach Beständigkeit und Zweisamkeit. Aber es stimmt schon, je später man sich kennenlernt, desto mehr potenzielle Altlasten sind im Spiel. Und es gibt Männer, die mir klar sagten, was sie nicht wollen, und gleichzeitig meine klaren Ansagen als einschüchternd empfunden haben. Es ist zudem einige Male passiert, dass ich nach einer gesprächsintensiven, aber auch lustvollen Nacht abserviert wurde und denjenigen kurze Zeit später mit einer weitaus Jüngeren gesichtet habe. Nicht nur ein Bekannter gestand mir, dass er sich gegen Kinder entschieden habe und daher am liebsten Frauen in ihren frühen Zwanzigern date, da diese Frauen keinen Druck machten und allgemein weniger Widerstand leisteten. Widerstand im Sinne von „zu viel eigene Meinung und schwerer formbar“. Sie suchen sich bewusst jüngere Freundinnen, welche sie umgekehrt eher „anhimmeln“, als Ansprüche wie baldiges Kinderkriegen zu formulieren.

Das bringt so ziemlich genau das auf den Punkt, was das Patriarchat verursacht hat und was ich immer wieder gespürt habe, wenn ich die eine oder andere Affäre mit meinem Drang nach Unabhängigkeit und direkter Meinungsäußerung zur Weißglut – und am Ende in die Flucht – getrieben habe. Devot ist anders, angepasst ist anders. Zudem bestätigen Studien, dass erfolgreiche Frauen Anfang dreißig auf Männer weniger anziehend wirken und es schwerer haben als jüngere Frauen, die keine Karriere-Ambitionen haben. Und als erfolgreich werde ich wohl wahrgenommen, zudem schrecken meine Themen ab, weil es weiterhin „krass“ ist, wenn Frauen in der Öffentlichkeit über weibliche Lust oder Selbstbestimmtheit sprechen, so wie ich das als Autorin tue. Starke Frauen sind auf dem Dating-Markt einfach weniger beliebt, weil weniger formbar und dafür anspruchsvoller. Traurig, aber wahr. Ansprüche machen unattraktiv, aber Selbstbewusstsein ist sexy – wie kann das sein?

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Natürlich gibt es auch genug Männer, auf die diese Eigenschaften anziehend wirken, und ich habe auch welche getroffen. Aber so einfach ist es leider doch nicht, denn Ambivalenzen scheinen auf dem Dating-Markt nichts zu suchen zu haben. Es waren diese Männer, die wirklich enttäuscht zu sein schienen, als ich ihnen mitteilte, dass ich einen Kinderwunsch habe und Familie generell nicht ausschließe – es aber auch nicht forciere. In dem Moment schien ihre Vision meiner Person zu zerbrechen und sie spürten unmittelbar den Druck, der Vater meiner Kinder sein zu müssen. Was soll mir das sagen? Darf ich entweder erfolgreich im Job oder als Mutter sein? Beides geht nicht?

Mittlerweile kann ich meine älteren Freundinnen verstehen, die mir vor einigen Jahren sagten, wie sehr ich mich noch wundern würde, wenn ich erst mal in ihrem Alter sei. Und sie hatten recht. Bei all dem Negativen gibt es aber auch noch eine Sache, die ich niemals wieder eintauschen würde und die Dating Ü30 besonders macht: Ich weiß, was ich will, und das auch im Bett – ich kommuniziere klar und bekomme am Ende zwar weniger Dates, dafür aber intensive, authentische und lustvolle Abenteuer.

QOSHE - Wie sich mein Dating-Leben in den Dreißigern verändert hat - Nadine Primo
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Wie sich mein Dating-Leben in den Dreißigern verändert hat

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14.01.2024

„Man ist nur so alt, wie man sich fühlt.“ Jeder kennt diesen Spruch, hat ihn entweder schon mal zu hören bekommen oder sich selbst gesagt, wenn der anstehende Geburtstag daran erinnert, dass man definitiv keine zwanzig mehr, sondern unanfechtbar „erwachsen“ ist. Meiner Meinung nach ist der Spruch nur ein Resultat gesellschaftlicher Erwartungen, die es in einem gewissen Zeitraum abzuarbeiten gilt. Mit dreißig sollte man im Leben stehen, eine Familie gegründet haben oder zumindest in einer festen Partnerschaft inklusive Fünfjahresplan sein. Zumindest ist es das, was mir suggeriert wird, wenn ich beim Frauenarzt oder Bürgeramt darauf angesprochen werde, ob ich mich aufgrund meines Alters und Single-Daseins bereits gegen das Kinderkriegen entschlossen hätte. Ich bin 33 Jahre alt.

Aber darum soll es hier nicht gehen. Ich möchte darüber schreiben, wie sich mein Datingleben in den Dreißigern verändert hat. Im Gegensatz zu früher treffe ich nun regelmäßig Menschen, die bereits geschieden oder Eltern sind. Menschen, die einen Lebensabschnitt hinter sich haben, der mir eventuell noch bevorsteht – wer weiß. Offene Kommunikation gleich zu Beginn ist daher besonders wichtig, denn auch Zeit wird im Alter kostbarer, wenn Überstunden und nicht Semesterferien den Alltag bestimmen. Während gute Freunde anrufen........

© Berliner Zeitung


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