Seit nunmehr elf Jahren bin ich in Berlin Gerichtsreporterin, davor habe ich schon über Prozesse in Brandenburg berichtet – was ich bei besonders aufsehenerregenden Fällen immer noch mache. Fast täglich sehe ich mutmaßliche Mörder, Messerstecher, ich höre die Geständnisse von Betrügern, Brandstiftern und Dieben.

Oft gibt es Dinge, die unter die Haut gehen: Menschen, die als Zeugen weinend ihre Aussage machen, Hinterbliebene, die bei unerträglichen Details den Saal verlassen müssen, Mütter, Väter und Geschwister von – wie es im Juristendeutsch heißt – Geschädigten, die verzweifelt sind. Oft werde ich gefragt, ob der Job, den ich mache, mich nicht belastet. Ob ich nicht von den Bluttaten träume, über die ich schreibe.

Ehrliche Antwort: Nein, ich träume nicht von den Fällen. Denn sonst könnte ich nicht darüber berichten, sondern würde sofort das Arbeitsgebiet wechseln. Es interessiert mich, warum der Mensch auf der Anklagebank zu dem geworden ist, wofür er nun geradestehen soll, wo er im Leben falsch abgebogen ist.

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Das heißt nicht, dass mich die Schicksale kaltlassen. Mein Mitgefühl für die Betroffenen ist groß. Gerade, wenn Eltern getöteter Kinder starr vor Schmerz dem Angeklagten gegenübersitzen und sich verzweifelt eine Antwort erhoffen auf diese eine Frage, die in einem Strafverfahren meist nicht beantwortet wird: Warum ausgerechnet unsere Tochter, warum unser Sohn?

Ich habe Prozesse verfolgt, in denen selbst Seelsorger, die neben mir saßen, in Tränen ausgebrochen sind und ich auf mein Schreibheft starrend selbst schlucken musste, um nicht zum Taschentuch greifen zu müssen.

In Erinnerung geblieben ist mir eine Polizistin, die im Prozess um die fahrlässige Tötung einer 13-Jährigen vor Gericht als Zeugin aussagen sollte. Sie zitterte und weinte, als sie über den tödlich endenden Straßenbahnunfall sprach. Es war so bedrückend still, als wäre nur sie im Saal. Sie hatte mit dem unter der Tram festgeklemmten Mädchen geredet, ihm Mut zugesprochen, bis das Kind bei dem Versuch, den Wagen anzuheben, zu Tode kam.

•heute

gestern

gestern

Natürlich erschüttert so etwas. Jeden im Saal. Es ist schließlich nicht wie bei Richterin Barbara Salesch, bei deren fiktiver Gerichtsshow Schauspieler Opfer und Täter mimen. Und es ist auch kein Fernsehkrimi, bei dem der Zuschauer zur Fernbedienung greift, wenn er es nicht mehr aushält. Es ist Realität, die man nicht einfach ausknipsen kann. Betroffene von Unfällen oder Verbrechen sind plötzlich ganz nah und haben ein Gesicht.

Doch wie, so frage ich mich oft, muss es erst den Richtern, Staatsanwälten, Verteidigern und Anwälten der Hinterbliebenen – die im Strafprozess oft als Nebenkläger auftreten – gehen, die sich viel mehr als ich in die Materie vertiefen müssen? Und wie den Schöffen, die keine Juristen sind, sondern aus der breiten Öffentlichkeit ausgesucht wurden, um neben den Berufsrichtern über eine Tat „im Namen des Volkes“ mitzuurteilen?

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Eindrucksvoll war das neulich im Prozess gegen eine junge, krebskranke Mutter zu sehen, die ihren kleinen Sohn erst betäubt und dann ertränkt hatte, weil sie ihn nach ihrem Tod nicht allein lassen wollte – obwohl das Kind noch einen Vater hatte. Der Verteidiger der Frau fand bei seinem Plädoyer zunächst keine Worte. Deutlich war zu sehen, wie er mit seinen Gefühlen kämpfen musste. So etwas hatte ich noch nie bei einem Anwalt wahrgenommen. Es wirkte sehr menschlich.

Wenn ich nach so einem Prozess das Kriminalgericht verlasse, denke ich nicht mehr über Dinge nach, die mich vor kurzem noch geärgert haben. Wie klein sind diese Probleme im Vergleich zu dem Unglück, das so plötzlich über das Leben von Opfern oder Hinterbliebenen von Verbrechen hereingebrochen ist.

QOSHE - Wenn selbst der Anwalt mit Gefühlen kämpft: Verfolgen einen die Bluttaten in den Träumen? - Katrin Bischoff
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Wenn selbst der Anwalt mit Gefühlen kämpft: Verfolgen einen die Bluttaten in den Träumen?

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13.04.2024

Seit nunmehr elf Jahren bin ich in Berlin Gerichtsreporterin, davor habe ich schon über Prozesse in Brandenburg berichtet – was ich bei besonders aufsehenerregenden Fällen immer noch mache. Fast täglich sehe ich mutmaßliche Mörder, Messerstecher, ich höre die Geständnisse von Betrügern, Brandstiftern und Dieben.

Oft gibt es Dinge, die unter die Haut gehen: Menschen, die als Zeugen weinend ihre Aussage machen, Hinterbliebene, die bei unerträglichen Details den Saal verlassen müssen, Mütter, Väter und Geschwister von – wie es im Juristendeutsch heißt – Geschädigten, die verzweifelt sind. Oft werde ich gefragt, ob der Job, den ich mache, mich nicht belastet. Ob ich nicht von den Bluttaten träume, über die ich schreibe.

Ehrliche Antwort: Nein, ich träume nicht von den Fällen. Denn sonst könnte ich nicht darüber berichten, sondern würde sofort das Arbeitsgebiet wechseln. Es interessiert mich, warum der Mensch auf der Anklagebank zu dem geworden ist, wofür er nun........

© Berliner Zeitung


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