Es sind bewegende Momente, die sich an diesem Dienstag in Saal 8 des Justizzentrums in Potsdam abspielen. Zeugen, die weinen, Zuschauer, die in Tränen ausbrechen. Mütter und Väter, die ihre Kinder auf furchtbare Weise verloren haben, in dem Prozess Nebenkläger sind und nun zum Taschentuch greifen.

Auch der Angeklagte Jan M., gerade einmal 20 Jahre alt, schluckt, als er sich entschuldigt – für den Tod von Laura F. und Noel-Maurice P., seinen besten Freunden. Sie verbrannten in einem Tesla – wohl bei lebendigem Leibe. „Es tut mir schrecklich leid“, sagt der junge Mann, der derzeit in Polen studiert.

Es geht in diesem Verfahren vor dem Amtsgericht Potsdam um fahrlässige Tötung. Aber es geht auch um die Frage, warum sich die Türen eines nach einem Unfall brennenden Tesla-Elektroautos nicht einfach durch einen Türgriff öffnen ließen. Bei solchen Autos sind die Griffe versenkt, was schick aussieht, aber offenbar auch zu einer tödlichen Falle werden kann.

Jan M. ist ein junger Mann mit noch kindlichen Gesichtszügen. Er sieht schüchtern aus, und es ist ihm anzusehen, wie er immer wieder mit den Tränen ringen muss. Mit seinen vier Freunden soll er am 16. August 2022 eine Spritztour unternommen haben, die für zwei der fünf Insassen seines Autos tödlich enden sollte. Es waren Ferien, die jungen Leute aus Beelitz (Potsdam-Mittelmark) hatten gerade ihr Abitur bestanden, schmiedeten Zukunftspläne.

Mit dem neuen Tesla S der Eltern holte Jan M. an jenem Vormittag seine Freunde ab, sie wollten zur Therme nach Bad Liebenwerda. Auf der Rückbank saßen Tim S., Laura F. und Noel-Maurice P. Sie hörten Musik, lachten und waren erstaunt, wie schnell so ein Elektroauto von null auf hundert kommt. Wie im Flugzeug sei es gewesen, erinnert sich Tim S. vor Gericht. Er sei in den Sitz gedrückt worden, und es habe im Bauch gekribbelt.

Jan M. entschied sich, den Weg über die Landstraße 73 zu nehmen. Er kannte die Route, war sie nach eigenen Worten schon öfter gefahren. Seine Beifahrerin soll ihn zweimal ermahnt haben, nicht so schnell zu fahren. Man wolle schließlich sicher am Ziel ankommen.

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Tim S. erinnert sich, dass Jan M. geantwortet habe, dass er keinen Unfall bauen werde. Wenn doch, sei ein anderer schuld. In einer Linkskurve zwischen den Ortschaften Dobbrikow und Hennickendorf (Teltow-Fläming) geschah es. Der damals 19-jährige Angeklagte verlor laut Anklage mit 60 bis 65 Kilometer pro Stunde die Kontrolle über das Auto. Das Fahrzeug kam von der Straße ab, knallte gegen einen Baum.

Während Jan M. und seine Beifahrerin die Türen des Wagens vorne öffnen und sich aus dem Auto retten konnten, versuchte Tim S. vergeblich, die hinteren Türen des schon vernebelten Autos zu öffnen. „Es ging nicht“, sagt er vor Gericht. Da waren keine Griffe, auch aufstemmen konnte er die Türen nicht. Tim S. gelang es, schwer verletzt nach vorne zu krabbeln und auf der Beifahrerseite das schon brennende Fahrzeug zu verlassen.

Für Laura und Noel-Maurice, die neben ihm gesessen hatten, kam jede Hilfe zu spät. Sie seien schon nicht mehr ansprechbar gewesen, als er aus dem Fahrzeug geklettert sei, erinnert sich Tim S. Sein letztes Bild von den beiden: Der Kopf von Noel-Maurice habe auf der Schulter seiner Freundin Laura gelegen. Die beiden jungen Leute wurden auch Seite an Seite beerdigt.

Rebecca N. war als eine der ersten am Unfallort. Die 41-jährige Angestellte bei den Johannitern berichtet unter Tränen, wie sie am Unfallort eingetroffen seien und sie der Beifahrerin geholfen habe, von dem brennenden Fahrzeug wegzukommen. „Scheiß Übermut“, habe das schwer verletzte Mädchen über das Fahrverhalten des Fahrers gesagt und berichtet, dass noch zwei Freunde im Auto seien. „Die Türen hatten keine Griffe“, sagt die Zeugin fassungslos. Dann habe es den lauten Knall gegeben. Das Fahrzeug brannte völlig aus.

Auch Andreas M. berichtet ähnliches. Der 61-Jährige ist Fahrer bei den Johannitern. Er erzählt, dass er versucht habe, zu den im Auto eingeschlossenen Jugendlichen zu gelangen. „Beim Tesla hast du keinen normalen Türgriff. Du kannst die Tür nicht einfach öffnen. Es ging nicht“, erzählt der Zeuge. Ob er das Fahrzeug geöffnet hätte, wenn es Türgriffe gegeben hätte, will der Vater des im Auto gestorbenen Jungen wissen. „Ja, na klar“, sagt er.

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Der Angeklagte Jan M. hat angeblich Erfahrung mit Tesla-Autos. Schon mit 16 Jahren machte er nach eigenen Angaben in den USA seinen Führerschein. An den Unfall selbst hat er angeblich keine Erinnerung. Seit dem Tod seiner Freunde hat er sich nicht bei deren Familien gemeldet. „Ich hatte eine mentale Blockade“, begründet er sein langes Schweigen. „Ich hatte Angst, und ich habe immer noch Angst.“

Als er den Eltern seiner toten Freunde anbietet, für Gespräche bereitzustehen, klopft die Mutter von Laura F. auf den Tisch – als Zeichen, dass sie das lang ersehnte Angebot annehmen wolle.

Der Prozess wird am 7. März fortgesetzt, dann soll auch der Unfallgutachter gehört werden.

QOSHE - Prozess um Unfalltod: Freunde verbrannten – Retter konnten E-Auto nicht öffnen - Katrin Bischoff
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Prozess um Unfalltod: Freunde verbrannten – Retter konnten E-Auto nicht öffnen

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27.02.2024

Es sind bewegende Momente, die sich an diesem Dienstag in Saal 8 des Justizzentrums in Potsdam abspielen. Zeugen, die weinen, Zuschauer, die in Tränen ausbrechen. Mütter und Väter, die ihre Kinder auf furchtbare Weise verloren haben, in dem Prozess Nebenkläger sind und nun zum Taschentuch greifen.

Auch der Angeklagte Jan M., gerade einmal 20 Jahre alt, schluckt, als er sich entschuldigt – für den Tod von Laura F. und Noel-Maurice P., seinen besten Freunden. Sie verbrannten in einem Tesla – wohl bei lebendigem Leibe. „Es tut mir schrecklich leid“, sagt der junge Mann, der derzeit in Polen studiert.

Es geht in diesem Verfahren vor dem Amtsgericht Potsdam um fahrlässige Tötung. Aber es geht auch um die Frage, warum sich die Türen eines nach einem Unfall brennenden Tesla-Elektroautos nicht einfach durch einen Türgriff öffnen ließen. Bei solchen Autos sind die Griffe versenkt, was schick aussieht, aber offenbar auch zu einer tödlichen Falle werden kann.

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© Berliner Zeitung


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