Ingeborg R. weiß nicht so recht, ob sie enttäuscht oder wütend sein soll. Es wechsele von Tag zu Tag, sagt die 68-Jährige am Dienstag in einer Prozesspause. Dann entscheidet sie sich doch: Unwahrscheinlich enttäuscht sei sie, dass der Angeklagte auf dem „Altar der Gier alle moralischen Hürden“ leichtfüßig und kalkuliert übersprungen habe.

Die dunkel gekleidete, schlanke Frau verfolgt an diesem ersten Verhandlungstag am Landgericht Berlin den Prozess gegen Daniel S. als Zuschauerin. Das müsse sie sich antun, sagt sie. Der Angeklagte ist ihr Adoptivsohn, der sie und ihren mittlerweile verstorbenen Mann um Haus und Grundstück gebracht habe. Im Grunde genommen sei sie heute obdachlos, erklärt die Frau mit Bitterkeit in der Stimme. Reue nimmt sie ihrem 32-jährigen Sohn nicht ab. Sie spricht von Krokodilstränen.

Daniel S., ihr Sohn, ist ein schlanker Mann, der an diesem Tag einen taubenblauen Anzug zu einem eierschalenfarbenen Rolli trägt. Die Haare sind ordentlich gescheitelt. S. ist IT-Spezialist. Und als solcher wurde er 2019 in den DRK-Kliniken Berlin Bereichsleiter. Er verdiente nach eigenen Angaben 8000 Euro netto im Monat, hinzu kamen Boni, mit einem Kumpel lebte er in einer WG.

Frau zahlte Millionensumme an angeblichen Hellseher

heute

Cum-Ex-Chefermittlerin wirft hin - Kritik an der Politik

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Vor Gericht muss sich der Mann, der erst vor kurzem Vater geworden ist und in Neuss lebt, wegen Computerbetrugs in besonders schwerem Fall verantworten. Am Nachmittag des 3. November 2023 überwies Daniel S. vom Geschäftskonto der Kliniken 750.000 und 850.000 Euro auf sein eigenes Konto. Dazu benutzte er ein zuvor ausgespähtes Passwort einer Kollegin, die für derartige Transaktionen berechtigt gewesen wäre. Daniel S. hat dies unter Tränen zugegeben.

•vor 7 Std.

gestern

•vor 3 Std.

Mit dem Geld habe er Schulden begleichen wollen, sagt der Angeklagte. Denn Daniel S. zockte seit der Corona-Zeit an der Börse. Weil damals die Kurse gefallen waren, interessierte er sich dafür. Schulden hatte der damals nicht, als er zunächst seine Ersparnisse in Höhe von 30.000 Euro verlor und danach seinen ersten Kredit über 35.000 Euro aufnahm.

Doch auch dieses Geld habe er verzockt, sei immer tiefer in die Spirale hineingezogen worden, habe sich bei Freunden und Bekannten Kapital geliehen, erzählt er. Vertraut hätten sie ihm, er habe ja gut verdient. „Ich habe ein nettes Parallelleben geführt.“

Schließlich überredete er seine Adoptivmutter, ihm das Haus zu überschreiben. „Ich habe ihr natürlich nicht erzählt, dass ich damit Schulden ausgleichen wollte“, berichtet Daniel S. Von Steuervorteilen sei die Rede gewesen.

„Ich hatte nie den Wunsch, Millionär zu werden“, beteuert der Angeklagte. Doch er sei seinem Handy, den Börsen und Kursen verfallen gewesen. Manchmal habe er an einem Tag 200.000 Euro gutgemacht, das Geld aber sofort wieder eingesetzt, um letztlich all seine Schulden begleichen zu können. „Bis zum letzten Tag habe ich an den großen Coup geglaubt.“

Stattdessen wurde der Druck durch die Gläubiger immer größer. Manchmal, so berichtet es Daniel S., habe er am Tag 13, 14 Nachrichten von Leuten bekommen, die dringend ihr Geld zurückverlangt haben – etwa, weil sie sich ein Haus gekauft haben. Schließlich beliefen sich die Forderungen auf insgesamt 1,6 Millionen Euro. Heute sei es für ihn nicht nachvollziehbar, „wie ich das ganze Geld bekommen habe“.

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03.04.2024

An jenem 3. November, einem Freitag, beschloss er, das Konto seines Arbeitgebers zu schröpfen. Er habe bei den beiden Überweisungen bewusst seinen Klarnamen angegeben. „Für mich war es der letzte Ausweg“, sagt der Angeklagte. Dann legte er das Computersystem für einige Zeit lahm.

Von dem überwiesenen Geld zahlte Daniel S. insgesamt 990.510 Euro zurück. Als er auch noch die restlichen Schulden von rund 600.000 Euro begleichen wollte, war sein Konto schon gesperrt. Das Geld wurde später eingezogen.

Am Montag nach der Tat wartete beim Geschäftsführer der Kliniken bereits die Polizei auf Daniel S. Ihm sei immer klar gewesen, dass er zur Rechenschaft gezogen werden würde. „Nicht aber, dass es so schnell gehen würde“, erklärt der Angeklagte.

Daniel S. saß zunächst in Untersuchungshaft, wurde Ende Januar unter Auflagen von der Haft verschont. In einem Gespräch mit dem Verteidiger im Vorfeld des Verfahrens, zu dem zu Prozessbeginn ein Vermerk verlesen wurde, ließ der Vorsitzende Richter anklingen, dass der Angeklagte aus einer gewissen Zwangslage oder Ausweglosigkeit gehandelt haben könne. Eine Haftstrafe unter drei Jahren, wie sie der Anwalt offenbar anstrebt, sehe er sportlich.

Daniel S. lebt derzeit von Arbeitslosengeld. Unter Tränen beteuert er, dass er niemandem habe schaden wollen und es ihm leidtue, das Vertrauen so vieler Menschen missbraucht zu haben. Er habe sich „in keinster Weise Gedanken darüber gemacht, was mit den Empfängern des Geldes“ passiere. Vier von ihnen werden in dem Verfahren als sogenannte Einziehungsbeteiligte geführt. Sie und Daniel S. sollen nun zur Rückzahlung des Klinik-Geldes verurteilt werden.

QOSHE - Angeklagter verzockte Haus der Eltern – dann betrog er DRK-Kliniken um 1,6 Millionen Euro - Katrin Bischoff
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Angeklagter verzockte Haus der Eltern – dann betrog er DRK-Kliniken um 1,6 Millionen Euro

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23.04.2024

Ingeborg R. weiß nicht so recht, ob sie enttäuscht oder wütend sein soll. Es wechsele von Tag zu Tag, sagt die 68-Jährige am Dienstag in einer Prozesspause. Dann entscheidet sie sich doch: Unwahrscheinlich enttäuscht sei sie, dass der Angeklagte auf dem „Altar der Gier alle moralischen Hürden“ leichtfüßig und kalkuliert übersprungen habe.

Die dunkel gekleidete, schlanke Frau verfolgt an diesem ersten Verhandlungstag am Landgericht Berlin den Prozess gegen Daniel S. als Zuschauerin. Das müsse sie sich antun, sagt sie. Der Angeklagte ist ihr Adoptivsohn, der sie und ihren mittlerweile verstorbenen Mann um Haus und Grundstück gebracht habe. Im Grunde genommen sei sie heute obdachlos, erklärt die Frau mit Bitterkeit in der Stimme. Reue nimmt sie ihrem 32-jährigen Sohn nicht ab. Sie spricht von Krokodilstränen.

Daniel S., ihr Sohn, ist ein schlanker Mann, der an diesem Tag einen taubenblauen Anzug zu einem eierschalenfarbenen Rolli trägt. Die Haare sind ordentlich gescheitelt. S. ist IT-Spezialist. Und als solcher wurde er 2019 in den DRK-Kliniken Berlin Bereichsleiter. Er verdiente nach eigenen Angaben 8000 Euro netto im Monat, hinzu kamen Boni, mit einem Kumpel lebte er in einer WG.

Frau zahlte Millionensumme an angeblichen Hellseher

heute

Cum-Ex-Chefermittlerin........

© Berliner Zeitung


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