Ganz spät erst hat die Kunstwelt gemerkt, dass diese kleine, zerbrechliche Frau mit den eisgrauen Haaren und den wachen Augen aus Berlin-Pankow etwas ganz Besonderes ist. Etwas, das es in der Kunst weit und breit nicht noch einmal gibt. Ruth Wolf-Rehfeldt schuf seit den 1970er-Jahren, gelangweilt von der monotonen Arbeit als Büroleiterin in einem volkseigenen Betrieb, Stapel von „Typewritings“. So nannte sie all die Tausende von Blättern, auf denen sie die Typen ihrer Erika-Schreibmaschine tanzen ließ, spontan und intuitiv, bis daraus fantasievollste Muster entstanden, originelle Reihungen, kuriose bis meditative Ornamente aus Buchstaben und Satzzeichen.

Ermuntert von ihrem Mann, dem mit aller Welt im Austausch stehenden Mail-Artisten Robert Rehfeldt, begann sie, sich mit Konkreter Poesie zu beschäftigen, schuf als Hommage an Beuys einen Hut aus Filz und wandelte Begriffe wie „Bewegung“, „Dehnung“ und „Raffung“ in minimalistische Bilder. Kenner waren begeistert, Anhänger des Sozialistischen Realismus hielten es für einen Spleen. Sie scherte sich nicht darum, korrespondierte per „Typewritings“ mit Kunstfreunden weltweit. Ans Berühmtwerden hat sie nie gedacht.

Erika klappert im Minsk: Die Schreibmaschinenkunst von Ruth Wolf-Rehfeldt

15.02.2023

Buchstaben-Avantgarde: Ruth Wolf-Rehfeldt aus Pankow erhält den Hannah-Höch-Preis

01.11.2022

Aber genau das ist passiert. Sie wurde für die Art Basel 2016 und die Documenta 14 im Jahr darauf „entdeckt“, hatte mit ihrer Schreibmaschinenkunst inmitten der allumfassenden Digitalisierung einen Zeitnerv getroffen. Die Berliner ChertLüdde-Gallerie betreut seitdem ihr Werk, die Stadt Altenburg ehrte sie 2021 mit dem Gerhard-Altenbourg-Preis und Berlin 2022, zu ihrem 90. Geburtstag, mit dem Hannah-Höch-Preis, benannt nach der berühmten Dadaistin. Die Staatlichen Museen Dresden und Berlin widmeten ihr große Ausstellungen. Das Potsdamer Museum Minsk tat letztes Jahr ein Gleiches.

Die Laudationes ließ sie stets still und mit einem bescheidenen Lächeln über sich ergehen. Soeben erfuhren wir durch ihre Galerie, dass Ruth Wolf-Rehfeldt am 26. Februar in einer Klinik in Buch an Altersschwäche verstorben ist.

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QOSHE - Zum Tod der Type-Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt - Ingeborg Ruthe
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Zum Tod der Type-Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt

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28.02.2024

Ganz spät erst hat die Kunstwelt gemerkt, dass diese kleine, zerbrechliche Frau mit den eisgrauen Haaren und den wachen Augen aus Berlin-Pankow etwas ganz Besonderes ist. Etwas, das es in der Kunst weit und breit nicht noch einmal gibt. Ruth Wolf-Rehfeldt schuf seit den 1970er-Jahren, gelangweilt von der monotonen Arbeit als Büroleiterin in einem volkseigenen Betrieb, Stapel von „Typewritings“. So nannte sie all die Tausende von Blättern, auf denen sie die Typen ihrer Erika-Schreibmaschine tanzen ließ, spontan und intuitiv, bis daraus........

© Berliner Zeitung


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