Valie Export, geborene Linzerin und vormals mit bürgerlichem Namen Waltraud Stockinger, brachte vor einem halben Jahrhundert ihre gesellschaftskritische Kunst aus dem Galerie-Schutzraum auf die Straße. Zuerst in Wien, dann in München und bald anderswo.

Justament wurde sofort angreifbar, was sie da zelebrierte. Etwa die Aktion „TAPP und TASTKINO“, 1968. Mit animierdamenhafter Lockenperücke, oben ohne und drüber ein Papp-Kasten mit Loch – so stand sie in Geschäftsstraßen und erlaubte Männern, ihre Brust zu betatschen. Anfangs gestattete sie es für 33, dann nur noch für zwölf Sekunden. Mehr gab’s nicht – und Bedingung für den skandalösen Akt war der unverwandte Blickkontakt der „Anfasser“ mit ihr. Sie bot sich also nicht als pornografisches Objekt an, sondern als souverän bestimmende Analystin des – als Kavaliersdelikt abgetanen – männlichen Gebarens. 50 Jahre vor den MeToo-Protesten führte sie diese „unanständige“ Aufklärung vor.

Freund und Feind prägten die Meinungslage über die nun im C/O als große Silbergelatine-Prints prangenden Aktionsszenen, wie sie – mitten in der Zeit der Studentenrevolten und der Frauenrechtsbewegung – ihren damaligen Geliebten, den später berühmten Medientheoretiker Peter Weibel am Hundehalsband durch die Kärntner Straße bis zum Stephansdom Gassi führt. Die Serie ging ein in die legendäre „Mappe der Hundigkeit“. Der Skandal war riesig, und Weibel hatte sich – von Machos verachtet – avantgardistisch bekannt als Feminist.

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26.01.2024

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24.01.2024

26.01.2024

Schon allein diese Fotos sprechen Bände in der eben beginnenden großen Retrospektive im Berliner C/O. In dieser Instanz der Fotokunst bringt uns der Albertina-Kurator Walter Moser diese „Valie Courage“ ganz nahe. Valie Export nennt sie sich seit mehr als 50 Jahren nach der amerikanischen Zigarettenmarke „Smart Export“. Der Name war keineswegs bloß Ironie. Er ist Programm. Und Label. Auf der Packung prangt ihr Konterfei, das besagt, dass sie ihre Kunst, ihren Feminismus exportieren wird, weithin und weit weg vom tyrannischen Vater und vom dominierenden Ex-Ehemann. Das Original dieser initialen Foto-Collage (auf der sie schamlos eine Kippe raucht, auch wenn das heute fast ein Sakrileg ist) gehört dem New Yorker MoMA.

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05.01.2024

Ähnlich analytisch ging Valie Export bald darauf vor für die exzellente Poster-Serie „Genitalpanik“. Da sitzt sie mit wilder Frisur auf einer maroden Wiener Bank und hat aus einer engen Hose akribisch jenes Dreieck ausgeschnitten, welches ihren Schritt verhüllte. Ihre abweisende Miene kontert jedweden Pornografie-Anwurf. Solch rückhaltlose wie kalkulierte Auftritte setzten sich fort. Sie bekam es mit der Polizei zu tun. Der österreichische Staat entzog ihr 1970 sogar das Sorgerecht für ihre kleine Tochter. Wegen ihrer Aktionen gab es eine Anklage. Aber so ändern sich die Zeiten: 2010 verlieh man ihr das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Durch die ganze C/O-Schau hindurch inszeniert sie sich mal als radikale Amazone, mal als ironisch-sarkastische Femme fatale, mal als auch vor demonstrativer Selbstverletzung nicht zurückschreckende politische Aktivistin. Alles in allem erleben wir eine der bedeutendsten Performance- und Medienkünstlerinnen des 20. Jahrhunderts, deren wegweisender Mut und kreative Wut seit den Siebzigern wie Donnerhall den Kunstbetrieb aufmischte, Künstlerinnen anderer Länder bis tief hinein ins Mauerland DDR folgenreich ermutigte und deren „Kunstrebellinnen“ (Gabriele Stötzer, Cornelia Schleime, Tina Bara) inspirierte.

Im Laufe der Jahre konnte Valie Export ihren Aktionen schließlich überzeugend Anerkennung verschaffen. Bis heute gilt dies als Meilenstein des feministischen Aktionismus. Ihre unverblümte, dreiste feministische Kritik an alten Normen und Rollenbildern und der Marginalisierung der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft wurde zwar reichlich mit Verleumdung und Zensur belegt, einschüchtern oder beirren ließ sie sich nie.

Ausgehend von ihren frühen provokanten Expanded-Cinema-Aktionen und grobkörnigen Schwarz-Weiß-Filmen über die symbolstarken, als „obszön“ beschimpften Körper-Performances bis hin zu ihren Interventionen im Stadtraum, wo sie sich der vom Nazismus, von männlicher Gewaltherrschaft und vom Kriegsende 1945 gezeichneten Wiener Monumentalarchitektur, so vor dem Parlament oder auf dem Heldenplatz „anverwandelte“.

Wand für Wand im C/O, und auch in etlichen spektakulären Installationen, etwa einem „Bad“ der nackt fotografierten Künstlerin in einem Becken voll bleiartigem Wasser, sehen wir sie: die angstlose, tabulose Kunst der mittlerweile mehrfachen Venedig-Biennale- und Documenta-Teilnehmerin. Ihre skandalösen Aktionen über die Verformung des Subjekts in der auf Macht, Erfolg, Effizienz gepolten kapitalistischen Moderne und die Entfremdung zur Natur empörten rechte Politiker, katholische Kreise und moralinsaure Bürger, umso mehr, da sie ihren eigenen Körper einsetzte.

Auf einem Filmfestival in München in den 70er-Jahren, mitten in der Ost-West-Hochrüstungsphase, spazierte sie mit einer am Schritt aufgeschnittenen Hose in ein Kino und verkündete: „Was Sie normalerweise im Kino auf der Leinwand erleben, sehen Sie jetzt in der Realität, ein Kino der Wirklichkeiten.“ Auf dem Schwarz-Weiß-Foto ist neben ihrer Schambehaarung ein Maschinengewehr zu sehen: Instrument männlicher Macht und Kriegslust. Wegen der schrillen Wirkung wurde sie paradoxerweise zu den Machos der „Wiener Aktionisten“ um Brus, Schwarzkogler, Nitsch oder den unsäglichen Otto Muehl gerückt. Doch das lehnte sie ab; die waren ihr „viel zu patriarchisch“.

„Kunst muss aggressiv sein!“ Mit dieser Haltung provoziert sie noch immer, bringt Vertreter des „guten Geschmacks“ auf die Palme, stört Scheinharmonie. So analysiert sie politisch und medienkritisch das angespannte Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft, deren Werte, „Normen“, den Moralkodex. Aber ebenso widmet sie sich seit einigen Jahren in spannenden Serien der konzeptionellen Fotografie. Und sie spricht am Schluss der Ausstellung per Video-Monitor mit schmerzerstickt würgender Stimme – ihr steckt ein Stimmritzen-Endoskop im Rachen – denkwürdige Texte über die Gewalt der menschlichen Sprache.

Übrigens gründete sie vor Tagen in Wien ihre eigene „Valie Export Stiftung“. Damit sichert sie sich international und für die Forschung das, was die Welt für gewöhnlich „Lebenswerk“ nennt und damit wohl künftig über jegliche Zensur erhaben ist.

Valie Export: Retrospective. C/O Berlin, Hardenbergstr. 22–24, vom 27. Januar bis 23. Mai, tgl. 11–20 Uhr

QOSHE - Valie Export im Berliner C/O: 12 Sekunden Brüste betatschen, mehr gibt’s nicht! - Ingeborg Ruthe
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Valie Export im Berliner C/O: 12 Sekunden Brüste betatschen, mehr gibt’s nicht!

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28.01.2024

Valie Export, geborene Linzerin und vormals mit bürgerlichem Namen Waltraud Stockinger, brachte vor einem halben Jahrhundert ihre gesellschaftskritische Kunst aus dem Galerie-Schutzraum auf die Straße. Zuerst in Wien, dann in München und bald anderswo.

Justament wurde sofort angreifbar, was sie da zelebrierte. Etwa die Aktion „TAPP und TASTKINO“, 1968. Mit animierdamenhafter Lockenperücke, oben ohne und drüber ein Papp-Kasten mit Loch – so stand sie in Geschäftsstraßen und erlaubte Männern, ihre Brust zu betatschen. Anfangs gestattete sie es für 33, dann nur noch für zwölf Sekunden. Mehr gab’s nicht – und Bedingung für den skandalösen Akt war der unverwandte Blickkontakt der „Anfasser“ mit ihr. Sie bot sich also nicht als pornografisches Objekt an, sondern als souverän bestimmende Analystin des – als Kavaliersdelikt abgetanen – männlichen Gebarens. 50 Jahre vor den MeToo-Protesten führte sie diese „unanständige“ Aufklärung vor.

Freund und Feind prägten die Meinungslage über die nun im C/O als große Silbergelatine-Prints prangenden Aktionsszenen, wie sie – mitten in der Zeit der Studentenrevolten und der Frauenrechtsbewegung – ihren damaligen Geliebten, den später berühmten Medientheoretiker Peter Weibel am Hundehalsband durch die Kärntner Straße bis zum Stephansdom Gassi führt. Die Serie ging ein in die legendäre „Mappe der Hundigkeit“. Der Skandal war riesig, und Weibel hatte sich – von Machos verachtet – avantgardistisch bekannt als Feminist.

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26.01.2024

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24.01.2024

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Schon allein diese Fotos sprechen Bände in der eben beginnenden großen Retrospektive im Berliner C/O. In........

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