Der Anblick zieht einem den Bast von der Seele: An der weißen Galeriewand lehnen aus Baumästen gebastelte Krücken, dünn, zerbrechlich, instabil, die Griffe aus weißem Pappmaschee, untauglich für Invaliden, weil selber Kriegskrüppel. Es sind Provisorien der Verzweiflung in einem mörderischen Kampf, der sich seit Monaten dahinschleppt.

Die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna setzt uns dieses simple Zeichen der hilflosen „Krücken“ vor, damit wir mit ihnen unsere Wahrnehmung und unser Urteilsvermögen „stützen“ können. Unsere Gedanken, Gefühle zu diesem seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Ausnahmezustand einer ganzen Nation, die am 24. Februar 2022 vom russischen Aggressor Putin überfallen wurde.

Seit 2014, dieses Datum war bereits der Kriegsbeginn durch die russische Annexion der Krim, gehört Lada Nakonechna zum Künstlerkreis der Berliner Galerie Eigen +Art. Der Galerist Judy Lybke und seine Mitarbeiter hatten ihre ungewöhnliche Zeichenkunst entdeckt: diese packende, irritierende, beklemmende Verfremdung des Realen, diese verwundete Ästhetik einer verbrecherischen Politik. Bald darauf stellte sie zweimal hintereinander in Berlin aus. Die 1981 in Dnipropetrowsk geborene Tochter einer Kunsthistorikerin, Absolventin der Kiewer Kunstakademie und 2011 Teilnehmerin der Kunstbiennale Venedig, kam damals direkt aus Kiew, vom Maidan. Dort stand sie auch schon 2013 in den Reihen der Protestler, am Beginn der Pro-Europäischen Revolution. Seitdem entstehen immer neue zeichnerische Montagen und Collagen, auf denen sich das Unheil über der Ukraine ankündigte.

06.03.2024

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06.03.2024

gestern

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Am Vormittag des 24. Februar 2022, als der Alarm zum Überfall der russischen Truppen durch Kiews Straßen hallte, floh Nakonechna mit ihrem Söhnchen Hals über Kopf nach Lemberg/Lwiw. Ihr Mann, Kunstprofessor an der Kiewer Akademie, steckte sie und das Baby in einen total überfüllten Zug nach Polen – und meldete sich anschließend zum Dienst für sein Land. Das Paar durfte sich seither nur kurz sehen, als er Weihnachten von Lwiw aus für ein paar freie Tage den Zug nach Deutschland nehmen konnte. Für Lada ist das „der Fluch des Krieges“; sie ist stolz auf ihren Mann, dass er nicht kneift. Und sie ist dankbar für ihre Zufluchtsorte seit mehr als zwei Jahren: Warschau, Posen, Leipzig. Da hatte sie im Frühsommer 2022 eine schon lange geplante, vom Krieg aber beinahe verhinderte Ausstellung. Die Werke konnten von Freunden wie durch ein Wunder rechtzeitig aus ihrem Kiewer Atelier geholt werden.

Danach lebte sie in Hamburg, lehrte an der Akademie, froh, für sich und ihr Kind den Lebensunterhalt verdienen zu können. Derzeit bietet ihr die Stadt Kassel Asyl – und künstlerische wie wissenschaftliche Arbeit am Documenta-Institut. Da entstanden auch die neuen Arbeiten für die Berliner Ausstellung: „Below Ground Level“ (Unter der Erde).

Brandgeruch, Feuer, Schwefel, Asche, Tod – diese krassen Assoziationen wecken bei mir Lada Nakonechnas Bilder. Sie hat sie im Rhythmus der Stufen, hinab in die kleine Ausstellungshalle von Eigen+Art in der Auguststraße, gehängt. Als Dramaturgie der Gewalt, des Schreckens, den Menschen anderen Menschen anzutun imstande sind, wie Schiller es dichtete. Sie weiß, dass sie mit ihren simplen symbolischen „Krücken“ aus den Ästen zerstörter Bäume, ihren Collagen aus Fotos, Grafitstrichen und Klebestreifen nur Herz und Geist berühren kann, derweil ihre Landsleute in den Ruinen, in den Luftschutzkellern von Awdijiwka und Odessa leiden, ukrainische Soldaten an der Front kämpfen und sterben.

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Kunst ist keine Waffe, die den Verbrecher Putin besiegt. Aber die Künstlerin zeigt die Fratze des Krieges in ihren harten Zeichnungen neben oder über den montieren Fotos, nicht in Aufnahmen der getöteten Soldaten und Zivilisten, sondern metaphorisch: die zerstörten ukrainischen Landschaften, die Felder und Wälder, in denen es keine Spur von Romantik oder Märchen mehr gibt. Scharfe Horizontlinien trennen die ukrainische Mutter Erde von explodierenden Wolken, zerfetzt von präzisionsgelenkten Geschossen. Mit weißen Tapes klebt die Zeichnerin über ihre geborstenen Grafitlandschaften Diagonalen und Fensterkreuze. Wie Sichtsperren. Man wähnt sich davor in Sicherheit, aber dahinter tobt das Grauen, splittern Baumstämme und Wurzeln. Und wie Leichentücher montierte sie übers Massaker bleierne Hüllen, als lägen zwischen den Holzfetzen tote Soldaten.

Gerade jetzt, im Jubiläumsjahr des deutschen Romantikers Caspar David Friedrich, setzt Lada Nakonechna beim hierzulande so bedeutenden Genre Landschaft an. „Im Internet“, sagt sie, „habe ich alles gefunden für meine Arbeiten: Fotos von ukrainischen Tatorten, zerstört, verwüstet auf lange Zeit.“ Und darüber der zerfetzte Himmel. Sie erzählt, wie sie die Bilder bearbeitet: „Ich collagiere ein Foto mit einer Zeichnung, entferne Details oder füge welche hinzu, zeichne die fotografischen Fragmente neu und fertige digitale Kopien an.“ Der Grad des Realismus in der Zeichnung, meint sie, bestätige – oder untergrabe – dabei den Realismus des Fotos. Auf diese Weise befragt sie das Material nach Authentizität und seinem medialen Potenzial. Auch nach dem für Manipulation, Verbrechen, Katastrophen abstrakt und verharmlost erscheinen zu lassen, bestimmte Details hervorzuheben oder zu ignorieren.

Sie macht so den Ausstellungsraum zum Bilderrahmen. Der schafft Distanz und schützt uns Betrachter paradoxerweise vor Szenen, die möglicherweise außerhalb unserer Wahrnehmungsfähigkeit liegen. Dieser von Nakonechna inszenierte „Fensterrahmen“ teilt den Raum metaphorisch in Vertrautes und Unbekanntes, gibt einem paradoxerweise das Gefühl relativer Sicherheit. Doch zugleich müssen wir uns der Konsequenz dieses Krieges, sollte die Ukraine ohne die nötige Hilfe der demokratischen Welt nicht gewinnen, bewusst werden. Und die Gewissheit infrage stellen, hier im Westen in Sicherheit zu sein.

Lada Nakonechna: Below Ground Level. Galerie Eigen + Art, Auguststr. 26, bis 20. April, Di–Sa 11–18 Uhr

QOSHE - Die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna: Explodierende Wolken über verwüstetem Land - Ingeborg Ruthe
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Die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna: Explodierende Wolken über verwüstetem Land

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08.03.2024

Der Anblick zieht einem den Bast von der Seele: An der weißen Galeriewand lehnen aus Baumästen gebastelte Krücken, dünn, zerbrechlich, instabil, die Griffe aus weißem Pappmaschee, untauglich für Invaliden, weil selber Kriegskrüppel. Es sind Provisorien der Verzweiflung in einem mörderischen Kampf, der sich seit Monaten dahinschleppt.

Die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna setzt uns dieses simple Zeichen der hilflosen „Krücken“ vor, damit wir mit ihnen unsere Wahrnehmung und unser Urteilsvermögen „stützen“ können. Unsere Gedanken, Gefühle zu diesem seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Ausnahmezustand einer ganzen Nation, die am 24. Februar 2022 vom russischen Aggressor Putin überfallen wurde.

Seit 2014, dieses Datum war bereits der Kriegsbeginn durch die russische Annexion der Krim, gehört Lada Nakonechna zum Künstlerkreis der Berliner Galerie Eigen Art. Der Galerist Judy Lybke und seine Mitarbeiter hatten ihre ungewöhnliche Zeichenkunst entdeckt: diese packende, irritierende, beklemmende Verfremdung des Realen, diese verwundete Ästhetik einer verbrecherischen Politik. Bald darauf stellte sie zweimal hintereinander in Berlin aus. Die 1981 in Dnipropetrowsk geborene Tochter einer Kunsthistorikerin, Absolventin der Kiewer Kunstakademie und 2011 Teilnehmerin der Kunstbiennale Venedig, kam damals direkt aus Kiew, vom Maidan. Dort stand sie auch schon 2013 in den Reihen der Protestler, am Beginn der Pro-Europäischen Revolution. Seitdem entstehen immer neue zeichnerische Montagen und Collagen, auf denen sich das Unheil über der........

© Berliner Zeitung


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