Es gehört zu den eher peinlichen Momenten von Rockkonzerten, wenn die Stars von der Bühne ihre Fans zum Mitsingen zu animieren versuchen. Mangelende Textkenntnis und ein unsicheres Gespür für Einsatz und Rhythmus führen dann zu beschämenden Klangergebnissen, ehe der Star von der Bühne mit der Dominanz des verstärkenden Mikrophons wieder übernimmt.

Doch es gibt Ausnahmen. Auf einem der besten Live-Alben der Popgeschichte führt der 1951 in London geborenen Steve Nice, besser bekannt als Steve Harley, vor, wie aus der innigen Beziehung zum Publikum etwas Gemeinsames hervorzugehen vermag, das die besten Musiker im Studio nicht zustande bringen: das glückliche Zusammenspiel von Song, Stimme und Stimmung.

In seltenen Momenten der Rockseligkeit vermochte es der als exzentrisch und launisch beschriebene Steve Harley, trotz oder wegen seiner selbstverliebt-clownesken Art so nahbar und authentisch zu erscheinen wie kaum jemand seiner Zunft. Hinreichend dokumentiert ist das auf dem Live-Doppel-Album „Face To Face“ von 1977, auf dem Steve Harley mit seinen Mitspielern Stuart Elliott (Schlagzeug), Jo Partridge (Gitarre), Duncan McKay (Keyboards) und George Ford (Bass) in glamourös-einfacher Spielfreude das inzwischen zu Popklassikern gereifte Repertoire zu entfalten wusste.

Der Konzertreigen des aus acht Auftritten in verschiedenen britischen Städten zusammengesetzten Albums wurde eröffnet mit einer auf Steve Harleys Neigung zu rhythmischer Intonation zugeschnittenen Version von George Harrisons „Here Comes The Sun“, und das Album endete mit dem wohl größten Hit der Band „Make Me Smile“ (Come Up And See Me)“. Die stärkste Intimität aber geht vom nur kurz angestimmten Song „The Best Years of Our Lives“ aus, in dem Steve Harley die beinahe existenziell auf ihn zutreffende Zeile singt: „No truth is in here/it's all fantasy“. Den Rest übernimmt ein seliges, ungemein textsicheres Publikum.

13.03.2024

•vor 2 Std.

14.03.2024

15.03.2024

•heute

Im Alter von zwei Jahren war Steve Harley an Kinderlähmung erkrankt und verbrachte deshalb viele Jahre während der Zeit seines Aufwachsens in Krankenhäusern. Seine Mutter, eine Jazzsängerin, förderte die musikalischen Neigungen ihres Sohnes, aber als junger Erwachsener versuchte Harley, sich als Journalist durchzuschlagen. Immer mehr aber schrieb er eigene Songs, mit denen es ihn dann auch auf die Bühne zog. Nach einigen Soloauftritten in Londoner Clubs gründete er 1972 die Band Cockney Rebel, die wegen des exaltierten Auftretens Harleys dem Genre des Glamrocks zugeschlagen wurde, im Grunde aber eine frühe Prägung des Britpop abgab. Die Nähe zum Glamrock rührte wohl auch daher, dass Harley mit dem leider viel zu früh verstorbenen T-Rex-Gründer Marc Bolan befreundet war und vorübergehend auch mit diesem zusammengearbeitet hatte.

Wegen der Unberechenbarkeit ihres Bandleaders kam es bei Cockney Rebel zu ständigen personellen Wechseln, allein Stuart Elliott, der später von Paul McCartney, Alan Parsons und Kate Bush engagiert wurde, hielt es kontinuierlich mit Steve Harley aus. Trotz einiger sehr bemerkenswerter Studioproduktionen wurde es ab Mitte der 80er-Jahre ruhiger um Steve Harley, dem auch psychische Probleme nachgesagt wurden. Überaus aufgeräumt und zugänglich trat er aber in jüngerer Zeit wieder auf, etwa im Berliner Kellerlokal Quasimodo, wo er völlig unprätentiöse kleine Konzerte gab. Nun ist Steve Harley im Alter von 73 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. Die Magie seiner Musik überlebt indes in der Zeile aus „The Best Years Of Our Lives“: „Oh you'll think it's tragic when that moment arrives/Oh, oh but it's magic, it's the best years of our lives.“

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„Die beste Zeit unseres Lebens“: Zum Tod des Popmusikers Steve Harley

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17.03.2024

Es gehört zu den eher peinlichen Momenten von Rockkonzerten, wenn die Stars von der Bühne ihre Fans zum Mitsingen zu animieren versuchen. Mangelende Textkenntnis und ein unsicheres Gespür für Einsatz und Rhythmus führen dann zu beschämenden Klangergebnissen, ehe der Star von der Bühne mit der Dominanz des verstärkenden Mikrophons wieder übernimmt.

Doch es gibt Ausnahmen. Auf einem der besten Live-Alben der Popgeschichte führt der 1951 in London geborenen Steve Nice, besser bekannt als Steve Harley, vor, wie aus der innigen Beziehung zum Publikum etwas Gemeinsames hervorzugehen vermag, das die besten Musiker im Studio nicht zustande bringen: das glückliche Zusammenspiel von Song, Stimme und Stimmung.

In seltenen Momenten der Rockseligkeit vermochte es der als exzentrisch und launisch beschriebene Steve Harley, trotz oder wegen seiner selbstverliebt-clownesken Art so nahbar und authentisch zu erscheinen wie kaum jemand seiner Zunft. Hinreichend........

© Berliner Zeitung


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