In der Migrationsdebatte in Berlin bleibt der Ton scharf. Nachzuspüren war dies zuletzt vor einer Woche, als neue Standorte für Containersiedlungen veröffentlicht wurden – und sich mehr als die Hälfte davon auf nur drei Ost-Bezirke verteilte. Nun rückt ein weiteres Thema in den Fokus: Berlin ist bei der Bearbeitung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge so langsam, dass diese dann nicht auf andere Bundesländer verteilt werden können und in der Stadt bleiben müssen. Dabei ist deren Unterbringung und Betreuung besonders aufwendig und teuer.

Zu Beginn des Frühjahrs werden täglich durchschnittlich vier unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (im Behördenjargon: UMF) in Berlin registriert. Das liegt saisonbedingt unter dem Wert im Spätsommer vergangenen Jahres, als über einen längeren Zeitraum täglich 14 Kinder oder Jugendliche in Berlin anlandeten. Im abgelaufenen Jahr wurden mit 3105 neuen Fällen erneut ein hoher Wert erfasst, der nur knapp unter dem von 2022 liegt, als besonders viele Ukrainer vor dem Krieg flohen.

Diese Zahlen, Daten und Fakten hat die Berliner Zeitung auf Anfrage von der Senatsjugendverwaltung erhalten. Was sie im Konkreten bedeuten, darüber kann Oliver Schworck berichten, SPD-Stadtrat für Gesundheit und Jugend des Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Am Ende sind es die Bezirke, die den Großteil stemmen müssen, in Schworcks Bezirk sind es aktuell rund 140 Kinder und Jugendliche. Und in den Bezirken zeigen sich auch die Herausforderungen.

So hätten die vom Bezirksamt beauftragten Träger zunehmend Probleme, weitere Plätze zu finden, sagt Schworck im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Dabei sei es so wichtig, dass die Einheiten überschaubar blieben. Denn: je größer die Gruppe, desto stärker verändert sich die Eigendynamik unter den jungen Leuten aus unterschiedlichen Ethnien. „Da wächst dann die Zahl derjenigen, die meinen, Politik nachspielen zu müssen“, sagt der Stadtrat.

06.04.2024

05.04.2024

gestern

gestern

•gestern

Voriges Jahr war der Anteil an den Zugängen bei den UMF aus der Ukraine weiterhin hoch, jedoch geringer (14 Prozent) als von denen aus Syrien oder Afghanistan (jeweils 22 Prozent). Stark vertreten war auch die Türkei (13 Prozent), an Platz 5 der Herkunftsländer lag das westafrikanischen Benin (9 Prozent).

Das führt dazu, dass die UMF nicht in eine Unterkunft für Erwachsene integriert werden dürfen – in Schworcks Zuständigkeitsbereich etwa in die Großunterkunft auf dem früheren Flughafen Tempelhof, die bekanntlich weiter wachsen soll. Doch für UMF werden andere Immobilien benötigt. Keine einfache Aufgabe in Zeiten einer wachsenden Stadt.

Außerdem ist die Klientel sehr betreuungsintensiv. Die Kinder und Jugendlichen haben ein Anrecht auf eine 24/7-Betreuung und einen eigenen Amtsvormund. Zur Betreuung gehören neben einem Kinderschutzkonzept und einer psychosozialen Unterstützung auch Deutschkurse, Alphabetisierungskurse und Integrationskurse. Angesichts des Fachkräftemangels eine nur schwer zu managende Anforderung, so Schworck. „Wenn dann künftig deutlich mehr UMF kommen sollten, wird es richtig kompliziert“, sagt er. Und so erlaubt sich der SPD-Politiker einen schwachen Moment: „Es ist weiterhin eine einzige Krise.“

Deren Ursache liegt unter anderem an den langen Wartezeiten bei Erfassung und Registrierung der Neuankommenden, und diese erfolgt bei der Jugendverwaltung. Jeder Klient hat einen Rechtsanspruch auf ein Erstgespräch innerhalb von vier Wochen. Doch „das ist durch den hohen Zuzug nicht mehr haltbar“, teilt die Senatsjugendverwaltung auf Anfrage der Berliner Zeitung mit.

Migration: Berlin will sein Flüchtlingslager in Tempelhof mehr als verdoppeln

19.03.2024

Das große Geschäft mit minderjährigen Geflüchteten in Berlin – und wer davon profitiert

02.03.2024

Dabei verweist die Behörde auf ihre Anstrengungen. So habe man seit vergangenem Sommer zusätzlich 14 Stellen geschaffen und damit die Wartezeit von acht auf vier Monate halbiert. Doch das reicht nicht. Ab Mitte dieses Jahres sollen alle ersterfassten UMF „zeitnah gesprochen werden“, heißt es.

Warum das so wichtig ist, erklärt Stadtrat Schworck: Nur wenn sich der Flüchtlings-Hotspot Berlin an die Regeln hält, kann er auf Entlastung durch andere Bundesländer hoffen, die dann UMF übernehmen müssten. Schworck: „Momentan geben wir niemanden ab, weil Berlin so lange braucht.“

Und dies alles geht ins Geld. So hat die Jugendverwaltung in den Jahren 2015 bis 2023 mehr als 299 Millionen Euro für die „Unterbringung, Verpflegung, pädagogische Betreuung und tagesstrukturierende Maßnahmen der UMF in Obhut“ ausgegeben. Hinzu kommen die Ausgaben der Jugendämter. Diese beliefen sich von 2017 bis 2023 auf fast 503 Millionen Euro.

Diese Zahlen hat der AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann beim Senat erfragt. „Umso katastrophaler ist es, dass noch immer nur in Ausnahmefällen überprüft wird, ob die behauptete Minderjährigkeit überhaupt gegeben ist“, sagt der Politiker.

Damit spricht Lindemann ein sensibles Thema an. Weil die Standards so hoch sind, gilt der Status des UMF als besonders begehrt. Das heißt: Viele wollen als Unter-18-Jährige registriert werden, obwohl sie es womöglich gar nicht sind. Oft machen fehlende Papiere und glaubhaftes Unwissen über den eigenen Geburtstag eine korrekte Einsortierung ins Hilfesystem kompliziert.

Doch wie alt ist der junge Mensch wirklich? Auch das Verfahren zur Altersbestimmung ist kompliziert. Zunächst wird das Alter geschätzt. Im Zweifel werden die Handknochen vermessen, die Weisheitszahnentwicklung vermerkt oder Schlüsselbeine per Computertomografie untersucht.

Am Ende erweist sich nach Angaben der Jugendverwaltung etwa ein Drittel als älter als 18 Jahre. Diese kommen dann in eine reguläre Unterkunft für Erwachsene.

QOSHE - Minderjährige Flüchtlinge: So viele machen sich jünger, als sie sind – und bleiben in Berlin - Elmar Schütze
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Minderjährige Flüchtlinge: So viele machen sich jünger, als sie sind – und bleiben in Berlin

23 10
08.04.2024

In der Migrationsdebatte in Berlin bleibt der Ton scharf. Nachzuspüren war dies zuletzt vor einer Woche, als neue Standorte für Containersiedlungen veröffentlicht wurden – und sich mehr als die Hälfte davon auf nur drei Ost-Bezirke verteilte. Nun rückt ein weiteres Thema in den Fokus: Berlin ist bei der Bearbeitung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge so langsam, dass diese dann nicht auf andere Bundesländer verteilt werden können und in der Stadt bleiben müssen. Dabei ist deren Unterbringung und Betreuung besonders aufwendig und teuer.

Zu Beginn des Frühjahrs werden täglich durchschnittlich vier unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (im Behördenjargon: UMF) in Berlin registriert. Das liegt saisonbedingt unter dem Wert im Spätsommer vergangenen Jahres, als über einen längeren Zeitraum täglich 14 Kinder oder Jugendliche in Berlin anlandeten. Im abgelaufenen Jahr wurden mit 3105 neuen Fällen erneut ein hoher Wert erfasst, der nur knapp unter dem von 2022 liegt, als besonders viele Ukrainer vor dem Krieg flohen.

Diese Zahlen, Daten und Fakten hat die Berliner Zeitung auf Anfrage von der Senatsjugendverwaltung erhalten. Was sie im Konkreten bedeuten, darüber kann Oliver Schworck berichten, SPD-Stadtrat für Gesundheit und Jugend des Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Am Ende sind es die Bezirke, die den Großteil stemmen müssen, in Schworcks Bezirk sind es aktuell rund 140 Kinder und Jugendliche. Und in den Bezirken........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play