Gesprengte Diskussionsveranstaltungen, Hörsaal-Besetzungen, Hetz-Demos, fast täglich antisemitische Pöbeleien und Schmierereien. An Berlins Hochschulen gibt es zwei Zeitrechnungen: eine Zeit vor dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober – und eine danach.

Der Krieg in Nahost und seine Folgen beschäftigen, so scheint es, die Kultur- und Wissenschaftslandschaft Berlins immer noch besonders stark. Schließlich entwickelte die Prügelattacke eines Studenten der Freien Universität Berlin gegen einen jüdischen Kommilitonen vor einer Bar in Berlin-Mitte eine eigene Dynamik. An deren Ende soll eine Gesetzesänderung stehen, die es möglich macht, körperliche, aber auch verbale und psychische Gewalt zu sanktionieren. Im Zweifel auch mit dem Rauswurf von der Uni, der Exmatrikulation.

Der bei einem Angriff schwer verletzte jüdische Student Lahav Shapira warf seiner Universität vor, dass diese das Entfernen antisemitischer Plakate an die Betroffenen delegiert habe. Die FU wies das zurück. Nun stützen weitere Studenten Shapiras Aussage https://t.co/7cPyCgER4h

Seit Freitag liegt ein erster Referentenentwurf des Berliner Senats vor. Darin heißt es: „Ein Ordnungsrecht über die Studierenden wird (…) wieder in das Berliner Hochschulgesetz aufgenommen.“ Dieses Ordnungsrecht sieht als letzte Eskalationsstufe die Exmatrikulation vor.

Diese solle unter anderem dann ausgesprochen werden können, wenn ein Mitglied einer Universität ein anderes „durch Anwendung, Aufforderung (…) oder Androhung von Gewalt erheblich beeinträchtigt“. Damit soll der Opferschutz – etwa auch bei Fällen sexueller Gewalt – gestärkt werden. Es sei einem Opfer nicht zumutbar, wenn es später mit dem Täter im selben Seminar sitzen müsste.

gestern

gestern

03.03.2024

gestern

gestern

Dieses Ordnungsrecht war 2021 von einer damaligen rot-rot-grünen Parlamentsmehrheit aus dem Gesetz getilgt worden. Es galt als juristisch angreifbar und wurde seit Jahren nicht angewendet. Die Gesetzesänderung geschah zwei Tage vor der Abgeordnetenhauswahl. Sehr zum Unwillen übrigens des damaligen Wissenschaftssenators – und gleichzeitig Regierendem Bürgermeister – Michael Müller und dessen Wissenschaftsstaatssekretärs Steffen Krach (beide SPD).

„Das ist eine Kampfansage“: Studenten gegen Exmatrikulation von Antisemiten

24.02.2024

Senatorin Czyborra lehnt Exmatrikulation des mutmaßlichen Schlägers der FU ab

09.02.2024

Und erneut ist es, wie es scheint, die – wieder einmal – von der SPD geführte Chefetage der Wissenschaftsverwaltung, die mit der Änderung des Hochschulgesetzes fremdelt. Ina Czyborra stimmte 2021 gegen das Ordnungsrecht. Inzwischen ist sie Senatorin, aber erklärtermaßen weiterhin eine Skeptikerin einer Exmatrikulation „aus Gesinnungsgründen“. Doch der Druck wurde so groß, dass Czyborra umschwenken und sie sich dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) anschließen musste, als dieser entschlossen Richtung Exmatrikulation marschierte.

Von anderer Stelle aus der SPD gibt es indes klar grünes Licht für eine Wiedereinführung dieser repressiven Ordnungsmaßnahme. „Für uns gehört die Exmatrikulation unbedingt dazu“, sagt der Wissenschaftspolitiker Marcel Hopp der Berliner Zeitung.

Dies dürfe jedoch nicht das einzige Sanktionsmittel sein, so der Abgeordnete. Mindestens so wichtig sei die Zeit vor einer Exmatrikulation, die erst nach einer strafrechtlichen Verurteilung eines Täters erfolgen könne. Auch zuvor müsse der Opferschutz gelten, sagt Hopp.

Ein Mittel könnte die Stärkung des Hausrechts sein. Bisher können Hausverbote für drei Monate ausgesprochen werden. Denkbar ist eine Ausweitung auf sechs Monate. In der Diskussion ist auch eine Bannmeile um Rost- und Silberlaube der FU. Demonstrationen wäre dann nur außerhalb möglich.

Auf der Sitzung des Wissenschaftsausschusses am Montag ging es nicht mehr um das Ob einer Wiederbelebung der Exmatrikulation, sondern nur noch um das Wie und Wann. Von CDU-Seite zeigt man sich weitgehend zufrieden mit dem Entwurf. Einzig ein darin vorgesehener Ordnungsausschuss, sei „unnötig“, wie der Abgeordnete Adrian Grasse der Berliner Zeitung sagt. „Das Präsidium soll das machen. Wir brauchen kein zusätzliches Gremium.“

Bemerkenswert bedächtig zeigte sich Günter M. Ziegler, schon öfter als zögerlich empfundener Präsident der FU. Erst vorigen Freitag habe er den Referentenentwurf erhalten, schon eine Woche später soll er sich abschließend äußern, stellte er fest. Ziegler räumte ein: „Ich hätte gerne mehr Zeit.“

Attacke auf jüdischen FU-Studenten: Jetzt will Berlin Prügler aus der Uni schmeißen

20.02.2024

Antisemitismus an Berlins Unis: Es braucht Mut, Hausrecht und die Polizei

23.02.2024

Nun, er wird sie nach Lage der Dinge nicht bekommen, denn jetzt soll alles schnell gehen. Noch vor der Osterpause will der Berliner Senat eine Vorlage ans Abgeordnetenhaus geben. Dort soll sich nach Ostern zunächst der Wissenschaftsausschuss mit dem Entwurf beschäftigen, ehe er ins Plenum geht. Noch vor der Sommerpause soll das Gesetz beschlossen werden.

„Damit wären wir pünktlich für den neuen Semesterstart. Das wäre ein starkes Zeichen“, sagt CDU-Mann Grasse.

QOSHE - Antisemitismus an Berliner Unis: Jetzt plant der Senat ein Rausschmeißgesetz - Elmar Schütze
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Antisemitismus an Berliner Unis: Jetzt plant der Senat ein Rausschmeißgesetz

6 0
05.03.2024

Gesprengte Diskussionsveranstaltungen, Hörsaal-Besetzungen, Hetz-Demos, fast täglich antisemitische Pöbeleien und Schmierereien. An Berlins Hochschulen gibt es zwei Zeitrechnungen: eine Zeit vor dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober – und eine danach.

Der Krieg in Nahost und seine Folgen beschäftigen, so scheint es, die Kultur- und Wissenschaftslandschaft Berlins immer noch besonders stark. Schließlich entwickelte die Prügelattacke eines Studenten der Freien Universität Berlin gegen einen jüdischen Kommilitonen vor einer Bar in Berlin-Mitte eine eigene Dynamik. An deren Ende soll eine Gesetzesänderung stehen, die es möglich macht, körperliche, aber auch verbale und psychische Gewalt zu sanktionieren. Im Zweifel auch mit dem Rauswurf von der Uni, der Exmatrikulation.

Der bei einem Angriff schwer verletzte jüdische Student Lahav Shapira warf seiner Universität vor, dass diese das Entfernen antisemitischer Plakate an die Betroffenen delegiert habe. Die FU wies das zurück. Nun stützen weitere Studenten Shapiras Aussage https://t.co/7cPyCgER4h

Seit Freitag liegt ein erster Referentenentwurf des Berliner Senats vor. Darin heißt es: „Ein Ordnungsrecht über die Studierenden wird (…) wieder in das Berliner Hochschulgesetz aufgenommen.“ Dieses........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play